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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Lhryscmders

. Die zahlreichen eignen Äußerungen Friedrichs über seine Bemühungen,
den Frieden zu erhalten -- die Lehmann unbeachtet läßt --, seine Beteuerungen,
daß er wider Willen und nur aus Notwehr die Waffen ergriffen habe, die
Versicherung im Anfang seiner lUstoirs, daß er sich unbedingte Wahrheit zum
Gesetz gemacht habe, seine Aufrichtigkeit und innere Wahrhaftigkeit -- das
alles wird nach wie vor vollste Anerkennung finden. So steht die preußische
"Legende" vom Ursprung des siebenjährigen Krieges "als lautere, geschicht¬
liche Wahrheit uoch immer fest auf ihren Füßen." Der siebenjährige Kampf
mit seinen schweren Fährnissen war ein Akt der Notwehr für Preußen, ein
Verteidigungskrieg, und er blieb es, "auch wenn in seinem Verlaufe hie und
da einmal der Augenblick eintrat, wo alte Lieblingsgedanken, luftige Träume
ihrer Verwirklichung näher gerückt sein mochten," er war aber auch ein
Rettungskampf für Deutschland und ward als solcher von tausend deutschen
Herzen empfunden.

Das letzte Wort in dem Kampfe der Geister ist übrigens noch nicht ge¬
sprochen. Naudo beabsichtigt, den ganzen "Unterbau der wesentliche" That¬
sachen," den Lehmann giebt, zu zerstören. Was er bisher in einem Aufsatze
in dieser Richtung geleistet hat, entspricht vollständig den Erwartungen, die alle
Freunde der geschichtlichen Wahrheit an seine Arbeit knüpfen. Zum Abschluß
aber wird unser Urteil erst kommen, wenn Naudv den versprochnen Nachweis
führt, daß die preußischen Rüstungen im Sommer 1756 hinter den öster¬
reichischen weit zurück waren und keineswegs ans Kriegsabsichten hindeuteten.




Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Chrysanders

ein einen oder andern Leser von Philippis "Kunst der Rede"
wird es vielleicht aufgefallen sein, daß in demi Abschnitt über die
sprachgewaltigen Kunsthistoriker unsrer Zeit ein Mann nicht er¬
wähnt wird, den man unter die blendendsten Stilisten des neun¬
zehnten Jahrhunderts rechnen muß: Eduard Hanslick. Die
Mehrzahl wird seinen Namen nicht vermissen, denn sie rechnet nicht ernstlich
mit der Musikschriftstellerei und sieht sie nicht für voll an. Leider hat dieses
Herkommen nur zu viel Berechtigung. Es giebt keinen zweiten Stand, der
litterarisch so schlecht vertreten wäre, wie der Musikerstand. Seine Presse, die
vor hundert Jahren vielversprechend einsetzte, steht heute, wenigstens für den,
der sich an den Durchschnitt halten muß, nicht einmal auf der Höhe, die die


Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Lhryscmders

. Die zahlreichen eignen Äußerungen Friedrichs über seine Bemühungen,
den Frieden zu erhalten — die Lehmann unbeachtet läßt —, seine Beteuerungen,
daß er wider Willen und nur aus Notwehr die Waffen ergriffen habe, die
Versicherung im Anfang seiner lUstoirs, daß er sich unbedingte Wahrheit zum
Gesetz gemacht habe, seine Aufrichtigkeit und innere Wahrhaftigkeit — das
alles wird nach wie vor vollste Anerkennung finden. So steht die preußische
„Legende" vom Ursprung des siebenjährigen Krieges „als lautere, geschicht¬
liche Wahrheit uoch immer fest auf ihren Füßen." Der siebenjährige Kampf
mit seinen schweren Fährnissen war ein Akt der Notwehr für Preußen, ein
Verteidigungskrieg, und er blieb es, „auch wenn in seinem Verlaufe hie und
da einmal der Augenblick eintrat, wo alte Lieblingsgedanken, luftige Träume
ihrer Verwirklichung näher gerückt sein mochten," er war aber auch ein
Rettungskampf für Deutschland und ward als solcher von tausend deutschen
Herzen empfunden.

Das letzte Wort in dem Kampfe der Geister ist übrigens noch nicht ge¬
sprochen. Naudo beabsichtigt, den ganzen „Unterbau der wesentliche» That¬
sachen," den Lehmann giebt, zu zerstören. Was er bisher in einem Aufsatze
in dieser Richtung geleistet hat, entspricht vollständig den Erwartungen, die alle
Freunde der geschichtlichen Wahrheit an seine Arbeit knüpfen. Zum Abschluß
aber wird unser Urteil erst kommen, wenn Naudv den versprochnen Nachweis
führt, daß die preußischen Rüstungen im Sommer 1756 hinter den öster¬
reichischen weit zurück waren und keineswegs ans Kriegsabsichten hindeuteten.




Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Chrysanders

ein einen oder andern Leser von Philippis „Kunst der Rede"
wird es vielleicht aufgefallen sein, daß in demi Abschnitt über die
sprachgewaltigen Kunsthistoriker unsrer Zeit ein Mann nicht er¬
wähnt wird, den man unter die blendendsten Stilisten des neun¬
zehnten Jahrhunderts rechnen muß: Eduard Hanslick. Die
Mehrzahl wird seinen Namen nicht vermissen, denn sie rechnet nicht ernstlich
mit der Musikschriftstellerei und sieht sie nicht für voll an. Leider hat dieses
Herkommen nur zu viel Berechtigung. Es giebt keinen zweiten Stand, der
litterarisch so schlecht vertreten wäre, wie der Musikerstand. Seine Presse, die
vor hundert Jahren vielversprechend einsetzte, steht heute, wenigstens für den,
der sich an den Durchschnitt halten muß, nicht einmal auf der Höhe, die die


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[0077] Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Lhryscmders . Die zahlreichen eignen Äußerungen Friedrichs über seine Bemühungen, den Frieden zu erhalten — die Lehmann unbeachtet läßt —, seine Beteuerungen, daß er wider Willen und nur aus Notwehr die Waffen ergriffen habe, die Versicherung im Anfang seiner lUstoirs, daß er sich unbedingte Wahrheit zum Gesetz gemacht habe, seine Aufrichtigkeit und innere Wahrhaftigkeit — das alles wird nach wie vor vollste Anerkennung finden. So steht die preußische „Legende" vom Ursprung des siebenjährigen Krieges „als lautere, geschicht¬ liche Wahrheit uoch immer fest auf ihren Füßen." Der siebenjährige Kampf mit seinen schweren Fährnissen war ein Akt der Notwehr für Preußen, ein Verteidigungskrieg, und er blieb es, „auch wenn in seinem Verlaufe hie und da einmal der Augenblick eintrat, wo alte Lieblingsgedanken, luftige Träume ihrer Verwirklichung näher gerückt sein mochten," er war aber auch ein Rettungskampf für Deutschland und ward als solcher von tausend deutschen Herzen empfunden. Das letzte Wort in dem Kampfe der Geister ist übrigens noch nicht ge¬ sprochen. Naudo beabsichtigt, den ganzen „Unterbau der wesentliche» That¬ sachen," den Lehmann giebt, zu zerstören. Was er bisher in einem Aufsatze in dieser Richtung geleistet hat, entspricht vollständig den Erwartungen, die alle Freunde der geschichtlichen Wahrheit an seine Arbeit knüpfen. Zum Abschluß aber wird unser Urteil erst kommen, wenn Naudv den versprochnen Nachweis führt, daß die preußischen Rüstungen im Sommer 1756 hinter den öster¬ reichischen weit zurück waren und keineswegs ans Kriegsabsichten hindeuteten. Zum siebzigsten Geburtstag Friedrich Chrysanders ein einen oder andern Leser von Philippis „Kunst der Rede" wird es vielleicht aufgefallen sein, daß in demi Abschnitt über die sprachgewaltigen Kunsthistoriker unsrer Zeit ein Mann nicht er¬ wähnt wird, den man unter die blendendsten Stilisten des neun¬ zehnten Jahrhunderts rechnen muß: Eduard Hanslick. Die Mehrzahl wird seinen Namen nicht vermissen, denn sie rechnet nicht ernstlich mit der Musikschriftstellerei und sieht sie nicht für voll an. Leider hat dieses Herkommen nur zu viel Berechtigung. Es giebt keinen zweiten Stand, der litterarisch so schlecht vertreten wäre, wie der Musikerstand. Seine Presse, die vor hundert Jahren vielversprechend einsetzte, steht heute, wenigstens für den, der sich an den Durchschnitt halten muß, nicht einmal auf der Höhe, die die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/77>, abgerufen am 01.09.2024.