Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gretua-Green ivendung eines Reichsgesctzes, nämlich des 8 77 des Gesetzes vom 6. Februar 1875 Gretua-Green ivendung eines Reichsgesctzes, nämlich des 8 77 des Gesetzes vom 6. Februar 1875 <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223691"/> <fw type="header" place="top"> Gretua-Green</fw><lb/> <p xml:id="ID_330" prev="#ID_329" next="#ID_331"> ivendung eines Reichsgesctzes, nämlich des 8 77 des Gesetzes vom 6. Februar 1875<lb/> beruht. Dieser Paragraph lautet: „Wenn nach dem bisherigen Rechte auf beständige<lb/> Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett zu erkennen sein würde, ist fortan<lb/> die Auflösung des Bandes der Ehe auszusprechen. Ist vor dem Tage, an welchem<lb/> dieses Gesetz in Kraft tritt, auf beständige Trennung von Tisch und Bett erkannt<lb/> worden, so kann, wenn eine Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten nicht statt-<lb/> gefunden hat, jeder ans Grund des ergangnen Urteils die Auflösung des Bandes<lb/> der Ehe im ordentlichen Prozeßverfahren beantragen." Dieser Paragraph hat in<lb/> der juristischen Welt eine gewisse Berühmtheit erlangt durch eine langjährige, noch<lb/> uuansgetragne Meinungsverschiedenheit zwischen dem Reichsgericht und dem säch¬<lb/> sischen Oberlandesgericht in Dresden. Im allgemeinen gilt gegenwärtig im<lb/> deutschen Reiche die Regel, daß die Zulässigkeit der Ehescheidung uach dem Rechte<lb/> des Wohnsitzes des Ehemanns beurteilt wird. Ausländer, die hier wohnen, sind<lb/> also dem einheimischen Rechte unterworfen. Das Königreich Sachsen macht hiervon<lb/> eine Ausnahme. Nach dem sächsischen Gesetzbuche von 1863 werden nämlich die<lb/> Eingehung und Auflösung der Ehe nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dessen<lb/> Unterthan der Ehemann ist. Dieser Grundsatz ist mich in das neue bürgerliche<lb/> Gesetzbuch aufgenommen. In Sachsen leben viele österreichische Katholiken, nament¬<lb/> lich Arbeiter. Unter diesen komme» nicht selten Ehescheidungsprozesse vor, die also<lb/> nach dem österreichischen Rechte zu beurteilen sind. Dies kennt zwar für die nicht<lb/> katholischen christlichen Religionsverwnndten die Ehescheidung, aber nicht für Katho¬<lb/> liken; für diese giebt die beständige Trennung von Tisch und Bett einen Ersatz.<lb/> Nun entstand die Frage, ob die österreichischen Katholiken nach dem Z 77 in Sachsen<lb/> eine Lösung des ehelichen Bandes verlangen könnten, wenn ein Grund vorlag, um<lb/> deswillen nach ihrem Heunischen Rechte eine beständige Trennung von Tisch und<lb/> und Bett stattfindet. Das Reichsgericht hat das bejaht, das Oberlandesgericht in<lb/> Dresden dagegen hat angenommen, daß für die Ehescheidungsklagen der Österreicher<lb/> in Sachsen ihr heimatliches Recht unverändert in Giltigkeit geblieben sei, daß also<lb/> die Ehe der österreichischen Katholiken hier, ebensowenig wie in ihrer Heimat, dem<lb/> Bande nach gelöst werden könne. Diese Meinungsverschiedenheit der beide» Ge¬<lb/> richtshöfe dauert schon über fünfzehn Jahre. Zwei Senate des Reichsgerichts<lb/> haben nach einander diese Eheschcidnngssnchen zu entscheiden gehabt, und in ihnen<lb/> hat ein fortwährender Wechsel der Mitglieder stattgefunden. Das Reichsgericht ist<lb/> immer bei seiner Ansicht geblieben. Andrerseits hat das sächsische Oberlandesgericht<lb/> mit einer Beharrlichkeit, die in der Zeit, wo Gefügigkeit Trumpf ist, die größte<lb/> Achtung verdient, an dem festgehalten, was es in einer so wichtigen Frage als<lb/> dem Rechte entsprechend erkannt hat, obgleich seine Urteile von dem Reichsgerichte<lb/> immer aufgehoben werden. Wenn sich Juristen streiten, so ist es häufig schwer,<lb/> zu sagen, wer Recht hat; denn bei der Verschiedenheit der Ansichten spielt meistens<lb/> das Temperament eine größere Rolle als der Verstand. Hier ist es aber Wohl<lb/> unbedenklich, dem sächsische» Oberlandesgericht Recht zu geben. Es ist ein eigen¬<lb/> tümlicher Gedanke, daß, wie das Reichsgericht annimmt, die Reichsgesetzgebung die<lb/> Absicht gehabt haben solle, das österreichische Eherecht für die in Sachsen lebenden<lb/> katholischen Österreicher zu verbessern und ihnen auch die Segnungen der Ehe¬<lb/> scheidung zu teil werden zu lassen. Eine solche Humanitätsduselei kann man bei<lb/> den gesetzgebenden Faktoren um so weniger annehmen, als sie notwendig Ver¬<lb/> wirrung in den Familienverhältnissen der Angehörigen eines befreundeten Staates<lb/> erregen müßte. Deun es ist selbstverständlich, daß in Österreich eine solche<lb/> Scheidung nicht anerkannt werden kaun, ebenso wenig wie in Frankreich die Scheidung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Gretua-Green
ivendung eines Reichsgesctzes, nämlich des 8 77 des Gesetzes vom 6. Februar 1875
beruht. Dieser Paragraph lautet: „Wenn nach dem bisherigen Rechte auf beständige
Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett zu erkennen sein würde, ist fortan
die Auflösung des Bandes der Ehe auszusprechen. Ist vor dem Tage, an welchem
dieses Gesetz in Kraft tritt, auf beständige Trennung von Tisch und Bett erkannt
worden, so kann, wenn eine Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten nicht statt-
gefunden hat, jeder ans Grund des ergangnen Urteils die Auflösung des Bandes
der Ehe im ordentlichen Prozeßverfahren beantragen." Dieser Paragraph hat in
der juristischen Welt eine gewisse Berühmtheit erlangt durch eine langjährige, noch
uuansgetragne Meinungsverschiedenheit zwischen dem Reichsgericht und dem säch¬
sischen Oberlandesgericht in Dresden. Im allgemeinen gilt gegenwärtig im
deutschen Reiche die Regel, daß die Zulässigkeit der Ehescheidung uach dem Rechte
des Wohnsitzes des Ehemanns beurteilt wird. Ausländer, die hier wohnen, sind
also dem einheimischen Rechte unterworfen. Das Königreich Sachsen macht hiervon
eine Ausnahme. Nach dem sächsischen Gesetzbuche von 1863 werden nämlich die
Eingehung und Auflösung der Ehe nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dessen
Unterthan der Ehemann ist. Dieser Grundsatz ist mich in das neue bürgerliche
Gesetzbuch aufgenommen. In Sachsen leben viele österreichische Katholiken, nament¬
lich Arbeiter. Unter diesen komme» nicht selten Ehescheidungsprozesse vor, die also
nach dem österreichischen Rechte zu beurteilen sind. Dies kennt zwar für die nicht
katholischen christlichen Religionsverwnndten die Ehescheidung, aber nicht für Katho¬
liken; für diese giebt die beständige Trennung von Tisch und Bett einen Ersatz.
Nun entstand die Frage, ob die österreichischen Katholiken nach dem Z 77 in Sachsen
eine Lösung des ehelichen Bandes verlangen könnten, wenn ein Grund vorlag, um
deswillen nach ihrem Heunischen Rechte eine beständige Trennung von Tisch und
und Bett stattfindet. Das Reichsgericht hat das bejaht, das Oberlandesgericht in
Dresden dagegen hat angenommen, daß für die Ehescheidungsklagen der Österreicher
in Sachsen ihr heimatliches Recht unverändert in Giltigkeit geblieben sei, daß also
die Ehe der österreichischen Katholiken hier, ebensowenig wie in ihrer Heimat, dem
Bande nach gelöst werden könne. Diese Meinungsverschiedenheit der beide» Ge¬
richtshöfe dauert schon über fünfzehn Jahre. Zwei Senate des Reichsgerichts
haben nach einander diese Eheschcidnngssnchen zu entscheiden gehabt, und in ihnen
hat ein fortwährender Wechsel der Mitglieder stattgefunden. Das Reichsgericht ist
immer bei seiner Ansicht geblieben. Andrerseits hat das sächsische Oberlandesgericht
mit einer Beharrlichkeit, die in der Zeit, wo Gefügigkeit Trumpf ist, die größte
Achtung verdient, an dem festgehalten, was es in einer so wichtigen Frage als
dem Rechte entsprechend erkannt hat, obgleich seine Urteile von dem Reichsgerichte
immer aufgehoben werden. Wenn sich Juristen streiten, so ist es häufig schwer,
zu sagen, wer Recht hat; denn bei der Verschiedenheit der Ansichten spielt meistens
das Temperament eine größere Rolle als der Verstand. Hier ist es aber Wohl
unbedenklich, dem sächsische» Oberlandesgericht Recht zu geben. Es ist ein eigen¬
tümlicher Gedanke, daß, wie das Reichsgericht annimmt, die Reichsgesetzgebung die
Absicht gehabt haben solle, das österreichische Eherecht für die in Sachsen lebenden
katholischen Österreicher zu verbessern und ihnen auch die Segnungen der Ehe¬
scheidung zu teil werden zu lassen. Eine solche Humanitätsduselei kann man bei
den gesetzgebenden Faktoren um so weniger annehmen, als sie notwendig Ver¬
wirrung in den Familienverhältnissen der Angehörigen eines befreundeten Staates
erregen müßte. Deun es ist selbstverständlich, daß in Österreich eine solche
Scheidung nicht anerkannt werden kaun, ebenso wenig wie in Frankreich die Scheidung
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