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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Gute und schlechte Jahre

Diese widersinnige Ansicht wird freilich durch die Thatsachen nicht be¬
stätigt. Für den Landmann hat die gute Ernte mehr Wert als die hohen
Preise. Das Jahr 1891 war ein Jahr ungewöhnlich höher Getreidepreise.
Aber die Verschnldnngsstatistik weist gerade in diesem Jahre ein besonders
starkes Fortschreiten der Verschuldung landwirtschaftlicher Grundstücke auf. Und
das ist ganz begreiflich. Denn dem Landmann helfen die hohen Preise nichts,
wenn er so schlecht geerntet hat, daß er kein Korn verkaufen kann oder gar
noch zulaufen muß, wie es in dem genannten Jahre in vielen Wirtschaften der
Fall war.

Es wird also wohl dabei bleiben, daß man ein reiches Erntejahr ein
gutes Jahr nennt, trotz des agrarischen Bestrebens, alle Dinge auf den Kopf
zu stellen. Es ist aber auch noch immer so, wie zu Josephs Zeiten, daß gute
und schlechte Jahre mit einander abzuwechseln Pflegen, und Josephs Verfahre"
wird für alle Zeiten als das Beispiel eines guten Haushalters dastehen. Des
Menschen Aufgabe besteht darin, Gleichmäßigkeit in die Ungleichmäßigkeit der
Natur zu bringen, in guten Jahren für schlechte zu sorgen. Das geschieht
aber nicht am besten so, wie es damals der kluge Haushalter Pharaos
machte. Die Aufgabe, den durch eine schlechte Ernte entstandnen Mangel
auszugleichen, lösen heute Dampfschiffe und Eisenbahnen besser, als sie durch
Aufspeicherung alten Getreides gelöst werden konnte. Die durch Erfahrung
erworbne Voraussicht, daß den guten Jahren schlechte folgen werden, muß
jeden einzelnen dazu vermilasfen, für das Eintreten schlechter Jahre zu sorgen,
indem er den Einnnhmeüberschuß der gute" Jahre zur Deckung des Ausfalls
in den schlechten Jahren verwendet. Der Preis der Landgüter sollte so be¬
messen werden, daß nicht ausschließlich mit guten Jahren gerechnet zu werden
brauchte, sondern die unvermeidlich eintretenden schlechten Jcihre ausgehalten
werden köunen, ohne daß es nötig wird, "zuzusetzen."

Aber auch in dem ganzen reichen gewerblichen Leben der Neuzeit finden
wir einen Unterschied guter und schlechter Jahre, wenn auch nicht genau in
Zeiträumen, die nach biblischen Zahlen abgemessen sind. Und die Unzuträg-
lichkeiten, die diese Erscheinung begleiten, sind noch größer als der Wechsel
guter und schlechter Erntejahre. Da wird bald fieberhaft gearbeitet, die Ge¬
schäfte gehen gut, überall ist starke Nachfrage nach Arbeitskräften, die Arbeits¬
löhne steigen. Bald wieder entsteht Stockung, wenn nicht gar ein großer
,,Krach" eintritt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt ab; viele Arbeits¬
kräfte bleiben unbeschäftigt. Kurz, wir sehen auch hier gute und schlechte
Zeiten so regelmäßig mit einander abwechseln, als ob dieser Wechsel von einem
Naturgesetz abhinge. Man sollte freilich meinen, diese Ungleichmäßigkeit
müßte sich beseitigen lassen, da es doch die Thätigkeit menschlicher Kräfte ist,
die sie herbeiführt. Und wirklich ist schon viel darüber nachgedacht und ge¬
schrieben worden, wie man zwischen Erzeugung und Verbrauch der Waren


Gute und schlechte Jahre

Diese widersinnige Ansicht wird freilich durch die Thatsachen nicht be¬
stätigt. Für den Landmann hat die gute Ernte mehr Wert als die hohen
Preise. Das Jahr 1891 war ein Jahr ungewöhnlich höher Getreidepreise.
Aber die Verschnldnngsstatistik weist gerade in diesem Jahre ein besonders
starkes Fortschreiten der Verschuldung landwirtschaftlicher Grundstücke auf. Und
das ist ganz begreiflich. Denn dem Landmann helfen die hohen Preise nichts,
wenn er so schlecht geerntet hat, daß er kein Korn verkaufen kann oder gar
noch zulaufen muß, wie es in dem genannten Jahre in vielen Wirtschaften der
Fall war.

Es wird also wohl dabei bleiben, daß man ein reiches Erntejahr ein
gutes Jahr nennt, trotz des agrarischen Bestrebens, alle Dinge auf den Kopf
zu stellen. Es ist aber auch noch immer so, wie zu Josephs Zeiten, daß gute
und schlechte Jahre mit einander abzuwechseln Pflegen, und Josephs Verfahre»
wird für alle Zeiten als das Beispiel eines guten Haushalters dastehen. Des
Menschen Aufgabe besteht darin, Gleichmäßigkeit in die Ungleichmäßigkeit der
Natur zu bringen, in guten Jahren für schlechte zu sorgen. Das geschieht
aber nicht am besten so, wie es damals der kluge Haushalter Pharaos
machte. Die Aufgabe, den durch eine schlechte Ernte entstandnen Mangel
auszugleichen, lösen heute Dampfschiffe und Eisenbahnen besser, als sie durch
Aufspeicherung alten Getreides gelöst werden konnte. Die durch Erfahrung
erworbne Voraussicht, daß den guten Jahren schlechte folgen werden, muß
jeden einzelnen dazu vermilasfen, für das Eintreten schlechter Jahre zu sorgen,
indem er den Einnnhmeüberschuß der gute» Jahre zur Deckung des Ausfalls
in den schlechten Jahren verwendet. Der Preis der Landgüter sollte so be¬
messen werden, daß nicht ausschließlich mit guten Jahren gerechnet zu werden
brauchte, sondern die unvermeidlich eintretenden schlechten Jcihre ausgehalten
werden köunen, ohne daß es nötig wird, „zuzusetzen."

Aber auch in dem ganzen reichen gewerblichen Leben der Neuzeit finden
wir einen Unterschied guter und schlechter Jahre, wenn auch nicht genau in
Zeiträumen, die nach biblischen Zahlen abgemessen sind. Und die Unzuträg-
lichkeiten, die diese Erscheinung begleiten, sind noch größer als der Wechsel
guter und schlechter Erntejahre. Da wird bald fieberhaft gearbeitet, die Ge¬
schäfte gehen gut, überall ist starke Nachfrage nach Arbeitskräften, die Arbeits¬
löhne steigen. Bald wieder entsteht Stockung, wenn nicht gar ein großer
,,Krach" eintritt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt ab; viele Arbeits¬
kräfte bleiben unbeschäftigt. Kurz, wir sehen auch hier gute und schlechte
Zeiten so regelmäßig mit einander abwechseln, als ob dieser Wechsel von einem
Naturgesetz abhinge. Man sollte freilich meinen, diese Ungleichmäßigkeit
müßte sich beseitigen lassen, da es doch die Thätigkeit menschlicher Kräfte ist,
die sie herbeiführt. Und wirklich ist schon viel darüber nachgedacht und ge¬
schrieben worden, wie man zwischen Erzeugung und Verbrauch der Waren


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[0538] Gute und schlechte Jahre Diese widersinnige Ansicht wird freilich durch die Thatsachen nicht be¬ stätigt. Für den Landmann hat die gute Ernte mehr Wert als die hohen Preise. Das Jahr 1891 war ein Jahr ungewöhnlich höher Getreidepreise. Aber die Verschnldnngsstatistik weist gerade in diesem Jahre ein besonders starkes Fortschreiten der Verschuldung landwirtschaftlicher Grundstücke auf. Und das ist ganz begreiflich. Denn dem Landmann helfen die hohen Preise nichts, wenn er so schlecht geerntet hat, daß er kein Korn verkaufen kann oder gar noch zulaufen muß, wie es in dem genannten Jahre in vielen Wirtschaften der Fall war. Es wird also wohl dabei bleiben, daß man ein reiches Erntejahr ein gutes Jahr nennt, trotz des agrarischen Bestrebens, alle Dinge auf den Kopf zu stellen. Es ist aber auch noch immer so, wie zu Josephs Zeiten, daß gute und schlechte Jahre mit einander abzuwechseln Pflegen, und Josephs Verfahre» wird für alle Zeiten als das Beispiel eines guten Haushalters dastehen. Des Menschen Aufgabe besteht darin, Gleichmäßigkeit in die Ungleichmäßigkeit der Natur zu bringen, in guten Jahren für schlechte zu sorgen. Das geschieht aber nicht am besten so, wie es damals der kluge Haushalter Pharaos machte. Die Aufgabe, den durch eine schlechte Ernte entstandnen Mangel auszugleichen, lösen heute Dampfschiffe und Eisenbahnen besser, als sie durch Aufspeicherung alten Getreides gelöst werden konnte. Die durch Erfahrung erworbne Voraussicht, daß den guten Jahren schlechte folgen werden, muß jeden einzelnen dazu vermilasfen, für das Eintreten schlechter Jahre zu sorgen, indem er den Einnnhmeüberschuß der gute» Jahre zur Deckung des Ausfalls in den schlechten Jahren verwendet. Der Preis der Landgüter sollte so be¬ messen werden, daß nicht ausschließlich mit guten Jahren gerechnet zu werden brauchte, sondern die unvermeidlich eintretenden schlechten Jcihre ausgehalten werden köunen, ohne daß es nötig wird, „zuzusetzen." Aber auch in dem ganzen reichen gewerblichen Leben der Neuzeit finden wir einen Unterschied guter und schlechter Jahre, wenn auch nicht genau in Zeiträumen, die nach biblischen Zahlen abgemessen sind. Und die Unzuträg- lichkeiten, die diese Erscheinung begleiten, sind noch größer als der Wechsel guter und schlechter Erntejahre. Da wird bald fieberhaft gearbeitet, die Ge¬ schäfte gehen gut, überall ist starke Nachfrage nach Arbeitskräften, die Arbeits¬ löhne steigen. Bald wieder entsteht Stockung, wenn nicht gar ein großer ,,Krach" eintritt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt ab; viele Arbeits¬ kräfte bleiben unbeschäftigt. Kurz, wir sehen auch hier gute und schlechte Zeiten so regelmäßig mit einander abwechseln, als ob dieser Wechsel von einem Naturgesetz abhinge. Man sollte freilich meinen, diese Ungleichmäßigkeit müßte sich beseitigen lassen, da es doch die Thätigkeit menschlicher Kräfte ist, die sie herbeiführt. Und wirklich ist schon viel darüber nachgedacht und ge¬ schrieben worden, wie man zwischen Erzeugung und Verbrauch der Waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/538>, abgerufen am 01.09.2024.