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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten

reichen, was erreicht werden soll. Warum aber sträubt man sich, das Belegen
bestimmter Vorlesungen vorzuschreiben, deren Gegenstand sür die Justiz- und
Verwaltungsbeamten nötig erscheint? Im Namen der akademischen Freiheit?
Ist denn die Freiheit des akademischen Bürgers von Hause ans und begrifflich
die Freiheit, nichts zu lernen, ein Tagedieb zu sein? Oder die Freiheit, jede Ge¬
legenheit zum Lernen zu ergreifen, zu jedem Vilduugsinstitut und Vilduugs-
mittel der Universität Zugang zu haben, ohne Trennung der Fakultäten, in
beliebiger Weise und beliebigem Umfang? Mittel, den Besuch der Vorlesungen
zu erzwingen, wird man schon zu finden wissen -- in Heft 23 vom 4. Juni d. I.
sind in den Grenzboten selbst Vorschläge dazu gemacht worden. Man verschärfe
nur die Prüfungen, soweit es irgend möglich ist, insbesondre das Neferendar-
examen, man scheue sich uicht, so viel zu verlangen, daß die Mehrzahl und der
Durchschnitt der Studenten den Stoff in sechs Semestern uicht zu bewältigen
vermag; damit käme man auf dem Wege zu tiefern Kenntnissen und zum
wirklichen Studium vou siehe" bis acht Semestern einen guten Schritt weiter.

Läßt sich ein Tentamen in der Mitte der Studienzeit einführen -- auch
dazu bedarf es gesetzlicher, sogar reichsgesetzlicher Änderung --, so wird das
nach der allgemeinen Meinung der Studenten ein mächtiger Sporn sein, aber
unbedingt nötig ist es wohl nicht.

Den im Gesetz von: 11. Mürz 1879 erforderten Nachweis des Studiums
der Staatswissenschaften sollte und könnte man sehr wohl im Wege des Ne-
gulatis durch eine besondre Prüfung, wie sie auch im Z 49 der Regierungs-
instruktiou vorgesehen war, oder durch eingehende Zeugnisse der Univer¬
sitätslehrer liefern lassen. Diese Prüfung könnte (je nach Wahl des
Kandidaten?) entweder am Schlüsse der Universitätszeit oder vor dem Über¬
tritt zur Regierung vor eigens dazu gebildeten, zum größer" Teil aus Uni¬
versitätslehrern, teilweise aus Beamten bestehenden Kommissionen abgelegt
werden. Daß es mit diesem Nachweise heute uicht streng genug genommen
wird, ist wiederholt in der Öffentlichkeit, auch im Abgeordnetenhaus" (z. V.
von dem Abgeordneten or. Friedberg) behauptet worden, ohne daß ein Wider¬
spruch laut geworden wäre. Jedenfalls ist ein eingehendes Studium des
öffentliche" Rechts und der Verwaltungslehre für die künftigen Verwaltungs¬
beamten unerläßlich, und es muß schon auf der Universität zu einem gewissen
formellen und materiellen Abschluß kommen. In der zweijährigen praktischen
Vorbereitungszeit bei den Verwaltungsbehörden (allgemeine, Kirchen- und
Schul-, Steuerverwaltung usw.) drängen sich so viele praktische Dinge auf,
die das Studium einzelner Fragen, gesetzlicher Bestimmungen und Rechtsvor¬
schriften erfordern, daß in dieser Zeit ein vorher unterlassenes systematisches
Studium unmöglich noch nebenher nachgeholt werden kann. Wer aber ohne
genügende wissenschaftliche Vorbildung in den Verwaltungsdienst eintritt, der
läuft Gefahr, sich in den Einzelheiten der Praxis zu verzetteln, dem wird der


Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten

reichen, was erreicht werden soll. Warum aber sträubt man sich, das Belegen
bestimmter Vorlesungen vorzuschreiben, deren Gegenstand sür die Justiz- und
Verwaltungsbeamten nötig erscheint? Im Namen der akademischen Freiheit?
Ist denn die Freiheit des akademischen Bürgers von Hause ans und begrifflich
die Freiheit, nichts zu lernen, ein Tagedieb zu sein? Oder die Freiheit, jede Ge¬
legenheit zum Lernen zu ergreifen, zu jedem Vilduugsinstitut und Vilduugs-
mittel der Universität Zugang zu haben, ohne Trennung der Fakultäten, in
beliebiger Weise und beliebigem Umfang? Mittel, den Besuch der Vorlesungen
zu erzwingen, wird man schon zu finden wissen — in Heft 23 vom 4. Juni d. I.
sind in den Grenzboten selbst Vorschläge dazu gemacht worden. Man verschärfe
nur die Prüfungen, soweit es irgend möglich ist, insbesondre das Neferendar-
examen, man scheue sich uicht, so viel zu verlangen, daß die Mehrzahl und der
Durchschnitt der Studenten den Stoff in sechs Semestern uicht zu bewältigen
vermag; damit käme man auf dem Wege zu tiefern Kenntnissen und zum
wirklichen Studium vou siehe» bis acht Semestern einen guten Schritt weiter.

Läßt sich ein Tentamen in der Mitte der Studienzeit einführen — auch
dazu bedarf es gesetzlicher, sogar reichsgesetzlicher Änderung —, so wird das
nach der allgemeinen Meinung der Studenten ein mächtiger Sporn sein, aber
unbedingt nötig ist es wohl nicht.

Den im Gesetz von: 11. Mürz 1879 erforderten Nachweis des Studiums
der Staatswissenschaften sollte und könnte man sehr wohl im Wege des Ne-
gulatis durch eine besondre Prüfung, wie sie auch im Z 49 der Regierungs-
instruktiou vorgesehen war, oder durch eingehende Zeugnisse der Univer¬
sitätslehrer liefern lassen. Diese Prüfung könnte (je nach Wahl des
Kandidaten?) entweder am Schlüsse der Universitätszeit oder vor dem Über¬
tritt zur Regierung vor eigens dazu gebildeten, zum größer» Teil aus Uni¬
versitätslehrern, teilweise aus Beamten bestehenden Kommissionen abgelegt
werden. Daß es mit diesem Nachweise heute uicht streng genug genommen
wird, ist wiederholt in der Öffentlichkeit, auch im Abgeordnetenhaus« (z. V.
von dem Abgeordneten or. Friedberg) behauptet worden, ohne daß ein Wider¬
spruch laut geworden wäre. Jedenfalls ist ein eingehendes Studium des
öffentliche» Rechts und der Verwaltungslehre für die künftigen Verwaltungs¬
beamten unerläßlich, und es muß schon auf der Universität zu einem gewissen
formellen und materiellen Abschluß kommen. In der zweijährigen praktischen
Vorbereitungszeit bei den Verwaltungsbehörden (allgemeine, Kirchen- und
Schul-, Steuerverwaltung usw.) drängen sich so viele praktische Dinge auf,
die das Studium einzelner Fragen, gesetzlicher Bestimmungen und Rechtsvor¬
schriften erfordern, daß in dieser Zeit ein vorher unterlassenes systematisches
Studium unmöglich noch nebenher nachgeholt werden kann. Wer aber ohne
genügende wissenschaftliche Vorbildung in den Verwaltungsdienst eintritt, der
läuft Gefahr, sich in den Einzelheiten der Praxis zu verzetteln, dem wird der


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[0599] Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten reichen, was erreicht werden soll. Warum aber sträubt man sich, das Belegen bestimmter Vorlesungen vorzuschreiben, deren Gegenstand sür die Justiz- und Verwaltungsbeamten nötig erscheint? Im Namen der akademischen Freiheit? Ist denn die Freiheit des akademischen Bürgers von Hause ans und begrifflich die Freiheit, nichts zu lernen, ein Tagedieb zu sein? Oder die Freiheit, jede Ge¬ legenheit zum Lernen zu ergreifen, zu jedem Vilduugsinstitut und Vilduugs- mittel der Universität Zugang zu haben, ohne Trennung der Fakultäten, in beliebiger Weise und beliebigem Umfang? Mittel, den Besuch der Vorlesungen zu erzwingen, wird man schon zu finden wissen — in Heft 23 vom 4. Juni d. I. sind in den Grenzboten selbst Vorschläge dazu gemacht worden. Man verschärfe nur die Prüfungen, soweit es irgend möglich ist, insbesondre das Neferendar- examen, man scheue sich uicht, so viel zu verlangen, daß die Mehrzahl und der Durchschnitt der Studenten den Stoff in sechs Semestern uicht zu bewältigen vermag; damit käme man auf dem Wege zu tiefern Kenntnissen und zum wirklichen Studium vou siehe» bis acht Semestern einen guten Schritt weiter. Läßt sich ein Tentamen in der Mitte der Studienzeit einführen — auch dazu bedarf es gesetzlicher, sogar reichsgesetzlicher Änderung —, so wird das nach der allgemeinen Meinung der Studenten ein mächtiger Sporn sein, aber unbedingt nötig ist es wohl nicht. Den im Gesetz von: 11. Mürz 1879 erforderten Nachweis des Studiums der Staatswissenschaften sollte und könnte man sehr wohl im Wege des Ne- gulatis durch eine besondre Prüfung, wie sie auch im Z 49 der Regierungs- instruktiou vorgesehen war, oder durch eingehende Zeugnisse der Univer¬ sitätslehrer liefern lassen. Diese Prüfung könnte (je nach Wahl des Kandidaten?) entweder am Schlüsse der Universitätszeit oder vor dem Über¬ tritt zur Regierung vor eigens dazu gebildeten, zum größer» Teil aus Uni¬ versitätslehrern, teilweise aus Beamten bestehenden Kommissionen abgelegt werden. Daß es mit diesem Nachweise heute uicht streng genug genommen wird, ist wiederholt in der Öffentlichkeit, auch im Abgeordnetenhaus« (z. V. von dem Abgeordneten or. Friedberg) behauptet worden, ohne daß ein Wider¬ spruch laut geworden wäre. Jedenfalls ist ein eingehendes Studium des öffentliche» Rechts und der Verwaltungslehre für die künftigen Verwaltungs¬ beamten unerläßlich, und es muß schon auf der Universität zu einem gewissen formellen und materiellen Abschluß kommen. In der zweijährigen praktischen Vorbereitungszeit bei den Verwaltungsbehörden (allgemeine, Kirchen- und Schul-, Steuerverwaltung usw.) drängen sich so viele praktische Dinge auf, die das Studium einzelner Fragen, gesetzlicher Bestimmungen und Rechtsvor¬ schriften erfordern, daß in dieser Zeit ein vorher unterlassenes systematisches Studium unmöglich noch nebenher nachgeholt werden kann. Wer aber ohne genügende wissenschaftliche Vorbildung in den Verwaltungsdienst eintritt, der läuft Gefahr, sich in den Einzelheiten der Praxis zu verzetteln, dem wird der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/599>, abgerufen am 27.11.2024.