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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Agrarische Sünden vor hundert Jahren

Gutsbesitz gelangten Spekulanten sich in Betreff des so ganz eigentlich nur
herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten, indem sie bei aller
Höhe der Getreidepreise deren weiteres Steigen, als im fortwährenden Sinken
des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen. Und diese Meinung
wirkte auf sie um so verderblicher, als inzwischen bei den Gutsbesitzern das
sparende Sammeln ganz außer Gewohnheit gekommen war und dieselben nnr
dahin strebten, durch glänzende Bauten und üppiges Leben den Glauben an
ihre Vermögenden zu steigern. Diese vornehmlich den Besitzern großer Land¬
güter zu gute gekommnen Verhältnisse änderten sich seit dem Jahre 1806 bis
jetzt her in so ganz entgegengesetzter Weise, daß jetzt, nach Verschiedenheit der
Gegenden, im vorgedachten (dem östlichen) Teile des preußischen Staates die
Güter um ein Drittel, um die Hälfte, ja selbst um zwei Drittel ihres sonstigen
Ertrages sich vermindert haben, ja daß sogar in den von Berlin am ent¬
ferntesten nordöstlich gelegnen Provinzen die Güter ganz unverkäuflich ge¬
worden sind."

Mit diesen, wie der Verfasser sehr richtig sagt, "so ganz eigentlich nur
herausgerechneten Vermögen" traten die preußische,: Rittergutsbesitzer in die
mit 1806 zum Ausbruch kommende Krisis ein. Die Krankheit selbst war, wie
man sieht, lange vorher entstanden, und die Krisis mußte kommen, mit oder
ohne Krieg. Der Krieg veranlaßte nur, daß sie schon 1806 hervortrat. Die
sieben Kriegsjahre legten allen preußischen Staatsbürgern schwere Opfer auf,
und ganz besonders schwere den Grundbesitzern. Deutschland soll seinem
Osten nie vergessen, was es ihm damals schuldig geworden ist. Aber ver¬
gessen sollte man in Preußen auch nicht, wie das gleich nach dem Kriege ge-
borne ostdeutsche Agrariertum nicht nur die Heimzahlung der im Kriege
gebrachten Opfer verlangte, sondern mit echt agrarischer Unverfrorenheit vom
Staate die Umwandlung jener in schwindelhafter Spekulation "so ganz eigentlich
nur herausgcrechneten" Vermögen in vollwichtige Werte aus andrer Leute
Taschen forderte. Schon im Januar 1814 gab Herr von Bülow auf Cum-
merow seine famose Schrift heraus: "Über die Mittel zur Erhaltung der
Grundbesitzer zur Rettung des Kapitalvermögens des Staates und zur Aus¬
gleichung der Grundbesitzer und ihrer Gläubiger." Er wies ganz entschieden
den Gedanken zurück, daß mich gewissenhafter Verechnuug der Staat den Grund¬
besitzern die wirklich im Kriege gebrachten Opfer aus Staatsmitteln ersetzen
solle, er verlangte ganze Arbeit. Durch eine große Nationalbank, zu deren
Fundiruug in erster Linie der Staat seine Domänen und Forsten in dem
nötigen Umfange veräußern sollte, wollte er erreichen, "daß wir den Guts¬
besitzer mit seinem Kreditor völlig auseinandersetzen -- alle Schulden des
erstern mit Pfandbriefen bezahlen, welche bei einem der zu bildenden Fonds als
dem Nominalwert ganz nahe zu versilbern sind."

Herrn von Bülow ist durch seine Schrift der Vater des Agrariertums


Agrarische Sünden vor hundert Jahren

Gutsbesitz gelangten Spekulanten sich in Betreff des so ganz eigentlich nur
herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten, indem sie bei aller
Höhe der Getreidepreise deren weiteres Steigen, als im fortwährenden Sinken
des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen. Und diese Meinung
wirkte auf sie um so verderblicher, als inzwischen bei den Gutsbesitzern das
sparende Sammeln ganz außer Gewohnheit gekommen war und dieselben nnr
dahin strebten, durch glänzende Bauten und üppiges Leben den Glauben an
ihre Vermögenden zu steigern. Diese vornehmlich den Besitzern großer Land¬
güter zu gute gekommnen Verhältnisse änderten sich seit dem Jahre 1806 bis
jetzt her in so ganz entgegengesetzter Weise, daß jetzt, nach Verschiedenheit der
Gegenden, im vorgedachten (dem östlichen) Teile des preußischen Staates die
Güter um ein Drittel, um die Hälfte, ja selbst um zwei Drittel ihres sonstigen
Ertrages sich vermindert haben, ja daß sogar in den von Berlin am ent¬
ferntesten nordöstlich gelegnen Provinzen die Güter ganz unverkäuflich ge¬
worden sind."

Mit diesen, wie der Verfasser sehr richtig sagt, „so ganz eigentlich nur
herausgerechneten Vermögen" traten die preußische,: Rittergutsbesitzer in die
mit 1806 zum Ausbruch kommende Krisis ein. Die Krankheit selbst war, wie
man sieht, lange vorher entstanden, und die Krisis mußte kommen, mit oder
ohne Krieg. Der Krieg veranlaßte nur, daß sie schon 1806 hervortrat. Die
sieben Kriegsjahre legten allen preußischen Staatsbürgern schwere Opfer auf,
und ganz besonders schwere den Grundbesitzern. Deutschland soll seinem
Osten nie vergessen, was es ihm damals schuldig geworden ist. Aber ver¬
gessen sollte man in Preußen auch nicht, wie das gleich nach dem Kriege ge-
borne ostdeutsche Agrariertum nicht nur die Heimzahlung der im Kriege
gebrachten Opfer verlangte, sondern mit echt agrarischer Unverfrorenheit vom
Staate die Umwandlung jener in schwindelhafter Spekulation „so ganz eigentlich
nur herausgcrechneten" Vermögen in vollwichtige Werte aus andrer Leute
Taschen forderte. Schon im Januar 1814 gab Herr von Bülow auf Cum-
merow seine famose Schrift heraus: „Über die Mittel zur Erhaltung der
Grundbesitzer zur Rettung des Kapitalvermögens des Staates und zur Aus¬
gleichung der Grundbesitzer und ihrer Gläubiger." Er wies ganz entschieden
den Gedanken zurück, daß mich gewissenhafter Verechnuug der Staat den Grund¬
besitzern die wirklich im Kriege gebrachten Opfer aus Staatsmitteln ersetzen
solle, er verlangte ganze Arbeit. Durch eine große Nationalbank, zu deren
Fundiruug in erster Linie der Staat seine Domänen und Forsten in dem
nötigen Umfange veräußern sollte, wollte er erreichen, „daß wir den Guts¬
besitzer mit seinem Kreditor völlig auseinandersetzen — alle Schulden des
erstern mit Pfandbriefen bezahlen, welche bei einem der zu bildenden Fonds als
dem Nominalwert ganz nahe zu versilbern sind."

Herrn von Bülow ist durch seine Schrift der Vater des Agrariertums


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[0063] Agrarische Sünden vor hundert Jahren Gutsbesitz gelangten Spekulanten sich in Betreff des so ganz eigentlich nur herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten, indem sie bei aller Höhe der Getreidepreise deren weiteres Steigen, als im fortwährenden Sinken des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen. Und diese Meinung wirkte auf sie um so verderblicher, als inzwischen bei den Gutsbesitzern das sparende Sammeln ganz außer Gewohnheit gekommen war und dieselben nnr dahin strebten, durch glänzende Bauten und üppiges Leben den Glauben an ihre Vermögenden zu steigern. Diese vornehmlich den Besitzern großer Land¬ güter zu gute gekommnen Verhältnisse änderten sich seit dem Jahre 1806 bis jetzt her in so ganz entgegengesetzter Weise, daß jetzt, nach Verschiedenheit der Gegenden, im vorgedachten (dem östlichen) Teile des preußischen Staates die Güter um ein Drittel, um die Hälfte, ja selbst um zwei Drittel ihres sonstigen Ertrages sich vermindert haben, ja daß sogar in den von Berlin am ent¬ ferntesten nordöstlich gelegnen Provinzen die Güter ganz unverkäuflich ge¬ worden sind." Mit diesen, wie der Verfasser sehr richtig sagt, „so ganz eigentlich nur herausgerechneten Vermögen" traten die preußische,: Rittergutsbesitzer in die mit 1806 zum Ausbruch kommende Krisis ein. Die Krankheit selbst war, wie man sieht, lange vorher entstanden, und die Krisis mußte kommen, mit oder ohne Krieg. Der Krieg veranlaßte nur, daß sie schon 1806 hervortrat. Die sieben Kriegsjahre legten allen preußischen Staatsbürgern schwere Opfer auf, und ganz besonders schwere den Grundbesitzern. Deutschland soll seinem Osten nie vergessen, was es ihm damals schuldig geworden ist. Aber ver¬ gessen sollte man in Preußen auch nicht, wie das gleich nach dem Kriege ge- borne ostdeutsche Agrariertum nicht nur die Heimzahlung der im Kriege gebrachten Opfer verlangte, sondern mit echt agrarischer Unverfrorenheit vom Staate die Umwandlung jener in schwindelhafter Spekulation „so ganz eigentlich nur herausgcrechneten" Vermögen in vollwichtige Werte aus andrer Leute Taschen forderte. Schon im Januar 1814 gab Herr von Bülow auf Cum- merow seine famose Schrift heraus: „Über die Mittel zur Erhaltung der Grundbesitzer zur Rettung des Kapitalvermögens des Staates und zur Aus¬ gleichung der Grundbesitzer und ihrer Gläubiger." Er wies ganz entschieden den Gedanken zurück, daß mich gewissenhafter Verechnuug der Staat den Grund¬ besitzern die wirklich im Kriege gebrachten Opfer aus Staatsmitteln ersetzen solle, er verlangte ganze Arbeit. Durch eine große Nationalbank, zu deren Fundiruug in erster Linie der Staat seine Domänen und Forsten in dem nötigen Umfange veräußern sollte, wollte er erreichen, „daß wir den Guts¬ besitzer mit seinem Kreditor völlig auseinandersetzen — alle Schulden des erstern mit Pfandbriefen bezahlen, welche bei einem der zu bildenden Fonds als dem Nominalwert ganz nahe zu versilbern sind." Herrn von Bülow ist durch seine Schrift der Vater des Agrariertums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/63>, abgerufen am 26.11.2024.