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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

In Wahrheit liegt die Sache so, wie Naudv aus den Wiener Militär¬
akten nachgewiesen hat: Österreich betrieb seine Rüstungen im April, Mai und
Juni im geheimen und führte sie im Juli und August offen und mit großer Eile
und Energie weiter, nicht, wie Lehmann meint, der übrigens dieselben Wiener
Akten benutzt hat, erst seit dem 8. Juli und dann auch noch laugsam und
schwerfällig. Die Denkschrift Kochs giebt nun bezüglich der schon im Gange
befindlichen geheimen Angriffsrüstungen einige vortreffliche Ratschläge, die von
der Kaiserin sofort angenommen wurden, und nach denen dann auch verfahren
worden ist. Aber selbst die offnen und umfassenden Rüstungen Österreichs seit
demi 8. Juli sind nicht durch die preußische Mobilmachung im Juni veranlaßt
worden. Auch das hat Naudv kürzlich in eingehender Darstellung nachgewiesen.
Über die geheimen Rüstungen Österreichs giebt unter anderm auch ein an das
Versciiller Kabinett gerichteter Bericht des französischen Gesandten in Wien,
Aubeterre, Auskunft, eines gewandten, einsichtsvollen Diplomaten. Aus ihm
geht unzweifelhaft hervor, daß bereits im Juni in Böhmen und Mähren befestigte
Lager angelegt wurden. Was aber der französische Geschäftsträger über die
Rüstungen in Erfahrung gebracht hat, wird auch dem preußischen Gesandten
nicht entgangen sein. Mochten diese Mitteilungen nun objektiv wahr oder falsch
sein, niemand wird es dem Könige verübeln, daß er daraus für sich die nötigen
Folgerungen zog.

Nach Lehmanns Auffassung war die politische und militärische Lage
Friedrichs vor dem siebenjährigen Kriege so günstig gewesen, daß der König
in der freudigen Hoffnung, Sachsen zu erobern, den Krieg habe beginnen können.
Durch seinen Anschluß an England habe er seinen geldbedürftigen Feinden
dessen reiche Hilfsmittel entzogen. Frankreich und Nußland seien nicht besonders
zu fürchten, und Österreich sei mit diesen Mächten nur zur Verteidigung ver¬
bunden gewesen. Außerdem sei im Gegensatz zu der Histoirs als 1a Ansrrs as
hope M8 in der 1757 verfaßten ^polo^is der Nachweis von höchster Wichtig¬
keit, daß der König im Sommer 1756 "unmöglich das Dasein einer allge¬
meinen Verschwörung habe annehmen können."

Aber der angebliche Widerspruch zwischen beiden Zeugnissen ist, wie schon
Prutz überzeugend dargelegt hat, gar nicht vorhanden. Die betreffenden Stellen
"stehen vielmehr mit einander in größter Übereinstimmung und ergänzen und
erläutern einander aufs beste." Die ^poloAs, im Juli 1757 unter dem
Eindruck der dnrch die Koliner Niederlage herbeigeführten schweren Krisis ge¬
schrieben, sucht angesichts der drohenden verhängnisvollen Wendung die Hand¬
lungsweise des Königs in den Augen seines eignen Volkes zu rechtfertigen.
Nach einer zusammenfassenden Darstellung der diplomatischen Verhandlungen
und der militärische" Rüstungen betont er mit Recht, daß er nicht habe voraus¬
setzen können, Frankreich werde sich in einen seinen Interessen völlig entgegen¬
gesetzten Krieg stürzen, und nennt ganz richtig den Versciiller Vertrag vom


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

In Wahrheit liegt die Sache so, wie Naudv aus den Wiener Militär¬
akten nachgewiesen hat: Österreich betrieb seine Rüstungen im April, Mai und
Juni im geheimen und führte sie im Juli und August offen und mit großer Eile
und Energie weiter, nicht, wie Lehmann meint, der übrigens dieselben Wiener
Akten benutzt hat, erst seit dem 8. Juli und dann auch noch laugsam und
schwerfällig. Die Denkschrift Kochs giebt nun bezüglich der schon im Gange
befindlichen geheimen Angriffsrüstungen einige vortreffliche Ratschläge, die von
der Kaiserin sofort angenommen wurden, und nach denen dann auch verfahren
worden ist. Aber selbst die offnen und umfassenden Rüstungen Österreichs seit
demi 8. Juli sind nicht durch die preußische Mobilmachung im Juni veranlaßt
worden. Auch das hat Naudv kürzlich in eingehender Darstellung nachgewiesen.
Über die geheimen Rüstungen Österreichs giebt unter anderm auch ein an das
Versciiller Kabinett gerichteter Bericht des französischen Gesandten in Wien,
Aubeterre, Auskunft, eines gewandten, einsichtsvollen Diplomaten. Aus ihm
geht unzweifelhaft hervor, daß bereits im Juni in Böhmen und Mähren befestigte
Lager angelegt wurden. Was aber der französische Geschäftsträger über die
Rüstungen in Erfahrung gebracht hat, wird auch dem preußischen Gesandten
nicht entgangen sein. Mochten diese Mitteilungen nun objektiv wahr oder falsch
sein, niemand wird es dem Könige verübeln, daß er daraus für sich die nötigen
Folgerungen zog.

Nach Lehmanns Auffassung war die politische und militärische Lage
Friedrichs vor dem siebenjährigen Kriege so günstig gewesen, daß der König
in der freudigen Hoffnung, Sachsen zu erobern, den Krieg habe beginnen können.
Durch seinen Anschluß an England habe er seinen geldbedürftigen Feinden
dessen reiche Hilfsmittel entzogen. Frankreich und Nußland seien nicht besonders
zu fürchten, und Österreich sei mit diesen Mächten nur zur Verteidigung ver¬
bunden gewesen. Außerdem sei im Gegensatz zu der Histoirs als 1a Ansrrs as
hope M8 in der 1757 verfaßten ^polo^is der Nachweis von höchster Wichtig¬
keit, daß der König im Sommer 1756 „unmöglich das Dasein einer allge¬
meinen Verschwörung habe annehmen können."

Aber der angebliche Widerspruch zwischen beiden Zeugnissen ist, wie schon
Prutz überzeugend dargelegt hat, gar nicht vorhanden. Die betreffenden Stellen
„stehen vielmehr mit einander in größter Übereinstimmung und ergänzen und
erläutern einander aufs beste." Die ^poloAs, im Juli 1757 unter dem
Eindruck der dnrch die Koliner Niederlage herbeigeführten schweren Krisis ge¬
schrieben, sucht angesichts der drohenden verhängnisvollen Wendung die Hand¬
lungsweise des Königs in den Augen seines eignen Volkes zu rechtfertigen.
Nach einer zusammenfassenden Darstellung der diplomatischen Verhandlungen
und der militärische» Rüstungen betont er mit Recht, daß er nicht habe voraus¬
setzen können, Frankreich werde sich in einen seinen Interessen völlig entgegen¬
gesetzten Krieg stürzen, und nennt ganz richtig den Versciiller Vertrag vom


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[0068] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges In Wahrheit liegt die Sache so, wie Naudv aus den Wiener Militär¬ akten nachgewiesen hat: Österreich betrieb seine Rüstungen im April, Mai und Juni im geheimen und führte sie im Juli und August offen und mit großer Eile und Energie weiter, nicht, wie Lehmann meint, der übrigens dieselben Wiener Akten benutzt hat, erst seit dem 8. Juli und dann auch noch laugsam und schwerfällig. Die Denkschrift Kochs giebt nun bezüglich der schon im Gange befindlichen geheimen Angriffsrüstungen einige vortreffliche Ratschläge, die von der Kaiserin sofort angenommen wurden, und nach denen dann auch verfahren worden ist. Aber selbst die offnen und umfassenden Rüstungen Österreichs seit demi 8. Juli sind nicht durch die preußische Mobilmachung im Juni veranlaßt worden. Auch das hat Naudv kürzlich in eingehender Darstellung nachgewiesen. Über die geheimen Rüstungen Österreichs giebt unter anderm auch ein an das Versciiller Kabinett gerichteter Bericht des französischen Gesandten in Wien, Aubeterre, Auskunft, eines gewandten, einsichtsvollen Diplomaten. Aus ihm geht unzweifelhaft hervor, daß bereits im Juni in Böhmen und Mähren befestigte Lager angelegt wurden. Was aber der französische Geschäftsträger über die Rüstungen in Erfahrung gebracht hat, wird auch dem preußischen Gesandten nicht entgangen sein. Mochten diese Mitteilungen nun objektiv wahr oder falsch sein, niemand wird es dem Könige verübeln, daß er daraus für sich die nötigen Folgerungen zog. Nach Lehmanns Auffassung war die politische und militärische Lage Friedrichs vor dem siebenjährigen Kriege so günstig gewesen, daß der König in der freudigen Hoffnung, Sachsen zu erobern, den Krieg habe beginnen können. Durch seinen Anschluß an England habe er seinen geldbedürftigen Feinden dessen reiche Hilfsmittel entzogen. Frankreich und Nußland seien nicht besonders zu fürchten, und Österreich sei mit diesen Mächten nur zur Verteidigung ver¬ bunden gewesen. Außerdem sei im Gegensatz zu der Histoirs als 1a Ansrrs as hope M8 in der 1757 verfaßten ^polo^is der Nachweis von höchster Wichtig¬ keit, daß der König im Sommer 1756 „unmöglich das Dasein einer allge¬ meinen Verschwörung habe annehmen können." Aber der angebliche Widerspruch zwischen beiden Zeugnissen ist, wie schon Prutz überzeugend dargelegt hat, gar nicht vorhanden. Die betreffenden Stellen „stehen vielmehr mit einander in größter Übereinstimmung und ergänzen und erläutern einander aufs beste." Die ^poloAs, im Juli 1757 unter dem Eindruck der dnrch die Koliner Niederlage herbeigeführten schweren Krisis ge¬ schrieben, sucht angesichts der drohenden verhängnisvollen Wendung die Hand¬ lungsweise des Königs in den Augen seines eignen Volkes zu rechtfertigen. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der diplomatischen Verhandlungen und der militärische» Rüstungen betont er mit Recht, daß er nicht habe voraus¬ setzen können, Frankreich werde sich in einen seinen Interessen völlig entgegen¬ gesetzten Krieg stürzen, und nennt ganz richtig den Versciiller Vertrag vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/68>, abgerufen am 01.09.2024.