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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große "ut der Ursprung des siebenjährigen Krieges

sagen, daß sie zwar äußerst bestechend, aber, weil sie die von Lehmann geschaffnen
Grundlagen als zuverlässig angesehen hat, keineswegs überzeugend wirkt.

Lehmann giebt im ersten Abschnitt seines Werkes eine vortreffliche, überall
zutreffende Übersicht über die militärische und finanzielle Lage Preußens und
Österreichs in den Jahren 1745 bis 1756, wobei er zu dem Schluß kommt,
daß Friedrich seiner Gegnerin in Bezug auf Geld- und Armeeverhültnisfe weit
überlegen war. Die Thatsache war längst bekannt, aber sie wird hier durch
neue, aus deu Wiener Archiven geschöpfte Nachrichten in interessanter Weise
beleuchtet und bestätigt. Weiter sucht Lehmann den wichtigen Nachweis zu
liefern, daß der König schon am 17. Juni zu rüsten begonnen habe, daß Ende
des Monats mehr als die Hälfte seines Heeres mobil gewesen sei, daß da¬
gegen in Wien erst am 8. Juli die Nüstungskommisston zusammengetreten sei.

Abgesehen nun davon, daß die Priorität der preußischen Rüstungen nicht
die Frage zu entscheiden vermag, ob sie zur Verteidigung oder zum Angriff
unternommen waren, darf billig bezweifelt werden, daß die Vorbereitungen des
Königs schon eine wirkliche Mobilmachung gewesen seien. Die von Lehmann zum
Beweis herangezogncn Thatsachen sind so winzig, daß ihnen keine überzeugende
Beweiskraft zugesprochen werden kann; auch der Garnisonwechsel der pommer-
schen und brandenburgischen Regimenter nicht, um so weniger, als damit keine
Dislokation der Truppen nach der österreichischen Grenze verbunden war. Der
Garnisonwcchsel war eine Demonstration gegen Rußland, er sollte diesem gering
geachteten Feinde, der auch nach Lehmann zuerst mit deu Rüstungen begonnen
hatte, klar machen, daß Preußen auf der Wacht sei. Wenn Lehmann weiter
behauptet, daß Ende Juni bereits mehr als die Hälfte des preußischen Heeres
mobil war, so will Naudv demnächst auf Grund neuer archivalischer Forschungen
in Wien, Berlin, Darmstadt, Zerbst, Paris, London, Budapest den aktenmäßigcn
Nachweis führen, daß um diese Zeit kein einziges preußisches Regiment kriegs¬
bereit war.

Daß den Kriegsvorbereitungen Friedrichs auch am Wiener Hofe, wo man
über die Vorgänge in Preußen stets gut unterrichtet war, keine besondre Be¬
deutung beigemessen worden ist, zeigt, um mit Lehmann zu reden, der lang¬
same, schleppende Gang der Gegenmaßregeln, die dort getroffen wurden. Be¬
kanntlich hatte der preußische Gesandte in Dresden, von Maltzahn, einen
sächsischen Kanzlisten namens Menzel bestochen, daß er ihm die bei seinem
Chef, dem Minister Graf Brühl, einlaufenden Gesandtschaftsberichte abschrieb
und auslieferte. Durch Menzel erhielt Friedrich zuerst Kunde von den Ab¬
sichten des russischen Hofes. Die Zarin werde Österreich hilfreich beispringe",
wenn es von Preußen oder Frankreich angegriffen werden sollte. Brühl möge
"ach Petersburg die Nachricht gelangen lassen, daß der König von Preußen
die Kosaken der Ukraine zum Aufstand aufreizen lasse. Bestuscheff habe Preußen
den Untergang geschworen usw. Aber diese Umtriebe zeigen doch nur, wie weit


Friedrich der Große »ut der Ursprung des siebenjährigen Krieges

sagen, daß sie zwar äußerst bestechend, aber, weil sie die von Lehmann geschaffnen
Grundlagen als zuverlässig angesehen hat, keineswegs überzeugend wirkt.

Lehmann giebt im ersten Abschnitt seines Werkes eine vortreffliche, überall
zutreffende Übersicht über die militärische und finanzielle Lage Preußens und
Österreichs in den Jahren 1745 bis 1756, wobei er zu dem Schluß kommt,
daß Friedrich seiner Gegnerin in Bezug auf Geld- und Armeeverhültnisfe weit
überlegen war. Die Thatsache war längst bekannt, aber sie wird hier durch
neue, aus deu Wiener Archiven geschöpfte Nachrichten in interessanter Weise
beleuchtet und bestätigt. Weiter sucht Lehmann den wichtigen Nachweis zu
liefern, daß der König schon am 17. Juni zu rüsten begonnen habe, daß Ende
des Monats mehr als die Hälfte seines Heeres mobil gewesen sei, daß da¬
gegen in Wien erst am 8. Juli die Nüstungskommisston zusammengetreten sei.

Abgesehen nun davon, daß die Priorität der preußischen Rüstungen nicht
die Frage zu entscheiden vermag, ob sie zur Verteidigung oder zum Angriff
unternommen waren, darf billig bezweifelt werden, daß die Vorbereitungen des
Königs schon eine wirkliche Mobilmachung gewesen seien. Die von Lehmann zum
Beweis herangezogncn Thatsachen sind so winzig, daß ihnen keine überzeugende
Beweiskraft zugesprochen werden kann; auch der Garnisonwechsel der pommer-
schen und brandenburgischen Regimenter nicht, um so weniger, als damit keine
Dislokation der Truppen nach der österreichischen Grenze verbunden war. Der
Garnisonwcchsel war eine Demonstration gegen Rußland, er sollte diesem gering
geachteten Feinde, der auch nach Lehmann zuerst mit deu Rüstungen begonnen
hatte, klar machen, daß Preußen auf der Wacht sei. Wenn Lehmann weiter
behauptet, daß Ende Juni bereits mehr als die Hälfte des preußischen Heeres
mobil war, so will Naudv demnächst auf Grund neuer archivalischer Forschungen
in Wien, Berlin, Darmstadt, Zerbst, Paris, London, Budapest den aktenmäßigcn
Nachweis führen, daß um diese Zeit kein einziges preußisches Regiment kriegs¬
bereit war.

Daß den Kriegsvorbereitungen Friedrichs auch am Wiener Hofe, wo man
über die Vorgänge in Preußen stets gut unterrichtet war, keine besondre Be¬
deutung beigemessen worden ist, zeigt, um mit Lehmann zu reden, der lang¬
same, schleppende Gang der Gegenmaßregeln, die dort getroffen wurden. Be¬
kanntlich hatte der preußische Gesandte in Dresden, von Maltzahn, einen
sächsischen Kanzlisten namens Menzel bestochen, daß er ihm die bei seinem
Chef, dem Minister Graf Brühl, einlaufenden Gesandtschaftsberichte abschrieb
und auslieferte. Durch Menzel erhielt Friedrich zuerst Kunde von den Ab¬
sichten des russischen Hofes. Die Zarin werde Österreich hilfreich beispringe»,
wenn es von Preußen oder Frankreich angegriffen werden sollte. Brühl möge
»ach Petersburg die Nachricht gelangen lassen, daß der König von Preußen
die Kosaken der Ukraine zum Aufstand aufreizen lasse. Bestuscheff habe Preußen
den Untergang geschworen usw. Aber diese Umtriebe zeigen doch nur, wie weit


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[0066] Friedrich der Große »ut der Ursprung des siebenjährigen Krieges sagen, daß sie zwar äußerst bestechend, aber, weil sie die von Lehmann geschaffnen Grundlagen als zuverlässig angesehen hat, keineswegs überzeugend wirkt. Lehmann giebt im ersten Abschnitt seines Werkes eine vortreffliche, überall zutreffende Übersicht über die militärische und finanzielle Lage Preußens und Österreichs in den Jahren 1745 bis 1756, wobei er zu dem Schluß kommt, daß Friedrich seiner Gegnerin in Bezug auf Geld- und Armeeverhültnisfe weit überlegen war. Die Thatsache war längst bekannt, aber sie wird hier durch neue, aus deu Wiener Archiven geschöpfte Nachrichten in interessanter Weise beleuchtet und bestätigt. Weiter sucht Lehmann den wichtigen Nachweis zu liefern, daß der König schon am 17. Juni zu rüsten begonnen habe, daß Ende des Monats mehr als die Hälfte seines Heeres mobil gewesen sei, daß da¬ gegen in Wien erst am 8. Juli die Nüstungskommisston zusammengetreten sei. Abgesehen nun davon, daß die Priorität der preußischen Rüstungen nicht die Frage zu entscheiden vermag, ob sie zur Verteidigung oder zum Angriff unternommen waren, darf billig bezweifelt werden, daß die Vorbereitungen des Königs schon eine wirkliche Mobilmachung gewesen seien. Die von Lehmann zum Beweis herangezogncn Thatsachen sind so winzig, daß ihnen keine überzeugende Beweiskraft zugesprochen werden kann; auch der Garnisonwechsel der pommer- schen und brandenburgischen Regimenter nicht, um so weniger, als damit keine Dislokation der Truppen nach der österreichischen Grenze verbunden war. Der Garnisonwcchsel war eine Demonstration gegen Rußland, er sollte diesem gering geachteten Feinde, der auch nach Lehmann zuerst mit deu Rüstungen begonnen hatte, klar machen, daß Preußen auf der Wacht sei. Wenn Lehmann weiter behauptet, daß Ende Juni bereits mehr als die Hälfte des preußischen Heeres mobil war, so will Naudv demnächst auf Grund neuer archivalischer Forschungen in Wien, Berlin, Darmstadt, Zerbst, Paris, London, Budapest den aktenmäßigcn Nachweis führen, daß um diese Zeit kein einziges preußisches Regiment kriegs¬ bereit war. Daß den Kriegsvorbereitungen Friedrichs auch am Wiener Hofe, wo man über die Vorgänge in Preußen stets gut unterrichtet war, keine besondre Be¬ deutung beigemessen worden ist, zeigt, um mit Lehmann zu reden, der lang¬ same, schleppende Gang der Gegenmaßregeln, die dort getroffen wurden. Be¬ kanntlich hatte der preußische Gesandte in Dresden, von Maltzahn, einen sächsischen Kanzlisten namens Menzel bestochen, daß er ihm die bei seinem Chef, dem Minister Graf Brühl, einlaufenden Gesandtschaftsberichte abschrieb und auslieferte. Durch Menzel erhielt Friedrich zuerst Kunde von den Ab¬ sichten des russischen Hofes. Die Zarin werde Österreich hilfreich beispringe», wenn es von Preußen oder Frankreich angegriffen werden sollte. Brühl möge »ach Petersburg die Nachricht gelangen lassen, daß der König von Preußen die Kosaken der Ukraine zum Aufstand aufreizen lasse. Bestuscheff habe Preußen den Untergang geschworen usw. Aber diese Umtriebe zeigen doch nur, wie weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/66>, abgerufen am 01.09.2024.