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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Möglichkeiten vorläufig offen zu halten und uns zu rüsten ans die große
Stunde, wo das Verhängnis über das Reich der Sohne Osmans hereinbricht,
das ist unsre Pflicht. Dazu braucht es vermutlich nicht eines pommerschen
Grenadiers, wohl aber unsrer Marine. Heute ist sie in der Regel noch immer
im ganzen Mittelmeer durch den alten längst kriegsuntüchtigen Raddampfer
"Loreleh," jetzt auch durch sein kleines gleichnamiges Ersatzschiff vertreten,
während die amerikanische Union, die nur ein paar Missionen in Kleinasien
und Syrien hat, ein ganzes Geschwader herüberschielt. Ist unsre Marine
in ihrem gegenwärtigen Schiffsbestande wirklich zu schwach, mit dem etwa
wünschenswerten Nachdruck im Mittelmeer oder sonstwo aufzutreten, dann ist
es Pflicht der Negierung, das offen zu erklären, und Pflicht des Reichstags,
das Nötige zu bewilligen. Denn auch diese Fragen werden schwerlich ohne
Blut und Eisen entschieden werden, und eine Versäumnis aus falscher Spar¬
samkeit dürfte uns teurer zu stehen kommen als die Knochen eines pommerschen
Grenadiers. Die allgemeine Lage erscheint gerade jetzt nicht ungünstig, eine
festere Stellung in den orientalischen Wirren zu nehmen, wie es in Ost¬
asien bereits geschehen ist. England hat sich durch seine ebenso habgierige als
treulose Politik so völlig isolirt wie kaum jemals vorher; das sogenannte russisch¬
französische Bündnis wird durch die augenscheinlichen Bemühungen des jungen
Zcireu, ohne schroffen Bruch mit der Politik seines Vaters in ein besseres
Verhältnis zu Deutschland und Osterreich zu kommen, seines gefährlichen Cha¬
rakters so ziemlich entkleidet, und so wird es vielleicht, trotz neuer chauvi¬
nistischer Aufwallungen an der Seine, die den Zarenbesuch vermutlich begleiten
werden, einer klugen und taktvollen Politik möglich sein, über den heillosen
toten Punkt, unser gespanntes Verhältnis zu Frankreich, allmählich doch hinweg¬
zukommen, um die Arme frei zu haben für größere Aufgaben, für die bessere
Sicherung unsrer Zukunft.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Spannungen.

Hoffentlich überzeugen sich die ausländischen Gaste unsers
Kaisers auf dem Lausitzer Mauvverfelde, daß Deutschland unter Preußens Führung
militärisch noch ganz ebenso furchtbar ist wie 1866 und 1870. Das würde die
Wirkung haben, daß es sich unsre Nachbarn zweimal überlegen, ehe sie es zu
einer kriegerischen Verwicklung kommen lassen, wenn Deutschland etwa einmal An¬
sprüche erhöbe, die mit ausländischen Interesse" oder auch bloß Einbildungen und
Anmaßungen zusammenstießen. Dieser Fall könnte in nächster Zukunft eintreten,
wenn sich die Nachricht bestätigen sollte, daß unsre Regierung in der ratlosem


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Möglichkeiten vorläufig offen zu halten und uns zu rüsten ans die große
Stunde, wo das Verhängnis über das Reich der Sohne Osmans hereinbricht,
das ist unsre Pflicht. Dazu braucht es vermutlich nicht eines pommerschen
Grenadiers, wohl aber unsrer Marine. Heute ist sie in der Regel noch immer
im ganzen Mittelmeer durch den alten längst kriegsuntüchtigen Raddampfer
„Loreleh," jetzt auch durch sein kleines gleichnamiges Ersatzschiff vertreten,
während die amerikanische Union, die nur ein paar Missionen in Kleinasien
und Syrien hat, ein ganzes Geschwader herüberschielt. Ist unsre Marine
in ihrem gegenwärtigen Schiffsbestande wirklich zu schwach, mit dem etwa
wünschenswerten Nachdruck im Mittelmeer oder sonstwo aufzutreten, dann ist
es Pflicht der Negierung, das offen zu erklären, und Pflicht des Reichstags,
das Nötige zu bewilligen. Denn auch diese Fragen werden schwerlich ohne
Blut und Eisen entschieden werden, und eine Versäumnis aus falscher Spar¬
samkeit dürfte uns teurer zu stehen kommen als die Knochen eines pommerschen
Grenadiers. Die allgemeine Lage erscheint gerade jetzt nicht ungünstig, eine
festere Stellung in den orientalischen Wirren zu nehmen, wie es in Ost¬
asien bereits geschehen ist. England hat sich durch seine ebenso habgierige als
treulose Politik so völlig isolirt wie kaum jemals vorher; das sogenannte russisch¬
französische Bündnis wird durch die augenscheinlichen Bemühungen des jungen
Zcireu, ohne schroffen Bruch mit der Politik seines Vaters in ein besseres
Verhältnis zu Deutschland und Osterreich zu kommen, seines gefährlichen Cha¬
rakters so ziemlich entkleidet, und so wird es vielleicht, trotz neuer chauvi¬
nistischer Aufwallungen an der Seine, die den Zarenbesuch vermutlich begleiten
werden, einer klugen und taktvollen Politik möglich sein, über den heillosen
toten Punkt, unser gespanntes Verhältnis zu Frankreich, allmählich doch hinweg¬
zukommen, um die Arme frei zu haben für größere Aufgaben, für die bessere
Sicherung unsrer Zukunft.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Spannungen.

Hoffentlich überzeugen sich die ausländischen Gaste unsers
Kaisers auf dem Lausitzer Mauvverfelde, daß Deutschland unter Preußens Führung
militärisch noch ganz ebenso furchtbar ist wie 1866 und 1870. Das würde die
Wirkung haben, daß es sich unsre Nachbarn zweimal überlegen, ehe sie es zu
einer kriegerischen Verwicklung kommen lassen, wenn Deutschland etwa einmal An¬
sprüche erhöbe, die mit ausländischen Interesse» oder auch bloß Einbildungen und
Anmaßungen zusammenstießen. Dieser Fall könnte in nächster Zukunft eintreten,
wenn sich die Nachricht bestätigen sollte, daß unsre Regierung in der ratlosem


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[0528] Maßgebliches und Unmaßgebliches Möglichkeiten vorläufig offen zu halten und uns zu rüsten ans die große Stunde, wo das Verhängnis über das Reich der Sohne Osmans hereinbricht, das ist unsre Pflicht. Dazu braucht es vermutlich nicht eines pommerschen Grenadiers, wohl aber unsrer Marine. Heute ist sie in der Regel noch immer im ganzen Mittelmeer durch den alten längst kriegsuntüchtigen Raddampfer „Loreleh," jetzt auch durch sein kleines gleichnamiges Ersatzschiff vertreten, während die amerikanische Union, die nur ein paar Missionen in Kleinasien und Syrien hat, ein ganzes Geschwader herüberschielt. Ist unsre Marine in ihrem gegenwärtigen Schiffsbestande wirklich zu schwach, mit dem etwa wünschenswerten Nachdruck im Mittelmeer oder sonstwo aufzutreten, dann ist es Pflicht der Negierung, das offen zu erklären, und Pflicht des Reichstags, das Nötige zu bewilligen. Denn auch diese Fragen werden schwerlich ohne Blut und Eisen entschieden werden, und eine Versäumnis aus falscher Spar¬ samkeit dürfte uns teurer zu stehen kommen als die Knochen eines pommerschen Grenadiers. Die allgemeine Lage erscheint gerade jetzt nicht ungünstig, eine festere Stellung in den orientalischen Wirren zu nehmen, wie es in Ost¬ asien bereits geschehen ist. England hat sich durch seine ebenso habgierige als treulose Politik so völlig isolirt wie kaum jemals vorher; das sogenannte russisch¬ französische Bündnis wird durch die augenscheinlichen Bemühungen des jungen Zcireu, ohne schroffen Bruch mit der Politik seines Vaters in ein besseres Verhältnis zu Deutschland und Osterreich zu kommen, seines gefährlichen Cha¬ rakters so ziemlich entkleidet, und so wird es vielleicht, trotz neuer chauvi¬ nistischer Aufwallungen an der Seine, die den Zarenbesuch vermutlich begleiten werden, einer klugen und taktvollen Politik möglich sein, über den heillosen toten Punkt, unser gespanntes Verhältnis zu Frankreich, allmählich doch hinweg¬ zukommen, um die Arme frei zu haben für größere Aufgaben, für die bessere Sicherung unsrer Zukunft. Maßgebliches und Unmaßgebliches Spannungen. Hoffentlich überzeugen sich die ausländischen Gaste unsers Kaisers auf dem Lausitzer Mauvverfelde, daß Deutschland unter Preußens Führung militärisch noch ganz ebenso furchtbar ist wie 1866 und 1870. Das würde die Wirkung haben, daß es sich unsre Nachbarn zweimal überlegen, ehe sie es zu einer kriegerischen Verwicklung kommen lassen, wenn Deutschland etwa einmal An¬ sprüche erhöbe, die mit ausländischen Interesse» oder auch bloß Einbildungen und Anmaßungen zusammenstießen. Dieser Fall könnte in nächster Zukunft eintreten, wenn sich die Nachricht bestätigen sollte, daß unsre Regierung in der ratlosem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/528>, abgerufen am 25.11.2024.