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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Arr Frage der Vorbildung der höhern verwaltnngsbeamten

schriftliche Durchdringung des Rechtszustandes, der geschichtlich begründeten
öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der Berufskreise, der Ge¬
meinden und des Staates als solchen, der Besitz der Jurisprudenz im präg¬
nanten Sinne des klassisch-römischen Rechts, sie allein schafft die Gesinnung,
den Willen und die Fähigkeit des suuiri ouiqus tridusre, uenünizin Ig-seleM und
Iwnsstö vivkro, deu Sinn und die Bethätigung der Gerechtigkeit vom Stand-
Punkte des Einzelnen aus und im Verhältnis zu den übrigen Angehörigen
gleicher und andrer Lebenskreise und Gemeinschaften, schafft das dein Mit¬
träger der Staatsgewalt angemessene Verhalten, das Walten über dem Wohle
des Amtssprengels, das livre-ses vivsru, das sich nicht in der Anwendung
äußerer Korrektheit, äußerer Form und äußern Entgegenkommens bethätigt
oder vorzugsweise darin besteht, das vielmehr auch mit Formlosigkeit, ja
äußerlicher Gerad- und Grobheit vereinbar sein kann und auch in jüngster
Zeit nicht selten damit verbunden gewesen ist.

Werden die sich aus vorstehendem ergebenden Folgerungen gezogen und in
dem Regulativ vom 30. November 1883 (in der Fassung des Stantsministerial-
beschlnsses vom 16. Juni 1887) zur Geltung gebracht, so wird jedenfalls
einem Grundübel abgeholfen. Aber das allein thut es nicht: die praktische
Thätigkeit, namentlich die bei der Vezirksregierung muß ebenfalls fruchtbarer
gemacht werden. Zwar wird heilte der Referendar (zunächst drei bis neun
Monate) bei allen Dezernaten der Regierung beschäftigt, svdnnn sechs Monate
bei einem Landrat (der in der Regel auch das Steuerwesen seines Kreises
leitet) und drei Monate in einer Stadtverwaltung, schließlich noch weitere
sechs Monate bei dem Bezirksausschuß und zugleich wieder bei der Ne¬
gierung, mithin bei dieser im Ganzen fünfzehn Monate, wovon mindestens
vier Monate auf ein Domnnialdezernat fallen müssen. Selbstverständlich hat
der Referendar, namentlich beim Landrate, die Gelegenheit, mit der Unfall-, der
Jnvciliditäts- und Altersversicherung und mit der Stenerverwaltung Praktisch
bekannt zu werden. Nun ist es bei der Regierung in der Regel so, daß er von
den einzelnen Dezernenten in der Hauptsache nur einzelne Gegenstände von
charakteristischer, typischer Art zugewiesen bekommt, namentlich solche, die im
Kollegium unter Begründung und Verteidigung des abgegebnen Votums vor¬
zutragen sind, Sachen, die zur Entwicklung und Schärfung des Urteils bei¬
zutragen geeignet sind und zum Studium der positive" Bestimmungen im ein¬
zelnen und in Beziehung auf die se-clef Mawrias anregen sollen. Aber ein Bild
von dem Gesamtumfang des "Dezernats" bekommt er kaum, geschweige denn,
daß er den Gesamtumfang der Thätigkeit der Bezirksregierung, ja auch uur ihrer
einzelnen Abteilungen zu überblicken und die besondern Verhältnisse des Bezirks
im Vergleich und in Beziehung zu dem (ihm aus der Theorie bekannten?) all¬
gemeinen Zustande der Landesverwaltung erlangen könnte. Je nach Beginn der
Praktischen Thätigkeit in der Verwaltung ist die Gelegenheit, die Steuerver-


Grenzboten III 18W 75
Arr Frage der Vorbildung der höhern verwaltnngsbeamten

schriftliche Durchdringung des Rechtszustandes, der geschichtlich begründeten
öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der Berufskreise, der Ge¬
meinden und des Staates als solchen, der Besitz der Jurisprudenz im präg¬
nanten Sinne des klassisch-römischen Rechts, sie allein schafft die Gesinnung,
den Willen und die Fähigkeit des suuiri ouiqus tridusre, uenünizin Ig-seleM und
Iwnsstö vivkro, deu Sinn und die Bethätigung der Gerechtigkeit vom Stand-
Punkte des Einzelnen aus und im Verhältnis zu den übrigen Angehörigen
gleicher und andrer Lebenskreise und Gemeinschaften, schafft das dein Mit¬
träger der Staatsgewalt angemessene Verhalten, das Walten über dem Wohle
des Amtssprengels, das livre-ses vivsru, das sich nicht in der Anwendung
äußerer Korrektheit, äußerer Form und äußern Entgegenkommens bethätigt
oder vorzugsweise darin besteht, das vielmehr auch mit Formlosigkeit, ja
äußerlicher Gerad- und Grobheit vereinbar sein kann und auch in jüngster
Zeit nicht selten damit verbunden gewesen ist.

Werden die sich aus vorstehendem ergebenden Folgerungen gezogen und in
dem Regulativ vom 30. November 1883 (in der Fassung des Stantsministerial-
beschlnsses vom 16. Juni 1887) zur Geltung gebracht, so wird jedenfalls
einem Grundübel abgeholfen. Aber das allein thut es nicht: die praktische
Thätigkeit, namentlich die bei der Vezirksregierung muß ebenfalls fruchtbarer
gemacht werden. Zwar wird heilte der Referendar (zunächst drei bis neun
Monate) bei allen Dezernaten der Regierung beschäftigt, svdnnn sechs Monate
bei einem Landrat (der in der Regel auch das Steuerwesen seines Kreises
leitet) und drei Monate in einer Stadtverwaltung, schließlich noch weitere
sechs Monate bei dem Bezirksausschuß und zugleich wieder bei der Ne¬
gierung, mithin bei dieser im Ganzen fünfzehn Monate, wovon mindestens
vier Monate auf ein Domnnialdezernat fallen müssen. Selbstverständlich hat
der Referendar, namentlich beim Landrate, die Gelegenheit, mit der Unfall-, der
Jnvciliditäts- und Altersversicherung und mit der Stenerverwaltung Praktisch
bekannt zu werden. Nun ist es bei der Regierung in der Regel so, daß er von
den einzelnen Dezernenten in der Hauptsache nur einzelne Gegenstände von
charakteristischer, typischer Art zugewiesen bekommt, namentlich solche, die im
Kollegium unter Begründung und Verteidigung des abgegebnen Votums vor¬
zutragen sind, Sachen, die zur Entwicklung und Schärfung des Urteils bei¬
zutragen geeignet sind und zum Studium der positive» Bestimmungen im ein¬
zelnen und in Beziehung auf die se-clef Mawrias anregen sollen. Aber ein Bild
von dem Gesamtumfang des „Dezernats" bekommt er kaum, geschweige denn,
daß er den Gesamtumfang der Thätigkeit der Bezirksregierung, ja auch uur ihrer
einzelnen Abteilungen zu überblicken und die besondern Verhältnisse des Bezirks
im Vergleich und in Beziehung zu dem (ihm aus der Theorie bekannten?) all¬
gemeinen Zustande der Landesverwaltung erlangen könnte. Je nach Beginn der
Praktischen Thätigkeit in der Verwaltung ist die Gelegenheit, die Steuerver-


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[0601] Arr Frage der Vorbildung der höhern verwaltnngsbeamten schriftliche Durchdringung des Rechtszustandes, der geschichtlich begründeten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der Berufskreise, der Ge¬ meinden und des Staates als solchen, der Besitz der Jurisprudenz im präg¬ nanten Sinne des klassisch-römischen Rechts, sie allein schafft die Gesinnung, den Willen und die Fähigkeit des suuiri ouiqus tridusre, uenünizin Ig-seleM und Iwnsstö vivkro, deu Sinn und die Bethätigung der Gerechtigkeit vom Stand- Punkte des Einzelnen aus und im Verhältnis zu den übrigen Angehörigen gleicher und andrer Lebenskreise und Gemeinschaften, schafft das dein Mit¬ träger der Staatsgewalt angemessene Verhalten, das Walten über dem Wohle des Amtssprengels, das livre-ses vivsru, das sich nicht in der Anwendung äußerer Korrektheit, äußerer Form und äußern Entgegenkommens bethätigt oder vorzugsweise darin besteht, das vielmehr auch mit Formlosigkeit, ja äußerlicher Gerad- und Grobheit vereinbar sein kann und auch in jüngster Zeit nicht selten damit verbunden gewesen ist. Werden die sich aus vorstehendem ergebenden Folgerungen gezogen und in dem Regulativ vom 30. November 1883 (in der Fassung des Stantsministerial- beschlnsses vom 16. Juni 1887) zur Geltung gebracht, so wird jedenfalls einem Grundübel abgeholfen. Aber das allein thut es nicht: die praktische Thätigkeit, namentlich die bei der Vezirksregierung muß ebenfalls fruchtbarer gemacht werden. Zwar wird heilte der Referendar (zunächst drei bis neun Monate) bei allen Dezernaten der Regierung beschäftigt, svdnnn sechs Monate bei einem Landrat (der in der Regel auch das Steuerwesen seines Kreises leitet) und drei Monate in einer Stadtverwaltung, schließlich noch weitere sechs Monate bei dem Bezirksausschuß und zugleich wieder bei der Ne¬ gierung, mithin bei dieser im Ganzen fünfzehn Monate, wovon mindestens vier Monate auf ein Domnnialdezernat fallen müssen. Selbstverständlich hat der Referendar, namentlich beim Landrate, die Gelegenheit, mit der Unfall-, der Jnvciliditäts- und Altersversicherung und mit der Stenerverwaltung Praktisch bekannt zu werden. Nun ist es bei der Regierung in der Regel so, daß er von den einzelnen Dezernenten in der Hauptsache nur einzelne Gegenstände von charakteristischer, typischer Art zugewiesen bekommt, namentlich solche, die im Kollegium unter Begründung und Verteidigung des abgegebnen Votums vor¬ zutragen sind, Sachen, die zur Entwicklung und Schärfung des Urteils bei¬ zutragen geeignet sind und zum Studium der positive» Bestimmungen im ein¬ zelnen und in Beziehung auf die se-clef Mawrias anregen sollen. Aber ein Bild von dem Gesamtumfang des „Dezernats" bekommt er kaum, geschweige denn, daß er den Gesamtumfang der Thätigkeit der Bezirksregierung, ja auch uur ihrer einzelnen Abteilungen zu überblicken und die besondern Verhältnisse des Bezirks im Vergleich und in Beziehung zu dem (ihm aus der Theorie bekannten?) all¬ gemeinen Zustande der Landesverwaltung erlangen könnte. Je nach Beginn der Praktischen Thätigkeit in der Verwaltung ist die Gelegenheit, die Steuerver- Grenzboten III 18W 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/601>, abgerufen am 27.11.2024.