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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillaiiten des achtzehnten Jahrhunderts

wand, daß Viele Unwahrheiten und falsche Darstellungen darin enthalten
seien. Durch diese Confiscation ist das darin Gesagte nicht nur nicht wider¬
legt worden, sondern das allgemeine Urteil geht dahin, daß man sie eben
deshalb geraubt habe, weil man ihre Wahrheit fühlte. Der Dresdner Hof
benahm sich billiger, als ein hochwciser und Hochedler Rath zu Leipzig. Noch
in diesem Augenblick, da ich dies schreibe, ist das Buch zu Dresden nicht
verboten."

Ein harmloses Machwerk, das mehr der Vollständigkeit wegen angeführt
werden soll, sind die im Jahre 1798 erschienenen: Briefe eines Eipeldauers
an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Leipzig'r Stadt. Ausg'sang'n und
mit Anmerkungen verseh'n von ein'in Wiener. Wien, bey Aloystus Doll, 1798.
Das Buch ist eine schwächliche Nachahmung der witzigen "Briefe eines Eipel¬
dauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Wienstadt," die der bekannte
Wiener Schriftsteller Joseph Richter seit 1785 viele Jahre lang als eine Art
von Parodie auf die moralischen Wochenschriften herausgab. Der Eipcldauer
ist ein dummer Wiener Unterbeamter, der von nichts als Essen und Trinken
weiß, die Maitresse seines Kanzleichefs geheiratet hat und von dieser gehörig
betrogen wird. Die Frau hat in Wien einen Schweizer Kaufmann kennen
lernen, der sie einladet, mit ihm die Leipziger Messe zu besuchen. Der Eipcl¬
dauer läßt sich auf einige Wochen Urlaub geben und reist als Hörnerträger
mit. In den Briefen, die er dann schreibt, erzählt er, was er alles auf der
Messe gesehen hat, schildert, was ihm sonst in Leipzig aufgefallen ist, und be¬
richtet dazwischen ahnungslos, wie sich seine "Frau G'nasum" erst mit dem
Schweizer und nach dessen Abreise noch ein paar Wochen mit einem "Grafen,"
den sie auf einem Abend der Leipziger Ballgesellschaft hat kennen lernen, die
Zeit vertrieben hat -- das alles in einer Sprache, die Wiener Dialekt vor¬
stellen soll, aber nichts weiter ist als gewöhnliches Schriftdeutsch mit einer
Menge von Apostrophen. Eine kleine Probe wird genügen. Der Eipeldauer
ist, während sich seine "Frau G'nasum" mit dem "Grafen" vergnügt, durch
das Rosenthal nach Gohlis gegangen, wo Man "ein'n gut'n und frisch'n Trunk
kriegt, und dabei sein Geld im Gründn, uümlich im Garten verzehr'" und
hübsch b'deckt in ein'r Laube sitz'n kann. Da giebt's auch Strickschul'n.
D' Frauenzimmer sitz'n beim Kaffee ihr'n Galans geg'nüber oder meh'n ihnen,
halt'n den Strumpf in der Hand und plaudern z'Viert'lstund'n, ohn'daß ein'
Rad'l in V'wegung kommt; d' Rad'l steht aber immer vier Zoll lang über
d' Finger hinaus. Doch spricht der Galan etwas, wovor's Frau'nzimmer roth
werd'n sollt', und's kann nicht mehr erröth'n, so sieht's auf den Strumpf und
zählt d' Maseh'n." ' -

Das Buch konnte durch seinen Inhalt unmöglich Anstoß erregen; über
manches, wie über die Leipziger Freischule, ist der Verfasser sogar des Lobes
voll, er meint hier zum erstenmal die sokratische Lehrart "in wahre Ausübung


Leipziger Pasquillaiiten des achtzehnten Jahrhunderts

wand, daß Viele Unwahrheiten und falsche Darstellungen darin enthalten
seien. Durch diese Confiscation ist das darin Gesagte nicht nur nicht wider¬
legt worden, sondern das allgemeine Urteil geht dahin, daß man sie eben
deshalb geraubt habe, weil man ihre Wahrheit fühlte. Der Dresdner Hof
benahm sich billiger, als ein hochwciser und Hochedler Rath zu Leipzig. Noch
in diesem Augenblick, da ich dies schreibe, ist das Buch zu Dresden nicht
verboten."

Ein harmloses Machwerk, das mehr der Vollständigkeit wegen angeführt
werden soll, sind die im Jahre 1798 erschienenen: Briefe eines Eipeldauers
an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Leipzig'r Stadt. Ausg'sang'n und
mit Anmerkungen verseh'n von ein'in Wiener. Wien, bey Aloystus Doll, 1798.
Das Buch ist eine schwächliche Nachahmung der witzigen „Briefe eines Eipel¬
dauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Wienstadt," die der bekannte
Wiener Schriftsteller Joseph Richter seit 1785 viele Jahre lang als eine Art
von Parodie auf die moralischen Wochenschriften herausgab. Der Eipcldauer
ist ein dummer Wiener Unterbeamter, der von nichts als Essen und Trinken
weiß, die Maitresse seines Kanzleichefs geheiratet hat und von dieser gehörig
betrogen wird. Die Frau hat in Wien einen Schweizer Kaufmann kennen
lernen, der sie einladet, mit ihm die Leipziger Messe zu besuchen. Der Eipcl¬
dauer läßt sich auf einige Wochen Urlaub geben und reist als Hörnerträger
mit. In den Briefen, die er dann schreibt, erzählt er, was er alles auf der
Messe gesehen hat, schildert, was ihm sonst in Leipzig aufgefallen ist, und be¬
richtet dazwischen ahnungslos, wie sich seine „Frau G'nasum" erst mit dem
Schweizer und nach dessen Abreise noch ein paar Wochen mit einem „Grafen,"
den sie auf einem Abend der Leipziger Ballgesellschaft hat kennen lernen, die
Zeit vertrieben hat — das alles in einer Sprache, die Wiener Dialekt vor¬
stellen soll, aber nichts weiter ist als gewöhnliches Schriftdeutsch mit einer
Menge von Apostrophen. Eine kleine Probe wird genügen. Der Eipeldauer
ist, während sich seine „Frau G'nasum" mit dem „Grafen" vergnügt, durch
das Rosenthal nach Gohlis gegangen, wo Man „ein'n gut'n und frisch'n Trunk
kriegt, und dabei sein Geld im Gründn, uümlich im Garten verzehr'» und
hübsch b'deckt in ein'r Laube sitz'n kann. Da giebt's auch Strickschul'n.
D' Frauenzimmer sitz'n beim Kaffee ihr'n Galans geg'nüber oder meh'n ihnen,
halt'n den Strumpf in der Hand und plaudern z'Viert'lstund'n, ohn'daß ein'
Rad'l in V'wegung kommt; d' Rad'l steht aber immer vier Zoll lang über
d' Finger hinaus. Doch spricht der Galan etwas, wovor's Frau'nzimmer roth
werd'n sollt', und's kann nicht mehr erröth'n, so sieht's auf den Strumpf und
zählt d' Maseh'n." ' -

Das Buch konnte durch seinen Inhalt unmöglich Anstoß erregen; über
manches, wie über die Leipziger Freischule, ist der Verfasser sogar des Lobes
voll, er meint hier zum erstenmal die sokratische Lehrart „in wahre Ausübung


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[0570] Leipziger Pasquillaiiten des achtzehnten Jahrhunderts wand, daß Viele Unwahrheiten und falsche Darstellungen darin enthalten seien. Durch diese Confiscation ist das darin Gesagte nicht nur nicht wider¬ legt worden, sondern das allgemeine Urteil geht dahin, daß man sie eben deshalb geraubt habe, weil man ihre Wahrheit fühlte. Der Dresdner Hof benahm sich billiger, als ein hochwciser und Hochedler Rath zu Leipzig. Noch in diesem Augenblick, da ich dies schreibe, ist das Buch zu Dresden nicht verboten." Ein harmloses Machwerk, das mehr der Vollständigkeit wegen angeführt werden soll, sind die im Jahre 1798 erschienenen: Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Leipzig'r Stadt. Ausg'sang'n und mit Anmerkungen verseh'n von ein'in Wiener. Wien, bey Aloystus Doll, 1798. Das Buch ist eine schwächliche Nachahmung der witzigen „Briefe eines Eipel¬ dauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d' Wienstadt," die der bekannte Wiener Schriftsteller Joseph Richter seit 1785 viele Jahre lang als eine Art von Parodie auf die moralischen Wochenschriften herausgab. Der Eipcldauer ist ein dummer Wiener Unterbeamter, der von nichts als Essen und Trinken weiß, die Maitresse seines Kanzleichefs geheiratet hat und von dieser gehörig betrogen wird. Die Frau hat in Wien einen Schweizer Kaufmann kennen lernen, der sie einladet, mit ihm die Leipziger Messe zu besuchen. Der Eipcl¬ dauer läßt sich auf einige Wochen Urlaub geben und reist als Hörnerträger mit. In den Briefen, die er dann schreibt, erzählt er, was er alles auf der Messe gesehen hat, schildert, was ihm sonst in Leipzig aufgefallen ist, und be¬ richtet dazwischen ahnungslos, wie sich seine „Frau G'nasum" erst mit dem Schweizer und nach dessen Abreise noch ein paar Wochen mit einem „Grafen," den sie auf einem Abend der Leipziger Ballgesellschaft hat kennen lernen, die Zeit vertrieben hat — das alles in einer Sprache, die Wiener Dialekt vor¬ stellen soll, aber nichts weiter ist als gewöhnliches Schriftdeutsch mit einer Menge von Apostrophen. Eine kleine Probe wird genügen. Der Eipeldauer ist, während sich seine „Frau G'nasum" mit dem „Grafen" vergnügt, durch das Rosenthal nach Gohlis gegangen, wo Man „ein'n gut'n und frisch'n Trunk kriegt, und dabei sein Geld im Gründn, uümlich im Garten verzehr'» und hübsch b'deckt in ein'r Laube sitz'n kann. Da giebt's auch Strickschul'n. D' Frauenzimmer sitz'n beim Kaffee ihr'n Galans geg'nüber oder meh'n ihnen, halt'n den Strumpf in der Hand und plaudern z'Viert'lstund'n, ohn'daß ein' Rad'l in V'wegung kommt; d' Rad'l steht aber immer vier Zoll lang über d' Finger hinaus. Doch spricht der Galan etwas, wovor's Frau'nzimmer roth werd'n sollt', und's kann nicht mehr erröth'n, so sieht's auf den Strumpf und zählt d' Maseh'n." ' - Das Buch konnte durch seinen Inhalt unmöglich Anstoß erregen; über manches, wie über die Leipziger Freischule, ist der Verfasser sogar des Lobes voll, er meint hier zum erstenmal die sokratische Lehrart „in wahre Ausübung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/570>, abgerufen am 25.11.2024.