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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Albert Dult

höchsten Opfer bringt und an der Weichherzigkeit des Galilüers untergeht.
Nicht die Gestalt des Erlösers, nicht die des heiligen Menschen und des Ver¬
künders einer als göttlich bewährten Lehre hat den Dichter erfüllt, nicht einmal
das philosophische Problem, wie einer der Täuschung verfallen könne, daß
Gott in ihm sei, und der Gegensatz der revolutionären Thatkraft der Zeloten
zu der weichen Milde des Naznrcners standen im Vordergründe seiner Teilnahme
am Stoff, sondern die Hauptsache war ihm die Anschauung der Menschen
und Verhältnisse durch die gefärbten Gläser der modernen Evangelienkritik,
die Auflösung der evangelischen Erzählung in eine Folge mehr oder minder
plausibler, der "modernen Wissenschaft" entsprechender Szenen. Diese Art
der Willkür, der bizarren Geistreichigkeit, die das poetische Licht in der
Phosphoreszenz der Zersetzung sticht, stammt freilich aus Grabbes Schule,
aber Heinrich von Kleist, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig und vollends
Shakespeare haben nichts mit ihr gemein.

Man kann zugeben, daß gerade in den minder bedeutenden Dramen
Dulks (dem auf Hauffs Erzählung "Jud Süß" aufgebauten Tendenzdrama
"Lea," dem ^historischen Doppelschauspiel "Konrad II.," der psychologisch am
feinsten und folgerichtigste" durchgebildeten Simsoutragödie) der Zug des
Dichters zum Unwirklichen, zum subjektiv Willkürlichen weniger stark hervortritt;
vorhanden ist er überall, und überall, bis auf das knapper gehaltne Schauspiel
"Willa," sprengt er die dramatische Form. Daß es Aufgaben geben kann,
denen gegenüber die theatralische Brauchbarkeit eines Dichterwerkes gar nicht
oder doch zu allerletzt in Frage kommt, wollen wir nicht bestreiten, immer
aber deutet es auf einen innern Mangel, wenn ein spezifischer Dramatiker
gerade nur solchen Aufgaben auf seinem Wege begegnet. Der ästhetische Grund¬
irrtum Dulks, daß der Dichter in dem Maße wachse, als er sich ans der
Mitte des Lebens nach dessen äußersten Polen flüchtet, ein Irrtum, der von
Geschlecht zu Geschlecht immer neu auflebt und darum auch in der Gegen¬
wart Vertreter genug hat, denen es übel zu Gesicht steht, auf Dulks
Phantastische Genialität mitleidig herabzusehen, entspricht ungefähr seinem
historischen Grnndirrtnm, daß alles edel Menschliche und "umschlich Große
nur im Sturm der Revolution gedeihe. Zum Bewußtsein des einen wie des
andern Irrtums konnte Albert Dult nicht gelangen. Anlagen, Lebensschicksale,
die Art seiner Bildung ließen ihn nie die tiefe Wahrheit des Ludwigscheu Wortes
empfinden: "Der Dichter muß freilich reflektiren, er kann ohne Gerüste
uicht bauen, aber der wahre entfernt das Gerüst, sowie der Bau fertig ist,
und sucht jede Spur davon zu verwischen. Wer aber mehr Denker ist als
Dichter, bei dem wird leicht das Denkgerüst den Dichterbau an Wert über¬
treffen; ihm ist es nicht zu verdenken, wenn er es stehen läßt, da ohnehin
sein Dichterbau ein kahles Ansehen haben müßte." So ist Dult in die große
Reihe deutscher Dichter gerate", die nicht hinter ihren Werte" verschwinden,


Albert Dult

höchsten Opfer bringt und an der Weichherzigkeit des Galilüers untergeht.
Nicht die Gestalt des Erlösers, nicht die des heiligen Menschen und des Ver¬
künders einer als göttlich bewährten Lehre hat den Dichter erfüllt, nicht einmal
das philosophische Problem, wie einer der Täuschung verfallen könne, daß
Gott in ihm sei, und der Gegensatz der revolutionären Thatkraft der Zeloten
zu der weichen Milde des Naznrcners standen im Vordergründe seiner Teilnahme
am Stoff, sondern die Hauptsache war ihm die Anschauung der Menschen
und Verhältnisse durch die gefärbten Gläser der modernen Evangelienkritik,
die Auflösung der evangelischen Erzählung in eine Folge mehr oder minder
plausibler, der „modernen Wissenschaft" entsprechender Szenen. Diese Art
der Willkür, der bizarren Geistreichigkeit, die das poetische Licht in der
Phosphoreszenz der Zersetzung sticht, stammt freilich aus Grabbes Schule,
aber Heinrich von Kleist, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig und vollends
Shakespeare haben nichts mit ihr gemein.

Man kann zugeben, daß gerade in den minder bedeutenden Dramen
Dulks (dem auf Hauffs Erzählung „Jud Süß" aufgebauten Tendenzdrama
„Lea," dem ^historischen Doppelschauspiel „Konrad II.," der psychologisch am
feinsten und folgerichtigste» durchgebildeten Simsoutragödie) der Zug des
Dichters zum Unwirklichen, zum subjektiv Willkürlichen weniger stark hervortritt;
vorhanden ist er überall, und überall, bis auf das knapper gehaltne Schauspiel
„Willa," sprengt er die dramatische Form. Daß es Aufgaben geben kann,
denen gegenüber die theatralische Brauchbarkeit eines Dichterwerkes gar nicht
oder doch zu allerletzt in Frage kommt, wollen wir nicht bestreiten, immer
aber deutet es auf einen innern Mangel, wenn ein spezifischer Dramatiker
gerade nur solchen Aufgaben auf seinem Wege begegnet. Der ästhetische Grund¬
irrtum Dulks, daß der Dichter in dem Maße wachse, als er sich ans der
Mitte des Lebens nach dessen äußersten Polen flüchtet, ein Irrtum, der von
Geschlecht zu Geschlecht immer neu auflebt und darum auch in der Gegen¬
wart Vertreter genug hat, denen es übel zu Gesicht steht, auf Dulks
Phantastische Genialität mitleidig herabzusehen, entspricht ungefähr seinem
historischen Grnndirrtnm, daß alles edel Menschliche und „umschlich Große
nur im Sturm der Revolution gedeihe. Zum Bewußtsein des einen wie des
andern Irrtums konnte Albert Dult nicht gelangen. Anlagen, Lebensschicksale,
die Art seiner Bildung ließen ihn nie die tiefe Wahrheit des Ludwigscheu Wortes
empfinden: „Der Dichter muß freilich reflektiren, er kann ohne Gerüste
uicht bauen, aber der wahre entfernt das Gerüst, sowie der Bau fertig ist,
und sucht jede Spur davon zu verwischen. Wer aber mehr Denker ist als
Dichter, bei dem wird leicht das Denkgerüst den Dichterbau an Wert über¬
treffen; ihm ist es nicht zu verdenken, wenn er es stehen läßt, da ohnehin
sein Dichterbau ein kahles Ansehen haben müßte." So ist Dult in die große
Reihe deutscher Dichter gerate», die nicht hinter ihren Werte» verschwinden,


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[0629] Albert Dult höchsten Opfer bringt und an der Weichherzigkeit des Galilüers untergeht. Nicht die Gestalt des Erlösers, nicht die des heiligen Menschen und des Ver¬ künders einer als göttlich bewährten Lehre hat den Dichter erfüllt, nicht einmal das philosophische Problem, wie einer der Täuschung verfallen könne, daß Gott in ihm sei, und der Gegensatz der revolutionären Thatkraft der Zeloten zu der weichen Milde des Naznrcners standen im Vordergründe seiner Teilnahme am Stoff, sondern die Hauptsache war ihm die Anschauung der Menschen und Verhältnisse durch die gefärbten Gläser der modernen Evangelienkritik, die Auflösung der evangelischen Erzählung in eine Folge mehr oder minder plausibler, der „modernen Wissenschaft" entsprechender Szenen. Diese Art der Willkür, der bizarren Geistreichigkeit, die das poetische Licht in der Phosphoreszenz der Zersetzung sticht, stammt freilich aus Grabbes Schule, aber Heinrich von Kleist, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig und vollends Shakespeare haben nichts mit ihr gemein. Man kann zugeben, daß gerade in den minder bedeutenden Dramen Dulks (dem auf Hauffs Erzählung „Jud Süß" aufgebauten Tendenzdrama „Lea," dem ^historischen Doppelschauspiel „Konrad II.," der psychologisch am feinsten und folgerichtigste» durchgebildeten Simsoutragödie) der Zug des Dichters zum Unwirklichen, zum subjektiv Willkürlichen weniger stark hervortritt; vorhanden ist er überall, und überall, bis auf das knapper gehaltne Schauspiel „Willa," sprengt er die dramatische Form. Daß es Aufgaben geben kann, denen gegenüber die theatralische Brauchbarkeit eines Dichterwerkes gar nicht oder doch zu allerletzt in Frage kommt, wollen wir nicht bestreiten, immer aber deutet es auf einen innern Mangel, wenn ein spezifischer Dramatiker gerade nur solchen Aufgaben auf seinem Wege begegnet. Der ästhetische Grund¬ irrtum Dulks, daß der Dichter in dem Maße wachse, als er sich ans der Mitte des Lebens nach dessen äußersten Polen flüchtet, ein Irrtum, der von Geschlecht zu Geschlecht immer neu auflebt und darum auch in der Gegen¬ wart Vertreter genug hat, denen es übel zu Gesicht steht, auf Dulks Phantastische Genialität mitleidig herabzusehen, entspricht ungefähr seinem historischen Grnndirrtnm, daß alles edel Menschliche und „umschlich Große nur im Sturm der Revolution gedeihe. Zum Bewußtsein des einen wie des andern Irrtums konnte Albert Dult nicht gelangen. Anlagen, Lebensschicksale, die Art seiner Bildung ließen ihn nie die tiefe Wahrheit des Ludwigscheu Wortes empfinden: „Der Dichter muß freilich reflektiren, er kann ohne Gerüste uicht bauen, aber der wahre entfernt das Gerüst, sowie der Bau fertig ist, und sucht jede Spur davon zu verwischen. Wer aber mehr Denker ist als Dichter, bei dem wird leicht das Denkgerüst den Dichterbau an Wert über¬ treffen; ihm ist es nicht zu verdenken, wenn er es stehen läßt, da ohnehin sein Dichterbau ein kahles Ansehen haben müßte." So ist Dult in die große Reihe deutscher Dichter gerate», die nicht hinter ihren Werte» verschwinden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/629>, abgerufen am 30.07.2024.