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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

um es, wie jetzt erwiesen ist, dadurch zum Frieden zum zwingen. Er seiner¬
seits lehnte die Besetzung Hannovers entschieden ab, da ihm alles darauf
ankam, sich inmitten der Mächte zu behaupten und den allgemeinen Frieden
zu sichern. Die französische Politik aber, das stellte sich immer klarer heraus,
wollte Preußen nur zum Angriff auf die deutschen Besitzungen des englischen
Königshauses benutzen, ohne als Gegenleistung einen ernsten Schutz gegen die
feindlichen Absichten Österreichs und Englands zu bieten. Gleichzeitig ver-
folgte Maria Theresia beharrlich den Plan, ein Bündnis mit Frankreich ein¬
zugehen und die unerschöpflichen Hilfsquellen des mit Frankreich verfeindeten
britischen Reiches gegen Preußen auszubeuten. Das englische Kabinett wiederum
suchte gegen Frankreich und Preußen eine Stütze in Österreich und Rußland
und vereinbarte in dem Augenblicke, wo ein russisches Heer im englischen
Interesse zum Einmarsch in Deutschland bereitstand, mit Friedrich den Vertrag
von Westminster, der auch nach den neuesten Untersuchungen lediglich der Er¬
haltung des Friedens zu dienen bestimmt war. Er sollte den König vor
einem großen Kriege mit Nußland und Österreich bewahren, sollte Russen
sowohl als Franzosen vom Einmarsch in Deutschland abhalten, sollte Österreich
isoliren und ihm wie Nußland die englischen Geldmittel abschneiden, die den
beiden Kaisermächten zu einem erfolgreichen Angriff auf Preußen unentbehrlich
waren. Dabei schmeichelte sich Friedrich mit der Hoffnung, in einem Bündnis
mit Frankreich bleiben zu können, und lebte des zuversichtlichen Glaubens, eine
große, vermittelnde Stellung zwischen den Weltmächten errungen zu haben.
Den Franzosen setzte er auseinander, daß er nicht anders habe handeln können,
daß er sie durch die Konvention vor einem gefährlichen Kriege gegen Rußland
bewahre, daß sie den Krieg gegen England besser zur See führten usw.

Der Anschluß an England mag als ein unheilvoller Fehler getadelt
werden; erwiesen sich doch, wie die spätern Ereignisse lehrten, alle darauf ge¬
gründeten Berechnungen Friedrichs als falsch, wie denn überhaupt seine aus¬
wärtige Politik, am wenigsten in den Jahren vor dem Ausbruch des sieben¬
jährigen Krieges, keinen allzu großen Anspruch auf Bewunderung machen
kann. Aber Angriffsabsichten gegen Österreich und Sachsen schließt er völlig
aus. Ebenso kann aus der Geringschätzung, mit der Friedrich über seine
Gegner geurteilt haben soll, unmöglich ein Beweis sür Angriffspläne hergeleitet
werden. Friedrichs Politik vor dem Kriege "war argwöhnisch und leichtgläubig,
kurzsichtig und überstürzend, aber kriegslüstern war sie nicht. Und wenn der
Geist der Geschichte den Historiker Friedrich später gefragt hat, nicht nur, was
der Vertrag von Westminster bedeutet, sondern was er selbst sich im innersten
Herzen bei seinem Abschluß gedacht habe, so durfte er ihm nur die Worte
zeigen, mit denen er seinen Gesandten am 4. Januar 1756 instruirt hatte: er
möge dafür sorgen, daß er nicht in einen Krieg verwickelt werde."

Weiter führt Lehmann aus, Friedrich habe, gerade um seine Angriffs-


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

um es, wie jetzt erwiesen ist, dadurch zum Frieden zum zwingen. Er seiner¬
seits lehnte die Besetzung Hannovers entschieden ab, da ihm alles darauf
ankam, sich inmitten der Mächte zu behaupten und den allgemeinen Frieden
zu sichern. Die französische Politik aber, das stellte sich immer klarer heraus,
wollte Preußen nur zum Angriff auf die deutschen Besitzungen des englischen
Königshauses benutzen, ohne als Gegenleistung einen ernsten Schutz gegen die
feindlichen Absichten Österreichs und Englands zu bieten. Gleichzeitig ver-
folgte Maria Theresia beharrlich den Plan, ein Bündnis mit Frankreich ein¬
zugehen und die unerschöpflichen Hilfsquellen des mit Frankreich verfeindeten
britischen Reiches gegen Preußen auszubeuten. Das englische Kabinett wiederum
suchte gegen Frankreich und Preußen eine Stütze in Österreich und Rußland
und vereinbarte in dem Augenblicke, wo ein russisches Heer im englischen
Interesse zum Einmarsch in Deutschland bereitstand, mit Friedrich den Vertrag
von Westminster, der auch nach den neuesten Untersuchungen lediglich der Er¬
haltung des Friedens zu dienen bestimmt war. Er sollte den König vor
einem großen Kriege mit Nußland und Österreich bewahren, sollte Russen
sowohl als Franzosen vom Einmarsch in Deutschland abhalten, sollte Österreich
isoliren und ihm wie Nußland die englischen Geldmittel abschneiden, die den
beiden Kaisermächten zu einem erfolgreichen Angriff auf Preußen unentbehrlich
waren. Dabei schmeichelte sich Friedrich mit der Hoffnung, in einem Bündnis
mit Frankreich bleiben zu können, und lebte des zuversichtlichen Glaubens, eine
große, vermittelnde Stellung zwischen den Weltmächten errungen zu haben.
Den Franzosen setzte er auseinander, daß er nicht anders habe handeln können,
daß er sie durch die Konvention vor einem gefährlichen Kriege gegen Rußland
bewahre, daß sie den Krieg gegen England besser zur See führten usw.

Der Anschluß an England mag als ein unheilvoller Fehler getadelt
werden; erwiesen sich doch, wie die spätern Ereignisse lehrten, alle darauf ge¬
gründeten Berechnungen Friedrichs als falsch, wie denn überhaupt seine aus¬
wärtige Politik, am wenigsten in den Jahren vor dem Ausbruch des sieben¬
jährigen Krieges, keinen allzu großen Anspruch auf Bewunderung machen
kann. Aber Angriffsabsichten gegen Österreich und Sachsen schließt er völlig
aus. Ebenso kann aus der Geringschätzung, mit der Friedrich über seine
Gegner geurteilt haben soll, unmöglich ein Beweis sür Angriffspläne hergeleitet
werden. Friedrichs Politik vor dem Kriege „war argwöhnisch und leichtgläubig,
kurzsichtig und überstürzend, aber kriegslüstern war sie nicht. Und wenn der
Geist der Geschichte den Historiker Friedrich später gefragt hat, nicht nur, was
der Vertrag von Westminster bedeutet, sondern was er selbst sich im innersten
Herzen bei seinem Abschluß gedacht habe, so durfte er ihm nur die Worte
zeigen, mit denen er seinen Gesandten am 4. Januar 1756 instruirt hatte: er
möge dafür sorgen, daß er nicht in einen Krieg verwickelt werde."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/70>, abgerufen am 01.09.2024.