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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Jugend

sogenannten Zierleisten verdienen diesen Namen mir zum kleinern Teil. Unsre
Vorfahren hätten die meisten davon Schimpfleisten nennen könne". Aber
dann hätten sie dem Inhalte nach witzig sein müssen, was sie nicht einmal
sind. Übrigens stecken die Illustrationen, alle diese Kopfstücke, Kunstbeilagen,
Farbenholzschnitte usw. mit dem größten Teil ihres Vorrath an Formen
und Gedanken (Ornamente, zackige Buchstaben, Totentanzmvtive) tief in
einem künstlich weiter gepflegten Archaismus, auf den der landläufige Leser
erst aufmerksam gemacht werden muß, wenn er überhaupt irgend eine Vor¬
stellung damit verbinden soll. Aber solche Einfalt wird man ja in München
schwer'begreifen, wo man ganz in Butzenscheiben, historischen Möbeln und
Künstlerkvstümen lebt. Aber anderswo stellt sich eben ein großer Teil des
Publikums unter "Kunst" noch etwas andres vor, als dies. Abgesehen von
diesem künstlichen Stil hätten wir auch manches einzuwenden in Bezug auf
den Kunstwerk, die allgemeine Erscheinung, den Gegenstand und die Ausfüh¬
rung der meisten dieser Abbildungen. Denn was sieht man eigentlich auf
ihnen? Der Direktor einer großen Kupferstichsammlung ließ vor Jahren eine
Anzahl Mappen zusammenstellen mit einem Inhalt, durch dessen Anblick jemand
wohl "eiuen Schrecken vor der Kunst" bekommen konnte. Die Mappen waren
für solche Besucher bestimmt, die nicht in solche Sammlungen gehören, die
niam aber doch nicht ohne weiteres Hinansweisen konnte. Nicht viel anders ist
es mit den meisten Kunstblättern der ,,Jugend." Und die Umschläge, ans denen
nur hie und da einmal ein ganz nettes Motiv erscheint, sind doch im ganzen
genommen einem Witzblatt niedriger Sorte angemessener als einer Wochenschrift,
die etwas mit Kunst zu thun haben will.

Von dem Herausgeber des Deutschen Formenschatzes, dem Besitzer
einer Sammlung von Kunstdrucken, wie sie kein zweiter Privatmann in
Deutschland hat, durfte man, wenn er eine Knnftzcitschrift erscheinen
ließ, schon etwas mehr erwarten. Vielleicht wird er uns antworten,
daß man, für dreißig Pfennige das Heft, nicht mehr geben könne. Wir
glauben das. Aber wenn man für den Preis auch nichts andres geben kann,
dann wüßten wir wirklich keinen bessern Rat, als die Bilder ganz beiseite zu
lassen und den Leser nur dann und wann daran zu erinnern, daß es mich
eine Kunst giebt, für deren Anblick man aber, wenn man ihn wünschte, etwas
mehr anlegen müßte. Einstweilen haben wir das Vertrauen zu dem Heraus¬
geber, der mit so mancher schönen Publikation Ehre eingelegt hat sür sich
und den deutscheu Kunstverlag, daß er Mittel und Wege finden werde, das
neue kleine Unternehmen auch auf dem Gebiete seines ganz besondern Inter¬
esses, der Kunst, lebensfähig, anständig lebensfähig zu erhalten.




Die Jugend

sogenannten Zierleisten verdienen diesen Namen mir zum kleinern Teil. Unsre
Vorfahren hätten die meisten davon Schimpfleisten nennen könne». Aber
dann hätten sie dem Inhalte nach witzig sein müssen, was sie nicht einmal
sind. Übrigens stecken die Illustrationen, alle diese Kopfstücke, Kunstbeilagen,
Farbenholzschnitte usw. mit dem größten Teil ihres Vorrath an Formen
und Gedanken (Ornamente, zackige Buchstaben, Totentanzmvtive) tief in
einem künstlich weiter gepflegten Archaismus, auf den der landläufige Leser
erst aufmerksam gemacht werden muß, wenn er überhaupt irgend eine Vor¬
stellung damit verbinden soll. Aber solche Einfalt wird man ja in München
schwer'begreifen, wo man ganz in Butzenscheiben, historischen Möbeln und
Künstlerkvstümen lebt. Aber anderswo stellt sich eben ein großer Teil des
Publikums unter „Kunst" noch etwas andres vor, als dies. Abgesehen von
diesem künstlichen Stil hätten wir auch manches einzuwenden in Bezug auf
den Kunstwerk, die allgemeine Erscheinung, den Gegenstand und die Ausfüh¬
rung der meisten dieser Abbildungen. Denn was sieht man eigentlich auf
ihnen? Der Direktor einer großen Kupferstichsammlung ließ vor Jahren eine
Anzahl Mappen zusammenstellen mit einem Inhalt, durch dessen Anblick jemand
wohl „eiuen Schrecken vor der Kunst" bekommen konnte. Die Mappen waren
für solche Besucher bestimmt, die nicht in solche Sammlungen gehören, die
niam aber doch nicht ohne weiteres Hinansweisen konnte. Nicht viel anders ist
es mit den meisten Kunstblättern der ,,Jugend." Und die Umschläge, ans denen
nur hie und da einmal ein ganz nettes Motiv erscheint, sind doch im ganzen
genommen einem Witzblatt niedriger Sorte angemessener als einer Wochenschrift,
die etwas mit Kunst zu thun haben will.

Von dem Herausgeber des Deutschen Formenschatzes, dem Besitzer
einer Sammlung von Kunstdrucken, wie sie kein zweiter Privatmann in
Deutschland hat, durfte man, wenn er eine Knnftzcitschrift erscheinen
ließ, schon etwas mehr erwarten. Vielleicht wird er uns antworten,
daß man, für dreißig Pfennige das Heft, nicht mehr geben könne. Wir
glauben das. Aber wenn man für den Preis auch nichts andres geben kann,
dann wüßten wir wirklich keinen bessern Rat, als die Bilder ganz beiseite zu
lassen und den Leser nur dann und wann daran zu erinnern, daß es mich
eine Kunst giebt, für deren Anblick man aber, wenn man ihn wünschte, etwas
mehr anlegen müßte. Einstweilen haben wir das Vertrauen zu dem Heraus¬
geber, der mit so mancher schönen Publikation Ehre eingelegt hat sür sich
und den deutscheu Kunstverlag, daß er Mittel und Wege finden werde, das
neue kleine Unternehmen auch auf dem Gebiete seines ganz besondern Inter¬
esses, der Kunst, lebensfähig, anständig lebensfähig zu erhalten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/579>, abgerufen am 28.07.2024.