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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Frage der Vorbildung der höhern Verwaltungsbeamten

Zusammenhang des Staatslebens schwer zu lebendigem Bewußtsein kommen,
der wird nur zu leicht subalternen Arbeiten und unfruchtbarer Vielgeschüftig-
keit verfallen.

Wenn man die Verzeichnisse der Vorlesungen der preußischen Hoch¬
schulen durchsieht, so muß man billig zweifeln, ob den Studenten genug
Gelegenheit zur Gewinnung der nötigen Ausbildung im Verwaltungsrecht,
in der Verwaltungslehre und in der Politik (als Wissenschaft) gegeben ist.
Und doch kann die mündliche Belehrung und Anregung des Dozenten nie¬
mals, wenigstens auf dieser Stufe des Lebens und der wissenschaftlichen Aus¬
bildung nicht, durch Beschäftigung mit der Litteratur ersetzt werden. Soweit
wir sehen, wurden auf den preußischen Universitäten im Sommer 1895 im
ganzen nur vier drei- bis fünfstündige und im Winter 1895/96 uur acht solche
Vorlesungen über Verwaltungsrecht gehalten; eine vierstündige darunter er¬
streckte sich sogar mit auf deutsches und preußisches Staatsrecht, wobei das
Verwaltungsrecht selbstverständlich nur sehr summarisch behandelt werden
konnte. Daneben wurden im Sommer 1895 eine, im Winter 1895/96 zwei
zweistündige praktische Verwaltungsrechtsvorlesungen gehalten, Politik ist in
beiden Semestern überhaupt nur in Berlin und zwar (von Hübler) in Verbin¬
dung mit dem Völkerrecht behandelt worden. Daß hiermit dem Bedürfnis nicht
genügt wird, ja daß das Verwaltungsrecht als czuÄrckitv mög'lig'sg.bis erscheint,
liegt doch auf der Hand, zumal im Vergleich zu der Ausführlichkeit, mit der
die Disziplinen des Zivil- und Strafprozesses, des materiellen Strafrechts, des
Konkursrechts, des Kirchenrechts usw. behandelt werden. Fehlt es aber an
Lehrern für dieses Fach, so wird darauf Bedacht genommen werden müssen,
bei den Universitäten Verwaltungsbeamte zu solchen Vorlesungen heranzuziehen,
ähnlich wie schon jetzt in Berlin Vorlesungen über Eisenbahnrecht von Beamten
des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten gehalten werden. Auf dem Gebiete
des Verwaltungsrechts und der Verwaltungslehre würde ohnehin ein inniger
Zusammenhang, sozusagen eine Personalunion von Theorie und Praxis be¬
sonders förderlich sein.

Nichts ist verderblicher als die hie und da unausgesprochen oder aner¬
kanntermaßen vertretene Meinung, in der Praxis komme es mehr auf deu
"gesunden Menschenverstand" als auf theoretisches Wissen an, als würde, um
eines beim Nichterbesoldungsgesetz gefallnen Ausdrucks zu gedenken, die Fähig¬
keit zu amtlicher Stellung "durch Abstammung und Erziehung" gewonnen.
Das könnte vielleicht der Fall sein, wenn die Verwaltung eine Reihe lose
aneinander hängender, unabhängig aufeinander folgender Handlungen statt einer
organischen, in solgerechter Entwicklung fortschreitenden obrigkeitlichen Gesamt¬
thätigkeit und Pfleglichkcit wäre. Für den Richter wie für den Verwaltungs¬
beamten gilt nmwtis mutimäis der Satz, der auf die schönen Künste gemünzt
ist: ZiäioiZLL einthut,"?!' artos vnrollit inorss meo Sinn "ZLSS tsros. Die wissen-


Zur Frage der Vorbildung der höhern Verwaltungsbeamten

Zusammenhang des Staatslebens schwer zu lebendigem Bewußtsein kommen,
der wird nur zu leicht subalternen Arbeiten und unfruchtbarer Vielgeschüftig-
keit verfallen.

Wenn man die Verzeichnisse der Vorlesungen der preußischen Hoch¬
schulen durchsieht, so muß man billig zweifeln, ob den Studenten genug
Gelegenheit zur Gewinnung der nötigen Ausbildung im Verwaltungsrecht,
in der Verwaltungslehre und in der Politik (als Wissenschaft) gegeben ist.
Und doch kann die mündliche Belehrung und Anregung des Dozenten nie¬
mals, wenigstens auf dieser Stufe des Lebens und der wissenschaftlichen Aus¬
bildung nicht, durch Beschäftigung mit der Litteratur ersetzt werden. Soweit
wir sehen, wurden auf den preußischen Universitäten im Sommer 1895 im
ganzen nur vier drei- bis fünfstündige und im Winter 1895/96 uur acht solche
Vorlesungen über Verwaltungsrecht gehalten; eine vierstündige darunter er¬
streckte sich sogar mit auf deutsches und preußisches Staatsrecht, wobei das
Verwaltungsrecht selbstverständlich nur sehr summarisch behandelt werden
konnte. Daneben wurden im Sommer 1895 eine, im Winter 1895/96 zwei
zweistündige praktische Verwaltungsrechtsvorlesungen gehalten, Politik ist in
beiden Semestern überhaupt nur in Berlin und zwar (von Hübler) in Verbin¬
dung mit dem Völkerrecht behandelt worden. Daß hiermit dem Bedürfnis nicht
genügt wird, ja daß das Verwaltungsrecht als czuÄrckitv mög'lig'sg.bis erscheint,
liegt doch auf der Hand, zumal im Vergleich zu der Ausführlichkeit, mit der
die Disziplinen des Zivil- und Strafprozesses, des materiellen Strafrechts, des
Konkursrechts, des Kirchenrechts usw. behandelt werden. Fehlt es aber an
Lehrern für dieses Fach, so wird darauf Bedacht genommen werden müssen,
bei den Universitäten Verwaltungsbeamte zu solchen Vorlesungen heranzuziehen,
ähnlich wie schon jetzt in Berlin Vorlesungen über Eisenbahnrecht von Beamten
des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten gehalten werden. Auf dem Gebiete
des Verwaltungsrechts und der Verwaltungslehre würde ohnehin ein inniger
Zusammenhang, sozusagen eine Personalunion von Theorie und Praxis be¬
sonders förderlich sein.

Nichts ist verderblicher als die hie und da unausgesprochen oder aner¬
kanntermaßen vertretene Meinung, in der Praxis komme es mehr auf deu
„gesunden Menschenverstand" als auf theoretisches Wissen an, als würde, um
eines beim Nichterbesoldungsgesetz gefallnen Ausdrucks zu gedenken, die Fähig¬
keit zu amtlicher Stellung „durch Abstammung und Erziehung" gewonnen.
Das könnte vielleicht der Fall sein, wenn die Verwaltung eine Reihe lose
aneinander hängender, unabhängig aufeinander folgender Handlungen statt einer
organischen, in solgerechter Entwicklung fortschreitenden obrigkeitlichen Gesamt¬
thätigkeit und Pfleglichkcit wäre. Für den Richter wie für den Verwaltungs¬
beamten gilt nmwtis mutimäis der Satz, der auf die schönen Künste gemünzt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/600>, abgerufen am 27.11.2024.