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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Frage der Vorbildung der Höhen? verwaltnugsbeamteu

die Verhältnisse natürlich ganz anders; aber gerade die Erfahrung der neuern
Zeit hat zur Trennung des Justiz- und des Verwaltungsvorbereitungsdienstcs
gedrängt, und die wird nicht wieder aufgegeben werden können. Vom Gym¬
nasialabiturienten kann man mit Recht sagen: er hat sich eine formale Geistes-
cmsbildung und eine Fülle von Kenntnissen erworben, die er, welchen Beruf
er auch wählen möge, zum guten Teil nicht unmittelbar anwenden und ver¬
werten kann, die ihn aber befähigt, leicht aufzufassen und sich leicht in jedes
Fachstudium zu finden. Anders liegt es beim Gerichtsassessor; Nichten und
Verwalter, in alter Zeit in einer Hand vereinigt und in einander fließend,
sind heute ganz verschiedne Dinge, und es ist etwas andres, an ein neues
Studium heranzutreten, als eine praktische Verwaltungs- oder Regierungs-
thütigkeit auszuüben. Es kommt noch hinzu, daß nach Ausführung sach¬
verständiger Juristen, wie O. Vähr u. a., die Ausbildung der Gerichts¬
referendare uuter dem heutigen Prozeßverfahren bei weitem uicht mehr so
gründlich ist und wissenschaftlich so fördert wie vorher.

Kann die Verlängerung des Studiums auf vier Jahre alle Klagen
beseitigen? Ist sie erreichbar? Zunächst ist sie nur möglich durch Änderung
des preußischen Ausführnngsgcsetzes zum deutschen Gerichtsverfasfungsgefetz,
und diese würde möglicherweise vom Parlament nur um den Preis der Ver¬
kürzung des Neferendariats auf drei Jahre zu erlangen sein, einer Verkürzung,
die vielleicht sachlich unschädlich und möglich, aber wahrscheinlich wegen der
dadurch bedingten Vermehrung der Gerichtsschreiber wenigstens zur Zeit
aus finanziellen Gründen für unthunlich erachtet werden müßte. Umgekehrt
würde eine obligatorische achtjährige Ausbildungszeit vielleicht als ein Ab¬
schreckungsmittel gegen das Rechtsstudium wirken, wonach ja jetzt vielfach ge¬
sucht wird; doch erscheint es zweifelhaft, ob sich dieses Mittel gerade gegen
die Leute wirksam erweisen würde, deren Ausschließung aus dem Nichter-
stcmde man erstrebt. Ist es auch nicht zu bezweifeln, daß angesichts des
bürgerlichen Gesetzbuchs, der künftigen Grundlage des Privatrechtsftudiums,
die Studienzeit mehr ausgenutzt werden muß als bisher, ist es auch ebenso
unzweifelhaft, daß gerade die dem Verwaltungsbeamten wichtigen, ja unent¬
behrlichen Materien der Rechts- und der Staatswissenschaft ein längeres und
tieferes Studium erwünscht machen, als es sich gewöhnlich in drei Jahren
vollzieht, so wird man doch' kaum dazu übergehen dürfen, dem Strebsamen die
immerhin vorhcmdne Möglichkeit zu verschließen, sich in drei Jahren das er¬
forderliche Maß von Kenntnissen und Fähigkeiten anzueignen. Und ferner
würde man mit dem vierjährigen Studium dem, der sich nicht aus eignem Drang
und innerm Berufe dieser Laufbahn zuwendet, nur die Gelegenheit, ja den
Anreiz geben, sich noch ein Jahr länger dem nach dem Zwang des Gymna¬
siums für manchen doppelt verlockenden äolos tÄr niönts der sogenannten aka¬
demischen Freiheit hinzugeben. Man würde also das Gegenteil von dein er-


Zur Frage der Vorbildung der Höhen? verwaltnugsbeamteu

die Verhältnisse natürlich ganz anders; aber gerade die Erfahrung der neuern
Zeit hat zur Trennung des Justiz- und des Verwaltungsvorbereitungsdienstcs
gedrängt, und die wird nicht wieder aufgegeben werden können. Vom Gym¬
nasialabiturienten kann man mit Recht sagen: er hat sich eine formale Geistes-
cmsbildung und eine Fülle von Kenntnissen erworben, die er, welchen Beruf
er auch wählen möge, zum guten Teil nicht unmittelbar anwenden und ver¬
werten kann, die ihn aber befähigt, leicht aufzufassen und sich leicht in jedes
Fachstudium zu finden. Anders liegt es beim Gerichtsassessor; Nichten und
Verwalter, in alter Zeit in einer Hand vereinigt und in einander fließend,
sind heute ganz verschiedne Dinge, und es ist etwas andres, an ein neues
Studium heranzutreten, als eine praktische Verwaltungs- oder Regierungs-
thütigkeit auszuüben. Es kommt noch hinzu, daß nach Ausführung sach¬
verständiger Juristen, wie O. Vähr u. a., die Ausbildung der Gerichts¬
referendare uuter dem heutigen Prozeßverfahren bei weitem uicht mehr so
gründlich ist und wissenschaftlich so fördert wie vorher.

Kann die Verlängerung des Studiums auf vier Jahre alle Klagen
beseitigen? Ist sie erreichbar? Zunächst ist sie nur möglich durch Änderung
des preußischen Ausführnngsgcsetzes zum deutschen Gerichtsverfasfungsgefetz,
und diese würde möglicherweise vom Parlament nur um den Preis der Ver¬
kürzung des Neferendariats auf drei Jahre zu erlangen sein, einer Verkürzung,
die vielleicht sachlich unschädlich und möglich, aber wahrscheinlich wegen der
dadurch bedingten Vermehrung der Gerichtsschreiber wenigstens zur Zeit
aus finanziellen Gründen für unthunlich erachtet werden müßte. Umgekehrt
würde eine obligatorische achtjährige Ausbildungszeit vielleicht als ein Ab¬
schreckungsmittel gegen das Rechtsstudium wirken, wonach ja jetzt vielfach ge¬
sucht wird; doch erscheint es zweifelhaft, ob sich dieses Mittel gerade gegen
die Leute wirksam erweisen würde, deren Ausschließung aus dem Nichter-
stcmde man erstrebt. Ist es auch nicht zu bezweifeln, daß angesichts des
bürgerlichen Gesetzbuchs, der künftigen Grundlage des Privatrechtsftudiums,
die Studienzeit mehr ausgenutzt werden muß als bisher, ist es auch ebenso
unzweifelhaft, daß gerade die dem Verwaltungsbeamten wichtigen, ja unent¬
behrlichen Materien der Rechts- und der Staatswissenschaft ein längeres und
tieferes Studium erwünscht machen, als es sich gewöhnlich in drei Jahren
vollzieht, so wird man doch' kaum dazu übergehen dürfen, dem Strebsamen die
immerhin vorhcmdne Möglichkeit zu verschließen, sich in drei Jahren das er¬
forderliche Maß von Kenntnissen und Fähigkeiten anzueignen. Und ferner
würde man mit dem vierjährigen Studium dem, der sich nicht aus eignem Drang
und innerm Berufe dieser Laufbahn zuwendet, nur die Gelegenheit, ja den
Anreiz geben, sich noch ein Jahr länger dem nach dem Zwang des Gymna¬
siums für manchen doppelt verlockenden äolos tÄr niönts der sogenannten aka¬
demischen Freiheit hinzugeben. Man würde also das Gegenteil von dein er-


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[0598] Zur Frage der Vorbildung der Höhen? verwaltnugsbeamteu die Verhältnisse natürlich ganz anders; aber gerade die Erfahrung der neuern Zeit hat zur Trennung des Justiz- und des Verwaltungsvorbereitungsdienstcs gedrängt, und die wird nicht wieder aufgegeben werden können. Vom Gym¬ nasialabiturienten kann man mit Recht sagen: er hat sich eine formale Geistes- cmsbildung und eine Fülle von Kenntnissen erworben, die er, welchen Beruf er auch wählen möge, zum guten Teil nicht unmittelbar anwenden und ver¬ werten kann, die ihn aber befähigt, leicht aufzufassen und sich leicht in jedes Fachstudium zu finden. Anders liegt es beim Gerichtsassessor; Nichten und Verwalter, in alter Zeit in einer Hand vereinigt und in einander fließend, sind heute ganz verschiedne Dinge, und es ist etwas andres, an ein neues Studium heranzutreten, als eine praktische Verwaltungs- oder Regierungs- thütigkeit auszuüben. Es kommt noch hinzu, daß nach Ausführung sach¬ verständiger Juristen, wie O. Vähr u. a., die Ausbildung der Gerichts¬ referendare uuter dem heutigen Prozeßverfahren bei weitem uicht mehr so gründlich ist und wissenschaftlich so fördert wie vorher. Kann die Verlängerung des Studiums auf vier Jahre alle Klagen beseitigen? Ist sie erreichbar? Zunächst ist sie nur möglich durch Änderung des preußischen Ausführnngsgcsetzes zum deutschen Gerichtsverfasfungsgefetz, und diese würde möglicherweise vom Parlament nur um den Preis der Ver¬ kürzung des Neferendariats auf drei Jahre zu erlangen sein, einer Verkürzung, die vielleicht sachlich unschädlich und möglich, aber wahrscheinlich wegen der dadurch bedingten Vermehrung der Gerichtsschreiber wenigstens zur Zeit aus finanziellen Gründen für unthunlich erachtet werden müßte. Umgekehrt würde eine obligatorische achtjährige Ausbildungszeit vielleicht als ein Ab¬ schreckungsmittel gegen das Rechtsstudium wirken, wonach ja jetzt vielfach ge¬ sucht wird; doch erscheint es zweifelhaft, ob sich dieses Mittel gerade gegen die Leute wirksam erweisen würde, deren Ausschließung aus dem Nichter- stcmde man erstrebt. Ist es auch nicht zu bezweifeln, daß angesichts des bürgerlichen Gesetzbuchs, der künftigen Grundlage des Privatrechtsftudiums, die Studienzeit mehr ausgenutzt werden muß als bisher, ist es auch ebenso unzweifelhaft, daß gerade die dem Verwaltungsbeamten wichtigen, ja unent¬ behrlichen Materien der Rechts- und der Staatswissenschaft ein längeres und tieferes Studium erwünscht machen, als es sich gewöhnlich in drei Jahren vollzieht, so wird man doch' kaum dazu übergehen dürfen, dem Strebsamen die immerhin vorhcmdne Möglichkeit zu verschließen, sich in drei Jahren das er¬ forderliche Maß von Kenntnissen und Fähigkeiten anzueignen. Und ferner würde man mit dem vierjährigen Studium dem, der sich nicht aus eignem Drang und innerm Berufe dieser Laufbahn zuwendet, nur die Gelegenheit, ja den Anreiz geben, sich noch ein Jahr länger dem nach dem Zwang des Gymna¬ siums für manchen doppelt verlockenden äolos tÄr niönts der sogenannten aka¬ demischen Freiheit hinzugeben. Man würde also das Gegenteil von dein er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/598>, abgerufen am 27.11.2024.