Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line französische Hochschule für Staatswissenschaften

allgemeine Bildung bezeichnen könnte, die I^vois norinals für das höhere Unter-
richtswesen -- auch ein großer Teil der heutigen litterarischen Größen ist aus
ihr hervorgegangen --, ferner andre Fachschulen, wie die Looks clef Mus8,
die I'loolv Ach ?vues se OkM88pes für die verschiednen Richtungen des
Jngenieurwesens; dazu konunt noch die angesehene Lools xol^tssllnicius, die
vor allem den SpezialWaffen des französischen Heeres die Offiziere liefert,
aber auch nichtmilitärische Aufgaben erfüllt. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts
war aber auch die Forderung laut geworden, für die wissenschaftliche Vor¬
bildung des höhern Beamtentums eine besondre Fachschule zu haben.

Den ersten Versuch, eine höhere Vcrwaltungsschule ins Leben zu rufen,
machte unmittelbar nach der Februarrevolution Hippolyte Carnot, der Vater
des in Lyon ermordeten Präsidenten der Republik. Aber die vou ihm nach
dem Vorbild der Mois xol/teodniauo begründete I^vois national"? ä'^animi-
8t,raUon hatte keine Dauer. Von Anfang an heftigen Angriffen ausgesetzt,
besonders wegen des Austellnngsrechts, das um die Schlnßprüfuug geknüpft
werden sollte, wurde sie bald unes Napoleons Wahl zum Präsidenten von der
Regierung, die sich wohl zu wenig Einfluß auf den Charakter der neuen Hoch¬
schule zutraute, kurzer Hand aufgehoben. Erst nach dem Sturze des zweiten
Kaiserreichs ward ein Anlauf genommen, diesen Versuch der zweiten Republik
zu neuem Leben zu erwecken, aber ohne Erfolg.

Und doch war es der dritten Republik vorbehalte", den Plan Camoes
in andrer Weise zu verwirklichen. Emile Boutmh, heute Mitglied des Ili8elwe
und des <nein8eil 8rixürisnr als 1'1n8trnotior> xuoliciuo, nahm ihn wieder auf,
zog aber aus den frühern Erfahrungen den Schluß, daß der Gedanke einer
Hochschule für Staatswissenschaften im modernen Frankreich mir unter Verzicht
auf jede Berechtigung durchzuführen sei, daß eine derartige Anstalt ihre Be¬
rechtigung und ihre Berechtigungen gleichsam erst moralisch erwerben müsse, und
so unternahm er es, sie auf privatem Wege ins Leben zu rufen. Der Erfolg
hat ihm Recht gegeben. Sein Unternehmen fand gleich von Anfang um die
Unterstützung gewichtiger Stimmen, wie der von Guizot und Taine, die beide
im Herbst 1371 in dem -lournal als8 Vsbg.t8, damals wie heilte dem vor¬
nehmsten Blatt der französischen Presse, für die Sache eintraten. Im nächsten
Jahre trat die neue Hochschule mit 89 Hörern ins Leben. Anfangs wurden
nur fünf Vorlesungen in gemieteten Räumen gehalten. Heute ist, um dies
vorauszunehmen, die Zahl der Vorlesungen und der praktischen Übungen auf
fünfzig, die Zahl der Studenten auf 400 gestiegen, und die Hochschule hat
ein stattliches eignes Heim auf der Grenze des lateinischen Viertels und des
alten vornehmen Faubourg Se. Germain, das mit allen Erfordernissen und
Bequemlichkeiten der modernen Wissenschaft ausgestattet ist.

Diese wenigen Angaben zeigen unzweifelhaft, daß die freie Hochschule für
Staatswissenschaften mit ihren Einrichtungen und ihren praktischen Ergebnissen


Line französische Hochschule für Staatswissenschaften

allgemeine Bildung bezeichnen könnte, die I^vois norinals für das höhere Unter-
richtswesen — auch ein großer Teil der heutigen litterarischen Größen ist aus
ihr hervorgegangen —, ferner andre Fachschulen, wie die Looks clef Mus8,
die I'loolv Ach ?vues se OkM88pes für die verschiednen Richtungen des
Jngenieurwesens; dazu konunt noch die angesehene Lools xol^tssllnicius, die
vor allem den SpezialWaffen des französischen Heeres die Offiziere liefert,
aber auch nichtmilitärische Aufgaben erfüllt. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts
war aber auch die Forderung laut geworden, für die wissenschaftliche Vor¬
bildung des höhern Beamtentums eine besondre Fachschule zu haben.

Den ersten Versuch, eine höhere Vcrwaltungsschule ins Leben zu rufen,
machte unmittelbar nach der Februarrevolution Hippolyte Carnot, der Vater
des in Lyon ermordeten Präsidenten der Republik. Aber die vou ihm nach
dem Vorbild der Mois xol/teodniauo begründete I^vois national«? ä'^animi-
8t,raUon hatte keine Dauer. Von Anfang an heftigen Angriffen ausgesetzt,
besonders wegen des Austellnngsrechts, das um die Schlnßprüfuug geknüpft
werden sollte, wurde sie bald unes Napoleons Wahl zum Präsidenten von der
Regierung, die sich wohl zu wenig Einfluß auf den Charakter der neuen Hoch¬
schule zutraute, kurzer Hand aufgehoben. Erst nach dem Sturze des zweiten
Kaiserreichs ward ein Anlauf genommen, diesen Versuch der zweiten Republik
zu neuem Leben zu erwecken, aber ohne Erfolg.

Und doch war es der dritten Republik vorbehalte», den Plan Camoes
in andrer Weise zu verwirklichen. Emile Boutmh, heute Mitglied des Ili8elwe
und des <nein8eil 8rixürisnr als 1'1n8trnotior> xuoliciuo, nahm ihn wieder auf,
zog aber aus den frühern Erfahrungen den Schluß, daß der Gedanke einer
Hochschule für Staatswissenschaften im modernen Frankreich mir unter Verzicht
auf jede Berechtigung durchzuführen sei, daß eine derartige Anstalt ihre Be¬
rechtigung und ihre Berechtigungen gleichsam erst moralisch erwerben müsse, und
so unternahm er es, sie auf privatem Wege ins Leben zu rufen. Der Erfolg
hat ihm Recht gegeben. Sein Unternehmen fand gleich von Anfang um die
Unterstützung gewichtiger Stimmen, wie der von Guizot und Taine, die beide
im Herbst 1371 in dem -lournal als8 Vsbg.t8, damals wie heilte dem vor¬
nehmsten Blatt der französischen Presse, für die Sache eintraten. Im nächsten
Jahre trat die neue Hochschule mit 89 Hörern ins Leben. Anfangs wurden
nur fünf Vorlesungen in gemieteten Räumen gehalten. Heute ist, um dies
vorauszunehmen, die Zahl der Vorlesungen und der praktischen Übungen auf
fünfzig, die Zahl der Studenten auf 400 gestiegen, und die Hochschule hat
ein stattliches eignes Heim auf der Grenze des lateinischen Viertels und des
alten vornehmen Faubourg Se. Germain, das mit allen Erfordernissen und
Bequemlichkeiten der modernen Wissenschaft ausgestattet ist.

Diese wenigen Angaben zeigen unzweifelhaft, daß die freie Hochschule für
Staatswissenschaften mit ihren Einrichtungen und ihren praktischen Ergebnissen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0608" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223550"/>
          <fw type="header" place="top"> Line französische Hochschule für Staatswissenschaften</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1689" prev="#ID_1688"> allgemeine Bildung bezeichnen könnte, die I^vois norinals für das höhere Unter-<lb/>
richtswesen &#x2014; auch ein großer Teil der heutigen litterarischen Größen ist aus<lb/>
ihr hervorgegangen &#x2014;, ferner andre Fachschulen, wie die Looks clef Mus8,<lb/>
die I'loolv Ach ?vues se OkM88pes für die verschiednen Richtungen des<lb/>
Jngenieurwesens; dazu konunt noch die angesehene Lools xol^tssllnicius, die<lb/>
vor allem den SpezialWaffen des französischen Heeres die Offiziere liefert,<lb/>
aber auch nichtmilitärische Aufgaben erfüllt. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts<lb/>
war aber auch die Forderung laut geworden, für die wissenschaftliche Vor¬<lb/>
bildung des höhern Beamtentums eine besondre Fachschule zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1690"> Den ersten Versuch, eine höhere Vcrwaltungsschule ins Leben zu rufen,<lb/>
machte unmittelbar nach der Februarrevolution Hippolyte Carnot, der Vater<lb/>
des in Lyon ermordeten Präsidenten der Republik. Aber die vou ihm nach<lb/>
dem Vorbild der Mois xol/teodniauo begründete I^vois national«? ä'^animi-<lb/>
8t,raUon hatte keine Dauer. Von Anfang an heftigen Angriffen ausgesetzt,<lb/>
besonders wegen des Austellnngsrechts, das um die Schlnßprüfuug geknüpft<lb/>
werden sollte, wurde sie bald unes Napoleons Wahl zum Präsidenten von der<lb/>
Regierung, die sich wohl zu wenig Einfluß auf den Charakter der neuen Hoch¬<lb/>
schule zutraute, kurzer Hand aufgehoben. Erst nach dem Sturze des zweiten<lb/>
Kaiserreichs ward ein Anlauf genommen, diesen Versuch der zweiten Republik<lb/>
zu neuem Leben zu erwecken, aber ohne Erfolg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1691"> Und doch war es der dritten Republik vorbehalte», den Plan Camoes<lb/>
in andrer Weise zu verwirklichen. Emile Boutmh, heute Mitglied des Ili8elwe<lb/>
und des &lt;nein8eil 8rixürisnr als 1'1n8trnotior&gt; xuoliciuo, nahm ihn wieder auf,<lb/>
zog aber aus den frühern Erfahrungen den Schluß, daß der Gedanke einer<lb/>
Hochschule für Staatswissenschaften im modernen Frankreich mir unter Verzicht<lb/>
auf jede Berechtigung durchzuführen sei, daß eine derartige Anstalt ihre Be¬<lb/>
rechtigung und ihre Berechtigungen gleichsam erst moralisch erwerben müsse, und<lb/>
so unternahm er es, sie auf privatem Wege ins Leben zu rufen. Der Erfolg<lb/>
hat ihm Recht gegeben. Sein Unternehmen fand gleich von Anfang um die<lb/>
Unterstützung gewichtiger Stimmen, wie der von Guizot und Taine, die beide<lb/>
im Herbst 1371 in dem -lournal als8 Vsbg.t8, damals wie heilte dem vor¬<lb/>
nehmsten Blatt der französischen Presse, für die Sache eintraten. Im nächsten<lb/>
Jahre trat die neue Hochschule mit 89 Hörern ins Leben. Anfangs wurden<lb/>
nur fünf Vorlesungen in gemieteten Räumen gehalten. Heute ist, um dies<lb/>
vorauszunehmen, die Zahl der Vorlesungen und der praktischen Übungen auf<lb/>
fünfzig, die Zahl der Studenten auf 400 gestiegen, und die Hochschule hat<lb/>
ein stattliches eignes Heim auf der Grenze des lateinischen Viertels und des<lb/>
alten vornehmen Faubourg Se. Germain, das mit allen Erfordernissen und<lb/>
Bequemlichkeiten der modernen Wissenschaft ausgestattet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> Diese wenigen Angaben zeigen unzweifelhaft, daß die freie Hochschule für<lb/>
Staatswissenschaften mit ihren Einrichtungen und ihren praktischen Ergebnissen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0608] Line französische Hochschule für Staatswissenschaften allgemeine Bildung bezeichnen könnte, die I^vois norinals für das höhere Unter- richtswesen — auch ein großer Teil der heutigen litterarischen Größen ist aus ihr hervorgegangen —, ferner andre Fachschulen, wie die Looks clef Mus8, die I'loolv Ach ?vues se OkM88pes für die verschiednen Richtungen des Jngenieurwesens; dazu konunt noch die angesehene Lools xol^tssllnicius, die vor allem den SpezialWaffen des französischen Heeres die Offiziere liefert, aber auch nichtmilitärische Aufgaben erfüllt. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts war aber auch die Forderung laut geworden, für die wissenschaftliche Vor¬ bildung des höhern Beamtentums eine besondre Fachschule zu haben. Den ersten Versuch, eine höhere Vcrwaltungsschule ins Leben zu rufen, machte unmittelbar nach der Februarrevolution Hippolyte Carnot, der Vater des in Lyon ermordeten Präsidenten der Republik. Aber die vou ihm nach dem Vorbild der Mois xol/teodniauo begründete I^vois national«? ä'^animi- 8t,raUon hatte keine Dauer. Von Anfang an heftigen Angriffen ausgesetzt, besonders wegen des Austellnngsrechts, das um die Schlnßprüfuug geknüpft werden sollte, wurde sie bald unes Napoleons Wahl zum Präsidenten von der Regierung, die sich wohl zu wenig Einfluß auf den Charakter der neuen Hoch¬ schule zutraute, kurzer Hand aufgehoben. Erst nach dem Sturze des zweiten Kaiserreichs ward ein Anlauf genommen, diesen Versuch der zweiten Republik zu neuem Leben zu erwecken, aber ohne Erfolg. Und doch war es der dritten Republik vorbehalte», den Plan Camoes in andrer Weise zu verwirklichen. Emile Boutmh, heute Mitglied des Ili8elwe und des <nein8eil 8rixürisnr als 1'1n8trnotior> xuoliciuo, nahm ihn wieder auf, zog aber aus den frühern Erfahrungen den Schluß, daß der Gedanke einer Hochschule für Staatswissenschaften im modernen Frankreich mir unter Verzicht auf jede Berechtigung durchzuführen sei, daß eine derartige Anstalt ihre Be¬ rechtigung und ihre Berechtigungen gleichsam erst moralisch erwerben müsse, und so unternahm er es, sie auf privatem Wege ins Leben zu rufen. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Sein Unternehmen fand gleich von Anfang um die Unterstützung gewichtiger Stimmen, wie der von Guizot und Taine, die beide im Herbst 1371 in dem -lournal als8 Vsbg.t8, damals wie heilte dem vor¬ nehmsten Blatt der französischen Presse, für die Sache eintraten. Im nächsten Jahre trat die neue Hochschule mit 89 Hörern ins Leben. Anfangs wurden nur fünf Vorlesungen in gemieteten Räumen gehalten. Heute ist, um dies vorauszunehmen, die Zahl der Vorlesungen und der praktischen Übungen auf fünfzig, die Zahl der Studenten auf 400 gestiegen, und die Hochschule hat ein stattliches eignes Heim auf der Grenze des lateinischen Viertels und des alten vornehmen Faubourg Se. Germain, das mit allen Erfordernissen und Bequemlichkeiten der modernen Wissenschaft ausgestattet ist. Diese wenigen Angaben zeigen unzweifelhaft, daß die freie Hochschule für Staatswissenschaften mit ihren Einrichtungen und ihren praktischen Ergebnissen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/608
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/608>, abgerufen am 29.07.2024.