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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Lharlotte als Philosophie

Geistliche hören gegen ihr Interesse,*) also war nicht zu hoffen, daß man
Lutherus hören könne, so sosehr dawider lief; aber hätte er Rom gewähren
lassen und Frankreich und die Deutschen allgemach den Irrtum gewiesen, würde
er viel mehr mit ausgericht haben." Ja, wenn nur Rom und die deutsche
Pfaffheit ihn hätte gewähren lassen!

So waren also zwei Wege aus dem dogmatischen Christentumc heraus
geöffnet; auf der einen Seite der schweizerische Protestantismus, der, nachdem
man der dogmatischen Streitigkeiten müde geworden war, als reiner Mono¬
theismus dastand, von dem aus man nur noch einen Schritt zum philo¬
sophischen Deismus der vornehmen Engländer hatte, auf der andern Seite der
heidnische Humanismus der romanischen Länder, der wieder hervortrat, sobald
die Wogen der Gegenreformation abfluteten, und in der Seele der Herzogin
von Orleans trafen beide Geistesrichtungen zusammen. Schon zu ihrer Zeit
war die Aufklärung der französischen Gesellschaft zum völligen Unglauben fort¬
geschritten. Als ihre Tochter, die Herzogin von Lothringen, des Kaiser Franz I.
Mutter, 1718 zum Besuch bei ihr weilt, findet sie das Pariser Leben nicht
bloß der Laster wegen abscheulich, sondern auch, weil die jungen Leute uicht
mehr an Gott glauben. Die Fasten, schreibt Charlotte 1705 an Amalie Elisa¬
beth, halte sie nicht; in Paris seien die Pfaffen nicht so beherzt, den Teufel
zu den Damen zu schicken; "die Damen seind zu sehr gedenissirt >?j hier, und
wenige fürchten den Teufel." Fünfzehn Jahre später schreibt sie einmal: "Man
liest hier im Land nicht allein die Bibel nicht, sondern die meisten Pikiren
sich, sie nicht zu glauben." Sie findet es abscheulich, daß es nicht mehr Mode
sei, an eine andre Welt zu glauben; sie sagt das "platt heraus" und wird
dafür ausgelacht, "aber ich frage kein Haar danach, sage allzeit meine Mei¬
nung platt heraus." Nun hatte freilich dieser Unglaube eine sehr unlautere
Quelle: mau glaubte nicht mehr an jene Welt, weil man bei dem Lasterleben,
das man führte, Grund hatte, sie zu fürchten. Das hatte die doppelte Wir¬
kung, daß nicht wenige -- Charlotte erzählt einen Fall -- vor dem Tode zu
Kreuze krochen und äußerst erbaulich starben, und daß andrerseits die offizielle
Religion zur reinen Komödie wurde. "Der Glauben, heißt es in einem Briefe
vom Jahre 1699, ist hier nun im Lande dermaßen erloschen, daß man schier
keinen jungen Menschen mehr sieht, so nicht atlrsö sein will, aber was ahn
possirlichsten ist, ist daß eben derselbe so den -M6s zu Paris agirt, den Zs-
voUön bei Hof spielt, man prsteMirt auch, daß alle die Eygenmord, so wir
selber eine Zeit hero in so großer Menge haben, von dem alö^iswe kompt."
Nur war das wieder ein neuer Anstoß zur gänzlichen Beseitigung der Re¬
ligion, denn wie konnte sich eine Religion im Volke halten, deren Gebräuche



Die Geistlichen sind nicht allein so geartet, das; sie Wahrheiten und Forderungen gegen¬
über, die ihrem Interesse widerstreiten, taube Ohren haben.
Elisabeth Lharlotte als Philosophie

Geistliche hören gegen ihr Interesse,*) also war nicht zu hoffen, daß man
Lutherus hören könne, so sosehr dawider lief; aber hätte er Rom gewähren
lassen und Frankreich und die Deutschen allgemach den Irrtum gewiesen, würde
er viel mehr mit ausgericht haben." Ja, wenn nur Rom und die deutsche
Pfaffheit ihn hätte gewähren lassen!

So waren also zwei Wege aus dem dogmatischen Christentumc heraus
geöffnet; auf der einen Seite der schweizerische Protestantismus, der, nachdem
man der dogmatischen Streitigkeiten müde geworden war, als reiner Mono¬
theismus dastand, von dem aus man nur noch einen Schritt zum philo¬
sophischen Deismus der vornehmen Engländer hatte, auf der andern Seite der
heidnische Humanismus der romanischen Länder, der wieder hervortrat, sobald
die Wogen der Gegenreformation abfluteten, und in der Seele der Herzogin
von Orleans trafen beide Geistesrichtungen zusammen. Schon zu ihrer Zeit
war die Aufklärung der französischen Gesellschaft zum völligen Unglauben fort¬
geschritten. Als ihre Tochter, die Herzogin von Lothringen, des Kaiser Franz I.
Mutter, 1718 zum Besuch bei ihr weilt, findet sie das Pariser Leben nicht
bloß der Laster wegen abscheulich, sondern auch, weil die jungen Leute uicht
mehr an Gott glauben. Die Fasten, schreibt Charlotte 1705 an Amalie Elisa¬
beth, halte sie nicht; in Paris seien die Pfaffen nicht so beherzt, den Teufel
zu den Damen zu schicken; „die Damen seind zu sehr gedenissirt >?j hier, und
wenige fürchten den Teufel." Fünfzehn Jahre später schreibt sie einmal: „Man
liest hier im Land nicht allein die Bibel nicht, sondern die meisten Pikiren
sich, sie nicht zu glauben." Sie findet es abscheulich, daß es nicht mehr Mode
sei, an eine andre Welt zu glauben; sie sagt das „platt heraus" und wird
dafür ausgelacht, „aber ich frage kein Haar danach, sage allzeit meine Mei¬
nung platt heraus." Nun hatte freilich dieser Unglaube eine sehr unlautere
Quelle: mau glaubte nicht mehr an jene Welt, weil man bei dem Lasterleben,
das man führte, Grund hatte, sie zu fürchten. Das hatte die doppelte Wir¬
kung, daß nicht wenige — Charlotte erzählt einen Fall — vor dem Tode zu
Kreuze krochen und äußerst erbaulich starben, und daß andrerseits die offizielle
Religion zur reinen Komödie wurde. „Der Glauben, heißt es in einem Briefe
vom Jahre 1699, ist hier nun im Lande dermaßen erloschen, daß man schier
keinen jungen Menschen mehr sieht, so nicht atlrsö sein will, aber was ahn
possirlichsten ist, ist daß eben derselbe so den -M6s zu Paris agirt, den Zs-
voUön bei Hof spielt, man prsteMirt auch, daß alle die Eygenmord, so wir
selber eine Zeit hero in so großer Menge haben, von dem alö^iswe kompt."
Nur war das wieder ein neuer Anstoß zur gänzlichen Beseitigung der Re¬
ligion, denn wie konnte sich eine Religion im Volke halten, deren Gebräuche



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über, die ihrem Interesse widerstreiten, taube Ohren haben.
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[0557] Elisabeth Lharlotte als Philosophie Geistliche hören gegen ihr Interesse,*) also war nicht zu hoffen, daß man Lutherus hören könne, so sosehr dawider lief; aber hätte er Rom gewähren lassen und Frankreich und die Deutschen allgemach den Irrtum gewiesen, würde er viel mehr mit ausgericht haben." Ja, wenn nur Rom und die deutsche Pfaffheit ihn hätte gewähren lassen! So waren also zwei Wege aus dem dogmatischen Christentumc heraus geöffnet; auf der einen Seite der schweizerische Protestantismus, der, nachdem man der dogmatischen Streitigkeiten müde geworden war, als reiner Mono¬ theismus dastand, von dem aus man nur noch einen Schritt zum philo¬ sophischen Deismus der vornehmen Engländer hatte, auf der andern Seite der heidnische Humanismus der romanischen Länder, der wieder hervortrat, sobald die Wogen der Gegenreformation abfluteten, und in der Seele der Herzogin von Orleans trafen beide Geistesrichtungen zusammen. Schon zu ihrer Zeit war die Aufklärung der französischen Gesellschaft zum völligen Unglauben fort¬ geschritten. Als ihre Tochter, die Herzogin von Lothringen, des Kaiser Franz I. Mutter, 1718 zum Besuch bei ihr weilt, findet sie das Pariser Leben nicht bloß der Laster wegen abscheulich, sondern auch, weil die jungen Leute uicht mehr an Gott glauben. Die Fasten, schreibt Charlotte 1705 an Amalie Elisa¬ beth, halte sie nicht; in Paris seien die Pfaffen nicht so beherzt, den Teufel zu den Damen zu schicken; „die Damen seind zu sehr gedenissirt >?j hier, und wenige fürchten den Teufel." Fünfzehn Jahre später schreibt sie einmal: „Man liest hier im Land nicht allein die Bibel nicht, sondern die meisten Pikiren sich, sie nicht zu glauben." Sie findet es abscheulich, daß es nicht mehr Mode sei, an eine andre Welt zu glauben; sie sagt das „platt heraus" und wird dafür ausgelacht, „aber ich frage kein Haar danach, sage allzeit meine Mei¬ nung platt heraus." Nun hatte freilich dieser Unglaube eine sehr unlautere Quelle: mau glaubte nicht mehr an jene Welt, weil man bei dem Lasterleben, das man führte, Grund hatte, sie zu fürchten. Das hatte die doppelte Wir¬ kung, daß nicht wenige — Charlotte erzählt einen Fall — vor dem Tode zu Kreuze krochen und äußerst erbaulich starben, und daß andrerseits die offizielle Religion zur reinen Komödie wurde. „Der Glauben, heißt es in einem Briefe vom Jahre 1699, ist hier nun im Lande dermaßen erloschen, daß man schier keinen jungen Menschen mehr sieht, so nicht atlrsö sein will, aber was ahn possirlichsten ist, ist daß eben derselbe so den -M6s zu Paris agirt, den Zs- voUön bei Hof spielt, man prsteMirt auch, daß alle die Eygenmord, so wir selber eine Zeit hero in so großer Menge haben, von dem alö^iswe kompt." Nur war das wieder ein neuer Anstoß zur gänzlichen Beseitigung der Re¬ ligion, denn wie konnte sich eine Religion im Volke halten, deren Gebräuche Die Geistlichen sind nicht allein so geartet, das; sie Wahrheiten und Forderungen gegen¬ über, die ihrem Interesse widerstreiten, taube Ohren haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/557>, abgerufen am 01.09.2024.