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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Albert Dult

und Absurditäten bestehe, daß deshalb die poetische Litteratur aller zehn Jahre
literarhistorisch werde und mir die neueste "Sensation" "aktuell" erscheine und
wirke, ist durch und durch überreizt und falsch. Wohl aber giebt es zu
jeder Zeit und namentlich in bewegten Zeiten poetische Naturen, die statt des
Weins nnr den Schaum vom Becher schlürfen wollen, die die Angenblicks-
wirbel für den großen Strom des Lebens selbst halten und daher rasch und
früh auf dem Sande wirkungsloser Vergessenheit stranden. Der Strom trägt,
die Strudel trügen, und dennoch wird immer wieder eine Auffassung An¬
hänger finden, die das gerade Gegenteil annimmt. Unter dem Druck dieser
Auffassung ist Albert Dult, wie es auch mit seiner ursprünglichen Anlage be¬
schaffen gewesen sein mag, der Dichter geworden, als der er sich in der Reihe
seiner Dramen darstellt: ein Nachahmer Grabbes, ein Dramatiker, der das
Wesen der dramatischen Leidenschaft in der Explosion und das Wesen der
dramatischen Charakterisirung in der Übertreibung sah, ein Radikaler von'
1848, für den die Revolution nicht etwa ein Mittel, sondern der große Zweck
des Daseins war, ein skeptischer Philosoph, der alles Ernstes wähnen konnte,
einer idealen "Volksbühne" an Stelle der Christustragödie nach den Evangelien-
erzählnngen die Christustragödie frei nach dem "Leben Jesu" von D. F. Strauß
darbieten zu können.

Wenn es wahr wäre, daß eine sehr scharf geprägte Individualität, eine
originelle, ja abenteuerliche Persönlichkeit allein zum bedeutenden Dichter und
großen Künstler ausreichte, so müßte Dult in der Reihe unsrer bedeutendsten
und größten stehen. Seine Lebensgeschichte darf sicher nicht mit dem Gellertschen
Motto: "Er lebte, nahm ein Weib und starb" versehen werden, und obwohl
sich Ziels Darstellung dieses Dichterlebcns knapp und gelegentlich sehr zurück¬
haltend ausdrückt, so leuchtet die Buntheit, die Seltsamkeit, der Trotz gegen
alles herkömmliche und für herkömmlich erachtete doch aus jeder Mitteilung
hervor. Als Sohn eines wohlhabenden Königsberger Apothekers am 17. Juni
1819 in Königsberg geboren, nach seinen Gymnasialjahren zum Beruf seines
Baders bestimmt, studirte Dult auf der Universität seiner Vaterstadt neben
der Pharmazie Hegelsche Philosophie und berauschte sich an den Schöpfungen
der jungdeutschen Oppositionslittcratur und den ersten Lebensüußerungen des
von Ostpreußen ausgehenden politischen Radikalismus. Dazu war er nach
Ziels Bericht und vollwichtigen Zeugnissen zu Ausgang der dreißiger Jahre
"eine Jünglingserscheinung von berückender Schönheit. Seine hohe edel-
schlanke (!) Gestalt voll Ebenmaß und Elastizität schritt bewußt und frei
einher. Sein kühn geschnittenes Gesicht war von langem braunem Gelock
umwallt. Mit blitzenden Blauaugen(!) schien er die Welt zu fragen, ob sie
denn auch wirklich Raum genug habe für die Höhe und Weite seiner Entwürfe."
Man muß sich fragen, was Dult verhängnisvoller geworden ist, ob die Gewöhnung
an die unkünstlerische, jeden freien Blick in die Gesamtheit des Lebens aus-


Albert Dult

und Absurditäten bestehe, daß deshalb die poetische Litteratur aller zehn Jahre
literarhistorisch werde und mir die neueste „Sensation" „aktuell" erscheine und
wirke, ist durch und durch überreizt und falsch. Wohl aber giebt es zu
jeder Zeit und namentlich in bewegten Zeiten poetische Naturen, die statt des
Weins nnr den Schaum vom Becher schlürfen wollen, die die Angenblicks-
wirbel für den großen Strom des Lebens selbst halten und daher rasch und
früh auf dem Sande wirkungsloser Vergessenheit stranden. Der Strom trägt,
die Strudel trügen, und dennoch wird immer wieder eine Auffassung An¬
hänger finden, die das gerade Gegenteil annimmt. Unter dem Druck dieser
Auffassung ist Albert Dult, wie es auch mit seiner ursprünglichen Anlage be¬
schaffen gewesen sein mag, der Dichter geworden, als der er sich in der Reihe
seiner Dramen darstellt: ein Nachahmer Grabbes, ein Dramatiker, der das
Wesen der dramatischen Leidenschaft in der Explosion und das Wesen der
dramatischen Charakterisirung in der Übertreibung sah, ein Radikaler von'
1848, für den die Revolution nicht etwa ein Mittel, sondern der große Zweck
des Daseins war, ein skeptischer Philosoph, der alles Ernstes wähnen konnte,
einer idealen „Volksbühne" an Stelle der Christustragödie nach den Evangelien-
erzählnngen die Christustragödie frei nach dem „Leben Jesu" von D. F. Strauß
darbieten zu können.

Wenn es wahr wäre, daß eine sehr scharf geprägte Individualität, eine
originelle, ja abenteuerliche Persönlichkeit allein zum bedeutenden Dichter und
großen Künstler ausreichte, so müßte Dult in der Reihe unsrer bedeutendsten
und größten stehen. Seine Lebensgeschichte darf sicher nicht mit dem Gellertschen
Motto: „Er lebte, nahm ein Weib und starb" versehen werden, und obwohl
sich Ziels Darstellung dieses Dichterlebcns knapp und gelegentlich sehr zurück¬
haltend ausdrückt, so leuchtet die Buntheit, die Seltsamkeit, der Trotz gegen
alles herkömmliche und für herkömmlich erachtete doch aus jeder Mitteilung
hervor. Als Sohn eines wohlhabenden Königsberger Apothekers am 17. Juni
1819 in Königsberg geboren, nach seinen Gymnasialjahren zum Beruf seines
Baders bestimmt, studirte Dult auf der Universität seiner Vaterstadt neben
der Pharmazie Hegelsche Philosophie und berauschte sich an den Schöpfungen
der jungdeutschen Oppositionslittcratur und den ersten Lebensüußerungen des
von Ostpreußen ausgehenden politischen Radikalismus. Dazu war er nach
Ziels Bericht und vollwichtigen Zeugnissen zu Ausgang der dreißiger Jahre
„eine Jünglingserscheinung von berückender Schönheit. Seine hohe edel-
schlanke (!) Gestalt voll Ebenmaß und Elastizität schritt bewußt und frei
einher. Sein kühn geschnittenes Gesicht war von langem braunem Gelock
umwallt. Mit blitzenden Blauaugen(!) schien er die Welt zu fragen, ob sie
denn auch wirklich Raum genug habe für die Höhe und Weite seiner Entwürfe."
Man muß sich fragen, was Dult verhängnisvoller geworden ist, ob die Gewöhnung
an die unkünstlerische, jeden freien Blick in die Gesamtheit des Lebens aus-


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[0623] Albert Dult und Absurditäten bestehe, daß deshalb die poetische Litteratur aller zehn Jahre literarhistorisch werde und mir die neueste „Sensation" „aktuell" erscheine und wirke, ist durch und durch überreizt und falsch. Wohl aber giebt es zu jeder Zeit und namentlich in bewegten Zeiten poetische Naturen, die statt des Weins nnr den Schaum vom Becher schlürfen wollen, die die Angenblicks- wirbel für den großen Strom des Lebens selbst halten und daher rasch und früh auf dem Sande wirkungsloser Vergessenheit stranden. Der Strom trägt, die Strudel trügen, und dennoch wird immer wieder eine Auffassung An¬ hänger finden, die das gerade Gegenteil annimmt. Unter dem Druck dieser Auffassung ist Albert Dult, wie es auch mit seiner ursprünglichen Anlage be¬ schaffen gewesen sein mag, der Dichter geworden, als der er sich in der Reihe seiner Dramen darstellt: ein Nachahmer Grabbes, ein Dramatiker, der das Wesen der dramatischen Leidenschaft in der Explosion und das Wesen der dramatischen Charakterisirung in der Übertreibung sah, ein Radikaler von' 1848, für den die Revolution nicht etwa ein Mittel, sondern der große Zweck des Daseins war, ein skeptischer Philosoph, der alles Ernstes wähnen konnte, einer idealen „Volksbühne" an Stelle der Christustragödie nach den Evangelien- erzählnngen die Christustragödie frei nach dem „Leben Jesu" von D. F. Strauß darbieten zu können. Wenn es wahr wäre, daß eine sehr scharf geprägte Individualität, eine originelle, ja abenteuerliche Persönlichkeit allein zum bedeutenden Dichter und großen Künstler ausreichte, so müßte Dult in der Reihe unsrer bedeutendsten und größten stehen. Seine Lebensgeschichte darf sicher nicht mit dem Gellertschen Motto: „Er lebte, nahm ein Weib und starb" versehen werden, und obwohl sich Ziels Darstellung dieses Dichterlebcns knapp und gelegentlich sehr zurück¬ haltend ausdrückt, so leuchtet die Buntheit, die Seltsamkeit, der Trotz gegen alles herkömmliche und für herkömmlich erachtete doch aus jeder Mitteilung hervor. Als Sohn eines wohlhabenden Königsberger Apothekers am 17. Juni 1819 in Königsberg geboren, nach seinen Gymnasialjahren zum Beruf seines Baders bestimmt, studirte Dult auf der Universität seiner Vaterstadt neben der Pharmazie Hegelsche Philosophie und berauschte sich an den Schöpfungen der jungdeutschen Oppositionslittcratur und den ersten Lebensüußerungen des von Ostpreußen ausgehenden politischen Radikalismus. Dazu war er nach Ziels Bericht und vollwichtigen Zeugnissen zu Ausgang der dreißiger Jahre „eine Jünglingserscheinung von berückender Schönheit. Seine hohe edel- schlanke (!) Gestalt voll Ebenmaß und Elastizität schritt bewußt und frei einher. Sein kühn geschnittenes Gesicht war von langem braunem Gelock umwallt. Mit blitzenden Blauaugen(!) schien er die Welt zu fragen, ob sie denn auch wirklich Raum genug habe für die Höhe und Weite seiner Entwürfe." Man muß sich fragen, was Dult verhängnisvoller geworden ist, ob die Gewöhnung an die unkünstlerische, jeden freien Blick in die Gesamtheit des Lebens aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/623>, abgerufen am 30.07.2024.