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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

man eigentlich noch von Thaten entfernt war. Nimmt man hinzu, daß Mitte
Juni aus der geheimen Dresdner Quelle ein Bericht des sächsischen Gesandten
in Wien eingelaufen war, wonach der französisch-österreichische Vertrag in
Petersburg sehr verstimmt hatte, so scheust es nur natürlich, das; Friedrich um
diese Zeit an seinen Gesandten in Wien schrieb, es scheine ihm, daß dieses
Jahr noch friedlich verlaufen werde.

Aber jeder Tag brachte neue beunruhigende Nachrichten. Am 17. Juni
traf der englische Kurier Pollock aus Petersburg in Berlin ein und meldete,
daß von Narwa bei Riga und Mitau alle Straßen mit marschierenden Truppen
bedeckt seien, nud daß in Petersburg das Gerücht umlaufe, Rußland wolle
im Verein mit Osterreich Preußen angreifen. Noch an demselben Tage langte
eine Nachricht über österreichische Rüstungen aus Wien an, und der Ober-
Prüsident von Schlesien, Schlabrendorsf, berichtete aus Breslau, daß Tag und
Nacht an der Befestigung von Olmütz gearbeitet werde, daß man Vorberei¬
tungen zur Bildung von Magazinen treffe, daß die ungarische Kavallerie
Marschordre nach Mähren erhalten habe, und einige Regimenter schon auf dem
Marsche seien.

Auf diese Nachrichten hin, die Lehmann in seinem Buche gar nicht er¬
wähnt und an einer andern Stelle -- in einer Entgegnung an seine Kritiker --
für falsch oder für unverständlich und sogar sür kindischen Klatsch des preu¬
ßischen Gesandten in Wien erklärt, begann Friedrich in der Stille mit Kriegs¬
vorbereitungen.

Freilich widersprechen einander die Nachrichten, die wiederholt über die
Rüstungen der Gegner einliefen -- hatte doch noch Maltzahn in einem Be¬
richt vom 13. Juni das österreichisch-russisch-französische Bündnis als höchst
zweifelhaft hingestellt --, auch waren die Mitteilungen nicht selten unbeglaubigt
und unbestimmt; aber gerade die Häufigkeit der Meldungen mußte in dem arg¬
wöhnischen Gemüte des Königs die Überzeugung wachrufen, daß ein Bündnis
im Entstehen, ein Angriff auf Preußen geplant sei. In dieser Auffassung
wird man bestärkt, wenn man erwägt, daß Friedrich in Maria Theresia und
Kaunitz Feinde hatte, die alles aufboten, das Verlorne Schlesien wiederzuge¬
winnen, und daß die eifersüchtigen Nachbarstaaten seinen und seines Reiches
Sturz mit Genugthuung begrüßt haben würden.

Nachdem Lehmann im zweiten Abschnitt die allgemeine politische Lage im
Juni 1756 geschildert hat, schließt er mit dem Hinweis auf die österreichische
Sorge vor einem preußischen Überfall. Er beuutzt hierzu hauptsächlich die ge¬
heime Denkschrift "eines der besten Kenner des österreichischen Heerwesens,"
des Kabinettssekretärs Baron Koch, die der Kaiserin etwa am 16. Mai über¬
reicht wurde, und worin sie gebeten wird, "wenigstens einige Vorsichtsma߬
regeln zu ergreifen." Also: die am 17. Juni beginnenden Rüstungen Preußens
geben schon im Monat Mai Koch zu ernsten Befürchtungen Veranlassung!


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

man eigentlich noch von Thaten entfernt war. Nimmt man hinzu, daß Mitte
Juni aus der geheimen Dresdner Quelle ein Bericht des sächsischen Gesandten
in Wien eingelaufen war, wonach der französisch-österreichische Vertrag in
Petersburg sehr verstimmt hatte, so scheust es nur natürlich, das; Friedrich um
diese Zeit an seinen Gesandten in Wien schrieb, es scheine ihm, daß dieses
Jahr noch friedlich verlaufen werde.

Aber jeder Tag brachte neue beunruhigende Nachrichten. Am 17. Juni
traf der englische Kurier Pollock aus Petersburg in Berlin ein und meldete,
daß von Narwa bei Riga und Mitau alle Straßen mit marschierenden Truppen
bedeckt seien, nud daß in Petersburg das Gerücht umlaufe, Rußland wolle
im Verein mit Osterreich Preußen angreifen. Noch an demselben Tage langte
eine Nachricht über österreichische Rüstungen aus Wien an, und der Ober-
Prüsident von Schlesien, Schlabrendorsf, berichtete aus Breslau, daß Tag und
Nacht an der Befestigung von Olmütz gearbeitet werde, daß man Vorberei¬
tungen zur Bildung von Magazinen treffe, daß die ungarische Kavallerie
Marschordre nach Mähren erhalten habe, und einige Regimenter schon auf dem
Marsche seien.

Auf diese Nachrichten hin, die Lehmann in seinem Buche gar nicht er¬
wähnt und an einer andern Stelle — in einer Entgegnung an seine Kritiker —
für falsch oder für unverständlich und sogar sür kindischen Klatsch des preu¬
ßischen Gesandten in Wien erklärt, begann Friedrich in der Stille mit Kriegs¬
vorbereitungen.

Freilich widersprechen einander die Nachrichten, die wiederholt über die
Rüstungen der Gegner einliefen — hatte doch noch Maltzahn in einem Be¬
richt vom 13. Juni das österreichisch-russisch-französische Bündnis als höchst
zweifelhaft hingestellt —, auch waren die Mitteilungen nicht selten unbeglaubigt
und unbestimmt; aber gerade die Häufigkeit der Meldungen mußte in dem arg¬
wöhnischen Gemüte des Königs die Überzeugung wachrufen, daß ein Bündnis
im Entstehen, ein Angriff auf Preußen geplant sei. In dieser Auffassung
wird man bestärkt, wenn man erwägt, daß Friedrich in Maria Theresia und
Kaunitz Feinde hatte, die alles aufboten, das Verlorne Schlesien wiederzuge¬
winnen, und daß die eifersüchtigen Nachbarstaaten seinen und seines Reiches
Sturz mit Genugthuung begrüßt haben würden.

Nachdem Lehmann im zweiten Abschnitt die allgemeine politische Lage im
Juni 1756 geschildert hat, schließt er mit dem Hinweis auf die österreichische
Sorge vor einem preußischen Überfall. Er beuutzt hierzu hauptsächlich die ge¬
heime Denkschrift „eines der besten Kenner des österreichischen Heerwesens,"
des Kabinettssekretärs Baron Koch, die der Kaiserin etwa am 16. Mai über¬
reicht wurde, und worin sie gebeten wird, „wenigstens einige Vorsichtsma߬
regeln zu ergreifen." Also: die am 17. Juni beginnenden Rüstungen Preußens
geben schon im Monat Mai Koch zu ernsten Befürchtungen Veranlassung!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/67>, abgerufen am 26.11.2024.