Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches nach wie vor nur einen Teil der Deutschen vertreten und haben keine Aussicht, in Worin liegt nun die Bedeutung der österreichischen Wahlbewegung, wenn der Maßgebliches und Unmaßgebliches nach wie vor nur einen Teil der Deutschen vertreten und haben keine Aussicht, in Worin liegt nun die Bedeutung der österreichischen Wahlbewegung, wenn der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223523"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1622" prev="#ID_1621"> nach wie vor nur einen Teil der Deutschen vertreten und haben keine Aussicht, in<lb/> irgend einem der Vertrctungskörper die Mehrheit zu erlangen. Um wenigstens<lb/> die Mehrheit der deutschen Mandate in ihren Besitz zu bringen, müßten sie<lb/> einerseits die Großindnstriellen und Großhändler Böhmens und Mährens, andrer¬<lb/> seits die Großgrundbesitzer aller Kronländer für sich gewinnen; aber jene werden<lb/> niemals einer Antiscmitenpartei und diese niemals einer romfeindlichen beitreten.<lb/> Das Ergebnis des gewaltigen Parteikampfes wird sich also darauf beschränken, daß<lb/> die Dentschuationalen und die reinen Antisemiten ein paar Mandate mehr, die<lb/> Liberalen ein Paar weniger haben, und daß die Juden ein wenig bescheidner<lb/> werden werden; das ist ja ganz erfreulich, aber die innere Politik Österreichs wird<lb/> dadurch keine wesentliche Änderung erleiden, namentlich werden die Antisemiten ihr<lb/> eigentliches Ziel nicht erreichen. Das wäre nur möglich, wenn man nach türkischer<lb/> Methode verführe, und deren Anwendung gestattet die Regierung nicht. Da man<lb/> also die Juden weder schlachten noch ans dem Lande treiben kann — welches Land<lb/> wäre bereit, sie aufzunehmen? —, so müssen sie sich doch mit etwas ernähren, und<lb/> dürfen sie nicht mehr schachern, was sollten sie da anfangen? Wenn sie sich auf<lb/> Landwirtschaft und Gewerbe verlegten, würden die Bauern und die Handwerker<lb/> über diesen Zuwachs vou Konkurrenten etwa sehr entzückt sein? Und höher hinauf,<lb/> an die Fiucmzbarone, darf sich der Antisemitismus nicht wagen; weiß man ja doch,<lb/> wie es den Berliner Antisemiten ergangen ist, als sie über den Mühlendamm<lb/> hinaus schauten und ihre Angriffe gegen Berlin West richteten. Unser ganzer Ge-<lb/> sellschaftSzustand hat ein ungeheures mobiles Kapital, Papierkapital, fiktives Kapital,<lb/> zur Voraussetzung. Der Kaufmann, der Fabrikbesitzer, der Großgrundbesitzer, ja<lb/> anch der Handwerker und der Bauer, sie alle arbeiten damit, und wenn sie noch<lb/> so wütend über das mobile Kapital schimpfen, so meinen sie im Grnnde genommen<lb/> weiter nichts, als daß sie mehr davon haben und weniger Zinsen dafür bezahlen<lb/> wollen, während sie gar nichts dagegen haben, wenn ihnen das Geld, das sie selbst<lb/> ausleihen, hohe Zinsen bringt. Und ruht nicht die Militärmacht, damit aber die<lb/> ganze Stantsverfassung Europas auf diesem Kapital? Wie wären die europäischen<lb/> Kriege und der bewaffnete Friede möglich ohne die enormen Staatsschulden! Will<lb/> aber irgend eine Partei, anßer der sozialdemokratischen, eine Änderung dieses Zu¬<lb/> standes? Bewahre! Alles, was nicht Sozinldemokrat ist, geizt ja nach dem<lb/> Ruhme, zu den staatserhaltenden gerechnet zu werden. Will man aber den Zweck,<lb/> so muß mau anch die Mittel »vollen. Das mobile Kapital ist nicht denkbar ohne<lb/> mien Stand vou Geldleuten, an denen natürlich von dem Goldregen, den sie in<lb/> Gesäße sammeln und verteilen, ein erkleckliches hängen bleibt. Wer die Börsen-<lb/> jndeu nicht will, der mag den Ernst seines Willens dadurch beweisen, daß er gegen<lb/> das Miltärbndget stimmt und die Aufhebung aller Kreditinstitute fordert. Will<lb/> man das aber nicht, so ist es doch ziemlich gleichgiltig, ob der Finanzmann Bleich-<lb/> röder heißt und ein Jude ist, oder ein Christ namens Hansemann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1623" next="#ID_1624"> Worin liegt nun die Bedeutung der österreichischen Wahlbewegung, wenn der<lb/> Hauptsache nach alles beim alten bleibt? Nicht so ganz bleibt alles beim alten,<lb/> dem, das österreichische Abgeordnetenhaus erhält ja eine neue Kurie, die Kurie<lb/> der Besitzlosen Und die Furcht vor dieser Kurie, die Besorgnis, die erste Wahl¬<lb/> reform möchte, wie in England, noch weitere Ausdehnungen des Wahlrechts zur<lb/> Folge haben, der Wunsch,'die Wähler der Arbeiterknrie an sich zu locken und zu<lb/> leiten, das ist die Ursache der Umtaufungen und der Wahlbündnisse. Denn so<lb/> ideal und menschenfreundlich auch die einzelnen Menschen in den Parteien sein<lb/> wogen, den Parteien selbst glaubt doch niemand, daß es Liebe zu den Besitzlosen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0581]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
nach wie vor nur einen Teil der Deutschen vertreten und haben keine Aussicht, in
irgend einem der Vertrctungskörper die Mehrheit zu erlangen. Um wenigstens
die Mehrheit der deutschen Mandate in ihren Besitz zu bringen, müßten sie
einerseits die Großindnstriellen und Großhändler Böhmens und Mährens, andrer¬
seits die Großgrundbesitzer aller Kronländer für sich gewinnen; aber jene werden
niemals einer Antiscmitenpartei und diese niemals einer romfeindlichen beitreten.
Das Ergebnis des gewaltigen Parteikampfes wird sich also darauf beschränken, daß
die Dentschuationalen und die reinen Antisemiten ein paar Mandate mehr, die
Liberalen ein Paar weniger haben, und daß die Juden ein wenig bescheidner
werden werden; das ist ja ganz erfreulich, aber die innere Politik Österreichs wird
dadurch keine wesentliche Änderung erleiden, namentlich werden die Antisemiten ihr
eigentliches Ziel nicht erreichen. Das wäre nur möglich, wenn man nach türkischer
Methode verführe, und deren Anwendung gestattet die Regierung nicht. Da man
also die Juden weder schlachten noch ans dem Lande treiben kann — welches Land
wäre bereit, sie aufzunehmen? —, so müssen sie sich doch mit etwas ernähren, und
dürfen sie nicht mehr schachern, was sollten sie da anfangen? Wenn sie sich auf
Landwirtschaft und Gewerbe verlegten, würden die Bauern und die Handwerker
über diesen Zuwachs vou Konkurrenten etwa sehr entzückt sein? Und höher hinauf,
an die Fiucmzbarone, darf sich der Antisemitismus nicht wagen; weiß man ja doch,
wie es den Berliner Antisemiten ergangen ist, als sie über den Mühlendamm
hinaus schauten und ihre Angriffe gegen Berlin West richteten. Unser ganzer Ge-
sellschaftSzustand hat ein ungeheures mobiles Kapital, Papierkapital, fiktives Kapital,
zur Voraussetzung. Der Kaufmann, der Fabrikbesitzer, der Großgrundbesitzer, ja
anch der Handwerker und der Bauer, sie alle arbeiten damit, und wenn sie noch
so wütend über das mobile Kapital schimpfen, so meinen sie im Grnnde genommen
weiter nichts, als daß sie mehr davon haben und weniger Zinsen dafür bezahlen
wollen, während sie gar nichts dagegen haben, wenn ihnen das Geld, das sie selbst
ausleihen, hohe Zinsen bringt. Und ruht nicht die Militärmacht, damit aber die
ganze Stantsverfassung Europas auf diesem Kapital? Wie wären die europäischen
Kriege und der bewaffnete Friede möglich ohne die enormen Staatsschulden! Will
aber irgend eine Partei, anßer der sozialdemokratischen, eine Änderung dieses Zu¬
standes? Bewahre! Alles, was nicht Sozinldemokrat ist, geizt ja nach dem
Ruhme, zu den staatserhaltenden gerechnet zu werden. Will man aber den Zweck,
so muß mau anch die Mittel »vollen. Das mobile Kapital ist nicht denkbar ohne
mien Stand vou Geldleuten, an denen natürlich von dem Goldregen, den sie in
Gesäße sammeln und verteilen, ein erkleckliches hängen bleibt. Wer die Börsen-
jndeu nicht will, der mag den Ernst seines Willens dadurch beweisen, daß er gegen
das Miltärbndget stimmt und die Aufhebung aller Kreditinstitute fordert. Will
man das aber nicht, so ist es doch ziemlich gleichgiltig, ob der Finanzmann Bleich-
röder heißt und ein Jude ist, oder ein Christ namens Hansemann.
Worin liegt nun die Bedeutung der österreichischen Wahlbewegung, wenn der
Hauptsache nach alles beim alten bleibt? Nicht so ganz bleibt alles beim alten,
dem, das österreichische Abgeordnetenhaus erhält ja eine neue Kurie, die Kurie
der Besitzlosen Und die Furcht vor dieser Kurie, die Besorgnis, die erste Wahl¬
reform möchte, wie in England, noch weitere Ausdehnungen des Wahlrechts zur
Folge haben, der Wunsch,'die Wähler der Arbeiterknrie an sich zu locken und zu
leiten, das ist die Ursache der Umtaufungen und der Wahlbündnisse. Denn so
ideal und menschenfreundlich auch die einzelnen Menschen in den Parteien sein
wogen, den Parteien selbst glaubt doch niemand, daß es Liebe zu den Besitzlosen
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