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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten

Publikum gefunden in den Klagen über den wachsenden Büreaukratismus und
Formalismus, über mangelnde Rücksicht auf örtliche und persönliche Eigentüm¬
lichkeiten, über schematisiren und Verlassen des Grundsatzes mwiing. mein ami^t
xraotor; in maßgebenden Beamtenkreisen klagt man über den sich mehr und
mehr bemerklich machenden Mangel an praktischem Blick und Geschick, an
Staats- und Verwaltungskunde, an Kenntnis des positiven Rechts, an Über¬
blick und an zutreffenden, nüchternem Urteil, über das weitverbreitete Streben
nach formaler Korrektheit auf Kosten der sachlichen Erfolge der Verwaltungs¬
thätigkeit; überall ertönen Seufzer wegen des immer mehr überhandnehmenden
Schreibwerks.

Entfremdung von der Auffassung des praktischen Lebens wird freilich in
gleicher Weise den Gerichten, auch denen höchster Instanz, vorgeworfen, sie
wird also wohl auf allgemeine Ursachen zurückzuführen sein. Sie wäre aber,
wenn sie wirklich vorläge, bei der Verwaltung einigermaßen befremdlich,,
da sich diese durch die parlamentarischen Verhandlungen. Proviuzmllcmdtage usw.
unter steter Kontrolle der Öffentlichkeit abspielt, und in den östlichen Provinzen
Preußens nun seit fünfundzwanzig Jahren und in deu westlichen und
neuerworbnen Landesteilen auch schon seit geraumer Zeit die sogenannten
Selbstverwaltungsbehörden (Bezirks- und Kreisausschüsse) bestehen, die geeignet
sind, die Berufsbeamten dauernd mit dem praktischen Leben in Fühlung zu
bringen und darin zu erhalten als "Mittelbau zwischen Staat und Gesellschaft."
Andrerseits ist freilich die Zuständigkeit dieser Kollegien ziemlich beschränkt,
es ist durch die ihnen in erster Reihe obliegende Verwaltnngsrechtsprechung
selbstverständlich wieder ein gewisser Formalismus geschaffen, der die freie
Bewegung hindert, und es läßt sich auch die Behauptung nicht ganz abweisen,
daß das Beamtentum ein gewisses Feld der Thätigkeit haben müsse, und daß
es natürlicherweise die Einbuße an Machtvollkommenheit durch die Selbst¬
verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung durch schärferes Eingreifen inner¬
halb der ihm gesteckten Grenzen auszugleichen bestrebt sei.

Nun ist darüber kein Zweifel: durch die Anordnung einer gleichmäßigen
Ausbildung der Richter und der Verwaltungsbeamten, wie sie in kleinen und
mittlern Staaten des deutschen Reichs besteht, kann nicht geholfen werden,
schon deshalb nicht, weil bei der großen Zahl der Referendare im Großstaat
Preußen eine Beschäftigung aller bei den Verwaltungsbehörden unmöglich
Wäre und keinesfalls auf so lange Zeit ausgedehnt werden könnte, wie es
erfahrungsmäßig zur Erreichung einigen Erfolgs unerläßlich ist. Wie schwer
es aber für den Gerichtsasscsfor ist, sich, wenn er etwa als Justitiar in die
Verwaltung hineinkommt oder eine leitende Stellung in der Verwaltung einer
Stadt übernimmt, in die ihm bis dahin fremde Thätigkeit einzuleben, ist all¬
bekannt und allgemein anerkannt; und doch erleichtert z. B. die Vielseitigkeit
des Justitiariats solches Einleben ganz wesentlich. In früherer Zeit lagen


Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten

Publikum gefunden in den Klagen über den wachsenden Büreaukratismus und
Formalismus, über mangelnde Rücksicht auf örtliche und persönliche Eigentüm¬
lichkeiten, über schematisiren und Verlassen des Grundsatzes mwiing. mein ami^t
xraotor; in maßgebenden Beamtenkreisen klagt man über den sich mehr und
mehr bemerklich machenden Mangel an praktischem Blick und Geschick, an
Staats- und Verwaltungskunde, an Kenntnis des positiven Rechts, an Über¬
blick und an zutreffenden, nüchternem Urteil, über das weitverbreitete Streben
nach formaler Korrektheit auf Kosten der sachlichen Erfolge der Verwaltungs¬
thätigkeit; überall ertönen Seufzer wegen des immer mehr überhandnehmenden
Schreibwerks.

Entfremdung von der Auffassung des praktischen Lebens wird freilich in
gleicher Weise den Gerichten, auch denen höchster Instanz, vorgeworfen, sie
wird also wohl auf allgemeine Ursachen zurückzuführen sein. Sie wäre aber,
wenn sie wirklich vorläge, bei der Verwaltung einigermaßen befremdlich,,
da sich diese durch die parlamentarischen Verhandlungen. Proviuzmllcmdtage usw.
unter steter Kontrolle der Öffentlichkeit abspielt, und in den östlichen Provinzen
Preußens nun seit fünfundzwanzig Jahren und in deu westlichen und
neuerworbnen Landesteilen auch schon seit geraumer Zeit die sogenannten
Selbstverwaltungsbehörden (Bezirks- und Kreisausschüsse) bestehen, die geeignet
sind, die Berufsbeamten dauernd mit dem praktischen Leben in Fühlung zu
bringen und darin zu erhalten als „Mittelbau zwischen Staat und Gesellschaft."
Andrerseits ist freilich die Zuständigkeit dieser Kollegien ziemlich beschränkt,
es ist durch die ihnen in erster Reihe obliegende Verwaltnngsrechtsprechung
selbstverständlich wieder ein gewisser Formalismus geschaffen, der die freie
Bewegung hindert, und es läßt sich auch die Behauptung nicht ganz abweisen,
daß das Beamtentum ein gewisses Feld der Thätigkeit haben müsse, und daß
es natürlicherweise die Einbuße an Machtvollkommenheit durch die Selbst¬
verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung durch schärferes Eingreifen inner¬
halb der ihm gesteckten Grenzen auszugleichen bestrebt sei.

Nun ist darüber kein Zweifel: durch die Anordnung einer gleichmäßigen
Ausbildung der Richter und der Verwaltungsbeamten, wie sie in kleinen und
mittlern Staaten des deutschen Reichs besteht, kann nicht geholfen werden,
schon deshalb nicht, weil bei der großen Zahl der Referendare im Großstaat
Preußen eine Beschäftigung aller bei den Verwaltungsbehörden unmöglich
Wäre und keinesfalls auf so lange Zeit ausgedehnt werden könnte, wie es
erfahrungsmäßig zur Erreichung einigen Erfolgs unerläßlich ist. Wie schwer
es aber für den Gerichtsasscsfor ist, sich, wenn er etwa als Justitiar in die
Verwaltung hineinkommt oder eine leitende Stellung in der Verwaltung einer
Stadt übernimmt, in die ihm bis dahin fremde Thätigkeit einzuleben, ist all¬
bekannt und allgemein anerkannt; und doch erleichtert z. B. die Vielseitigkeit
des Justitiariats solches Einleben ganz wesentlich. In früherer Zeit lagen


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[0597] Zur Frage der Vorbildung der höhern verwaltungsbeamten Publikum gefunden in den Klagen über den wachsenden Büreaukratismus und Formalismus, über mangelnde Rücksicht auf örtliche und persönliche Eigentüm¬ lichkeiten, über schematisiren und Verlassen des Grundsatzes mwiing. mein ami^t xraotor; in maßgebenden Beamtenkreisen klagt man über den sich mehr und mehr bemerklich machenden Mangel an praktischem Blick und Geschick, an Staats- und Verwaltungskunde, an Kenntnis des positiven Rechts, an Über¬ blick und an zutreffenden, nüchternem Urteil, über das weitverbreitete Streben nach formaler Korrektheit auf Kosten der sachlichen Erfolge der Verwaltungs¬ thätigkeit; überall ertönen Seufzer wegen des immer mehr überhandnehmenden Schreibwerks. Entfremdung von der Auffassung des praktischen Lebens wird freilich in gleicher Weise den Gerichten, auch denen höchster Instanz, vorgeworfen, sie wird also wohl auf allgemeine Ursachen zurückzuführen sein. Sie wäre aber, wenn sie wirklich vorläge, bei der Verwaltung einigermaßen befremdlich,, da sich diese durch die parlamentarischen Verhandlungen. Proviuzmllcmdtage usw. unter steter Kontrolle der Öffentlichkeit abspielt, und in den östlichen Provinzen Preußens nun seit fünfundzwanzig Jahren und in deu westlichen und neuerworbnen Landesteilen auch schon seit geraumer Zeit die sogenannten Selbstverwaltungsbehörden (Bezirks- und Kreisausschüsse) bestehen, die geeignet sind, die Berufsbeamten dauernd mit dem praktischen Leben in Fühlung zu bringen und darin zu erhalten als „Mittelbau zwischen Staat und Gesellschaft." Andrerseits ist freilich die Zuständigkeit dieser Kollegien ziemlich beschränkt, es ist durch die ihnen in erster Reihe obliegende Verwaltnngsrechtsprechung selbstverständlich wieder ein gewisser Formalismus geschaffen, der die freie Bewegung hindert, und es läßt sich auch die Behauptung nicht ganz abweisen, daß das Beamtentum ein gewisses Feld der Thätigkeit haben müsse, und daß es natürlicherweise die Einbuße an Machtvollkommenheit durch die Selbst¬ verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung durch schärferes Eingreifen inner¬ halb der ihm gesteckten Grenzen auszugleichen bestrebt sei. Nun ist darüber kein Zweifel: durch die Anordnung einer gleichmäßigen Ausbildung der Richter und der Verwaltungsbeamten, wie sie in kleinen und mittlern Staaten des deutschen Reichs besteht, kann nicht geholfen werden, schon deshalb nicht, weil bei der großen Zahl der Referendare im Großstaat Preußen eine Beschäftigung aller bei den Verwaltungsbehörden unmöglich Wäre und keinesfalls auf so lange Zeit ausgedehnt werden könnte, wie es erfahrungsmäßig zur Erreichung einigen Erfolgs unerläßlich ist. Wie schwer es aber für den Gerichtsasscsfor ist, sich, wenn er etwa als Justitiar in die Verwaltung hineinkommt oder eine leitende Stellung in der Verwaltung einer Stadt übernimmt, in die ihm bis dahin fremde Thätigkeit einzuleben, ist all¬ bekannt und allgemein anerkannt; und doch erleichtert z. B. die Vielseitigkeit des Justitiariats solches Einleben ganz wesentlich. In früherer Zeit lagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/597>, abgerufen am 28.07.2024.