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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

verbündeten England zu Grunde legen sollte. "Wir brauchen, so heißt es
hier, eine Salbe für unsre Brandwunde, wenn das möglich ist. Man könnte
entweder vorschlagen, daß jeder behält, was er beim Frieden besitzt, oder wenn
man tauschen will, da (Ost-) Preußen und meine rheinischen Besitzungen bei
weitem weniger wert sind als Sachsen, so müßte man an Äquivalente denken,
sei es die Niederlausitz, sei es Westpreußen nach dem Tode des Königs von
Polen, sei es irgend ein beliebiges andres Land, wenn es nur eine Salbe für
die Brandwunde giebt. Der schlimmste Fall wird die Wiederherstellung des
staws ciuo vor dem Kriege sein." Diese Anweisung ist von Lehmann so auf¬
gefaßt worden, als ob der König in erster Linie "gewollt habe, daß jeder
beim Friedensschlüsse das behalte, was er gerade besäße." Er habe also lieber
seine rheinischen Länder den Franzosen (die sie damals besetzt hielten), Ost¬
preußen den okkupirenden Russen überlassen, als Sachsen (das er inne hatte)
herausgeben wollen. Daß aber diese Auslegung den wirklichen Ansichten und
Absichten des Königs nicht entspricht, zeigt unwiderleglich ein Schreiben Eichels,
seines "vertrautesten und eingeweihtesten Kabinettssekretärs," das dieser am
14. November 1759 nach einer Audienz beim König an den Minister Finken¬
stein gerichtet und worin er jene Vorschläge des Königs erläutert hat. "So¬
viel ich habe verstehen können, schreibt Eichel, kann ich mir schmeicheln, daß
alle diese Äußerungen gewissermaßen nur Probleme sind, die der König den
Engländern hinwirft, um zu sehen, wie sie denken, und ob es nicht möglich
sei, wenigstens Kopf oder Flügel zu erwischen; zweitens, um gleich von vorn¬
herein jeder Abtretung, die man vom Könige beanspruchen könnte, vorzubeugen;
drittens wird der König an den Forderungen nicht hartnäckig festhalten und
viertens nicht den Frieden davon abhängig machen; fünftens endlich, wenn
nichts von alledem erreichbar ist, so wird das Ultimatum des Königs sein:
keine Abtretung von seinen alten Besitzungen, sondern alles bleibt auf dem
Fuße vor dem Kriege." Mit einleuchtender Klarheit ergiebt sich aus diesem
Schreiben der eigentliche Sinn jener für England bestimmten Vorschlüge, die
wahre Absicht des Königs.

Nicht anders verhält es sich mit den Äußerungen Friedrichs aus dem
Jahre 1756: der Instruktion für den General Lehwaldt und dem Briefe des
Königs an seinen Bruder, den Prinzen August Wilhelm, vom 19. Februar.
Lehwaldt erhielt in der That die Weisung, im Falle seine gehofften Siege
Nußland demvralisiren würden, in den Friedensverhandlungen Westpreußen
von den Russen als Siegespreis zu fordern. Der König war herzhaft genug,
gleich den günstigsten aller Fälle ins Auge zu fassen. Aber die Weisung selbst
war nur für den Fall erteilt, "wenn es wirklich zum Kriege kommen sollte,"
wenn also die Russen zum Angriff vorgehen sollten. Von einem Angriffe
Lehwaldts und folgeweise von einem freiwilligen Angriffskriege Friedrichs,
der allein die gezogne Folgerung zuließe, ist in der Instruktion nichts zu


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

verbündeten England zu Grunde legen sollte. „Wir brauchen, so heißt es
hier, eine Salbe für unsre Brandwunde, wenn das möglich ist. Man könnte
entweder vorschlagen, daß jeder behält, was er beim Frieden besitzt, oder wenn
man tauschen will, da (Ost-) Preußen und meine rheinischen Besitzungen bei
weitem weniger wert sind als Sachsen, so müßte man an Äquivalente denken,
sei es die Niederlausitz, sei es Westpreußen nach dem Tode des Königs von
Polen, sei es irgend ein beliebiges andres Land, wenn es nur eine Salbe für
die Brandwunde giebt. Der schlimmste Fall wird die Wiederherstellung des
staws ciuo vor dem Kriege sein." Diese Anweisung ist von Lehmann so auf¬
gefaßt worden, als ob der König in erster Linie „gewollt habe, daß jeder
beim Friedensschlüsse das behalte, was er gerade besäße." Er habe also lieber
seine rheinischen Länder den Franzosen (die sie damals besetzt hielten), Ost¬
preußen den okkupirenden Russen überlassen, als Sachsen (das er inne hatte)
herausgeben wollen. Daß aber diese Auslegung den wirklichen Ansichten und
Absichten des Königs nicht entspricht, zeigt unwiderleglich ein Schreiben Eichels,
seines „vertrautesten und eingeweihtesten Kabinettssekretärs," das dieser am
14. November 1759 nach einer Audienz beim König an den Minister Finken¬
stein gerichtet und worin er jene Vorschläge des Königs erläutert hat. „So¬
viel ich habe verstehen können, schreibt Eichel, kann ich mir schmeicheln, daß
alle diese Äußerungen gewissermaßen nur Probleme sind, die der König den
Engländern hinwirft, um zu sehen, wie sie denken, und ob es nicht möglich
sei, wenigstens Kopf oder Flügel zu erwischen; zweitens, um gleich von vorn¬
herein jeder Abtretung, die man vom Könige beanspruchen könnte, vorzubeugen;
drittens wird der König an den Forderungen nicht hartnäckig festhalten und
viertens nicht den Frieden davon abhängig machen; fünftens endlich, wenn
nichts von alledem erreichbar ist, so wird das Ultimatum des Königs sein:
keine Abtretung von seinen alten Besitzungen, sondern alles bleibt auf dem
Fuße vor dem Kriege." Mit einleuchtender Klarheit ergiebt sich aus diesem
Schreiben der eigentliche Sinn jener für England bestimmten Vorschlüge, die
wahre Absicht des Königs.

Nicht anders verhält es sich mit den Äußerungen Friedrichs aus dem
Jahre 1756: der Instruktion für den General Lehwaldt und dem Briefe des
Königs an seinen Bruder, den Prinzen August Wilhelm, vom 19. Februar.
Lehwaldt erhielt in der That die Weisung, im Falle seine gehofften Siege
Nußland demvralisiren würden, in den Friedensverhandlungen Westpreußen
von den Russen als Siegespreis zu fordern. Der König war herzhaft genug,
gleich den günstigsten aller Fälle ins Auge zu fassen. Aber die Weisung selbst
war nur für den Fall erteilt, „wenn es wirklich zum Kriege kommen sollte,"
wenn also die Russen zum Angriff vorgehen sollten. Von einem Angriffe
Lehwaldts und folgeweise von einem freiwilligen Angriffskriege Friedrichs,
der allein die gezogne Folgerung zuließe, ist in der Instruktion nichts zu


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[0074] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges verbündeten England zu Grunde legen sollte. „Wir brauchen, so heißt es hier, eine Salbe für unsre Brandwunde, wenn das möglich ist. Man könnte entweder vorschlagen, daß jeder behält, was er beim Frieden besitzt, oder wenn man tauschen will, da (Ost-) Preußen und meine rheinischen Besitzungen bei weitem weniger wert sind als Sachsen, so müßte man an Äquivalente denken, sei es die Niederlausitz, sei es Westpreußen nach dem Tode des Königs von Polen, sei es irgend ein beliebiges andres Land, wenn es nur eine Salbe für die Brandwunde giebt. Der schlimmste Fall wird die Wiederherstellung des staws ciuo vor dem Kriege sein." Diese Anweisung ist von Lehmann so auf¬ gefaßt worden, als ob der König in erster Linie „gewollt habe, daß jeder beim Friedensschlüsse das behalte, was er gerade besäße." Er habe also lieber seine rheinischen Länder den Franzosen (die sie damals besetzt hielten), Ost¬ preußen den okkupirenden Russen überlassen, als Sachsen (das er inne hatte) herausgeben wollen. Daß aber diese Auslegung den wirklichen Ansichten und Absichten des Königs nicht entspricht, zeigt unwiderleglich ein Schreiben Eichels, seines „vertrautesten und eingeweihtesten Kabinettssekretärs," das dieser am 14. November 1759 nach einer Audienz beim König an den Minister Finken¬ stein gerichtet und worin er jene Vorschläge des Königs erläutert hat. „So¬ viel ich habe verstehen können, schreibt Eichel, kann ich mir schmeicheln, daß alle diese Äußerungen gewissermaßen nur Probleme sind, die der König den Engländern hinwirft, um zu sehen, wie sie denken, und ob es nicht möglich sei, wenigstens Kopf oder Flügel zu erwischen; zweitens, um gleich von vorn¬ herein jeder Abtretung, die man vom Könige beanspruchen könnte, vorzubeugen; drittens wird der König an den Forderungen nicht hartnäckig festhalten und viertens nicht den Frieden davon abhängig machen; fünftens endlich, wenn nichts von alledem erreichbar ist, so wird das Ultimatum des Königs sein: keine Abtretung von seinen alten Besitzungen, sondern alles bleibt auf dem Fuße vor dem Kriege." Mit einleuchtender Klarheit ergiebt sich aus diesem Schreiben der eigentliche Sinn jener für England bestimmten Vorschlüge, die wahre Absicht des Königs. Nicht anders verhält es sich mit den Äußerungen Friedrichs aus dem Jahre 1756: der Instruktion für den General Lehwaldt und dem Briefe des Königs an seinen Bruder, den Prinzen August Wilhelm, vom 19. Februar. Lehwaldt erhielt in der That die Weisung, im Falle seine gehofften Siege Nußland demvralisiren würden, in den Friedensverhandlungen Westpreußen von den Russen als Siegespreis zu fordern. Der König war herzhaft genug, gleich den günstigsten aller Fälle ins Auge zu fassen. Aber die Weisung selbst war nur für den Fall erteilt, „wenn es wirklich zum Kriege kommen sollte," wenn also die Russen zum Angriff vorgehen sollten. Von einem Angriffe Lehwaldts und folgeweise von einem freiwilligen Angriffskriege Friedrichs, der allein die gezogne Folgerung zuließe, ist in der Instruktion nichts zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/74>, abgerufen am 27.11.2024.