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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ballade und Romanze

Wie ein Harlekin oder wie ein Mensch mit einem Raritätenkasten vor" (bei
Halm S. XXXI).

Nicht weniger unsicher waren Schiller und Goethe, als sie sich nach dem
Aenienkampf in dem Balladenjahr 1797 in der durch Bürger berühmt ge-
wordnen Dichtungsform versuchten. Schiller gab im Musenalmanach von
1798 allen seinen lyrisch-epischen Gedichten die Überschrift "Ballade," nur den
"Handschuh" nannte er "Erzählung." Dagegen zog er in dem nächsten Al¬
manach (1799) für den "Kampf mit dem Drachen" und die "Bürgschaft" die
Bezeichnung "Romanze" vor, ohne daß man dafür einen bestimmten Grund
erkennen könnte. In den Briefen an Goethe (21. August und 4. September
1798) hatte er beide Gedichte als Balladen bezeichnet, und Goethe sandte auch
die "Balladen" (5. September) zurück. Und selbst nach dem Druck des Almanachs,
als Körner sein Urteil über die "zwei Romanzen" mitteilte (Schillers und
Körners Briefwechsel, Berlin. 1847, IV, 91). freut sich Schiller, daß die
"Balladen" Glück machen. Schiller hat also niemals Ballade und Romanze
scharf geschieden; deshalb beabsichtigte er wohl auch in der Ausgabe seiner
Gedichte, die er noch kurz vor seinem Tode vorbereitete, die Balladen und
Romanzen in einer besondern Abteilung mit der Vorschrift "Lyrisch-epische
Gedichte" zusammenzustellen.

Bei Goethe dagegen scheint es, als habe er anfangs Ballade und Romanze
scheiden wollen. Er fordert für die Ballade "eine mysteriöse Behandlung,
durch welche das Gemüt und die Phantasie des Lesers in diejenige Stimmung
versetzt wird, wie sie sich der Welt des Wunderbaren und den gewaltigen
Naturkräften gegenüber im schwächern Menschen notwendig entfalten muß."
Daher schreibt er. als er den Faust wieder begonnen hatte, an Schiller
(22. Juni 1797): "Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst¬
und Nebelweg gebracht." Damals hat er also eine ähnliche Auffassung von
der Ballade gehabt wie Echtermeyer. Dennoch giebt er im Musenalmanach
von 1798 dem "Zauberlehrling" (S. 32) und der "Braut von Korinth" (S. 88)
den Titel "Romanze," obwohl in dem letztern Gedichte nicht nur ein dämonischer
Stoff, sondern auch die düstere BeHandlungsweise vorhanden ist. Der Grund
liegt wohl darin, daß früher Löwen und andre ihre aus der antiken Mytho¬
logie genommenen episch-lyrischen Gedichte Romanzen nannten, als man die
Ballade noch nicht kannte. Denselben Stoff und dieselbe Behandlung, die
Goethe jetzt sür die Ballade in Anspruch nimmt, hatte man ja damals der
Romanze zugewiesen. Wie Goethe bei seinem Versuche, die beiden Begriffe
zu scheiden, schwankte, sieht man anch daraus, daß der "Rattenfänger."
der 1806 (S. 105) unter den Liedern stand, 1815 (S. 186) unter die Balladen
versetzt ist. Später hat er die Scheidung der Begriffe ganz aufgegeben; in
der Ausgabe von 1815 nennt er seine lyrisch-epischen Gedichte nicht mehr
"Balladen und Romanzen," wie 1800 und 1806, sondern einfach "Balladen."


Ballade und Romanze

Wie ein Harlekin oder wie ein Mensch mit einem Raritätenkasten vor" (bei
Halm S. XXXI).

Nicht weniger unsicher waren Schiller und Goethe, als sie sich nach dem
Aenienkampf in dem Balladenjahr 1797 in der durch Bürger berühmt ge-
wordnen Dichtungsform versuchten. Schiller gab im Musenalmanach von
1798 allen seinen lyrisch-epischen Gedichten die Überschrift „Ballade," nur den
„Handschuh" nannte er „Erzählung." Dagegen zog er in dem nächsten Al¬
manach (1799) für den „Kampf mit dem Drachen" und die „Bürgschaft" die
Bezeichnung „Romanze" vor, ohne daß man dafür einen bestimmten Grund
erkennen könnte. In den Briefen an Goethe (21. August und 4. September
1798) hatte er beide Gedichte als Balladen bezeichnet, und Goethe sandte auch
die „Balladen" (5. September) zurück. Und selbst nach dem Druck des Almanachs,
als Körner sein Urteil über die „zwei Romanzen" mitteilte (Schillers und
Körners Briefwechsel, Berlin. 1847, IV, 91). freut sich Schiller, daß die
„Balladen" Glück machen. Schiller hat also niemals Ballade und Romanze
scharf geschieden; deshalb beabsichtigte er wohl auch in der Ausgabe seiner
Gedichte, die er noch kurz vor seinem Tode vorbereitete, die Balladen und
Romanzen in einer besondern Abteilung mit der Vorschrift „Lyrisch-epische
Gedichte" zusammenzustellen.

Bei Goethe dagegen scheint es, als habe er anfangs Ballade und Romanze
scheiden wollen. Er fordert für die Ballade „eine mysteriöse Behandlung,
durch welche das Gemüt und die Phantasie des Lesers in diejenige Stimmung
versetzt wird, wie sie sich der Welt des Wunderbaren und den gewaltigen
Naturkräften gegenüber im schwächern Menschen notwendig entfalten muß."
Daher schreibt er. als er den Faust wieder begonnen hatte, an Schiller
(22. Juni 1797): „Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst¬
und Nebelweg gebracht." Damals hat er also eine ähnliche Auffassung von
der Ballade gehabt wie Echtermeyer. Dennoch giebt er im Musenalmanach
von 1798 dem „Zauberlehrling" (S. 32) und der „Braut von Korinth" (S. 88)
den Titel „Romanze," obwohl in dem letztern Gedichte nicht nur ein dämonischer
Stoff, sondern auch die düstere BeHandlungsweise vorhanden ist. Der Grund
liegt wohl darin, daß früher Löwen und andre ihre aus der antiken Mytho¬
logie genommenen episch-lyrischen Gedichte Romanzen nannten, als man die
Ballade noch nicht kannte. Denselben Stoff und dieselbe Behandlung, die
Goethe jetzt sür die Ballade in Anspruch nimmt, hatte man ja damals der
Romanze zugewiesen. Wie Goethe bei seinem Versuche, die beiden Begriffe
zu scheiden, schwankte, sieht man anch daraus, daß der „Rattenfänger."
der 1806 (S. 105) unter den Liedern stand, 1815 (S. 186) unter die Balladen
versetzt ist. Später hat er die Scheidung der Begriffe ganz aufgegeben; in
der Ausgabe von 1815 nennt er seine lyrisch-epischen Gedichte nicht mehr
„Balladen und Romanzen," wie 1800 und 1806, sondern einfach „Balladen."


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[0523] Ballade und Romanze Wie ein Harlekin oder wie ein Mensch mit einem Raritätenkasten vor" (bei Halm S. XXXI). Nicht weniger unsicher waren Schiller und Goethe, als sie sich nach dem Aenienkampf in dem Balladenjahr 1797 in der durch Bürger berühmt ge- wordnen Dichtungsform versuchten. Schiller gab im Musenalmanach von 1798 allen seinen lyrisch-epischen Gedichten die Überschrift „Ballade," nur den „Handschuh" nannte er „Erzählung." Dagegen zog er in dem nächsten Al¬ manach (1799) für den „Kampf mit dem Drachen" und die „Bürgschaft" die Bezeichnung „Romanze" vor, ohne daß man dafür einen bestimmten Grund erkennen könnte. In den Briefen an Goethe (21. August und 4. September 1798) hatte er beide Gedichte als Balladen bezeichnet, und Goethe sandte auch die „Balladen" (5. September) zurück. Und selbst nach dem Druck des Almanachs, als Körner sein Urteil über die „zwei Romanzen" mitteilte (Schillers und Körners Briefwechsel, Berlin. 1847, IV, 91). freut sich Schiller, daß die „Balladen" Glück machen. Schiller hat also niemals Ballade und Romanze scharf geschieden; deshalb beabsichtigte er wohl auch in der Ausgabe seiner Gedichte, die er noch kurz vor seinem Tode vorbereitete, die Balladen und Romanzen in einer besondern Abteilung mit der Vorschrift „Lyrisch-epische Gedichte" zusammenzustellen. Bei Goethe dagegen scheint es, als habe er anfangs Ballade und Romanze scheiden wollen. Er fordert für die Ballade „eine mysteriöse Behandlung, durch welche das Gemüt und die Phantasie des Lesers in diejenige Stimmung versetzt wird, wie sie sich der Welt des Wunderbaren und den gewaltigen Naturkräften gegenüber im schwächern Menschen notwendig entfalten muß." Daher schreibt er. als er den Faust wieder begonnen hatte, an Schiller (22. Juni 1797): „Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst¬ und Nebelweg gebracht." Damals hat er also eine ähnliche Auffassung von der Ballade gehabt wie Echtermeyer. Dennoch giebt er im Musenalmanach von 1798 dem „Zauberlehrling" (S. 32) und der „Braut von Korinth" (S. 88) den Titel „Romanze," obwohl in dem letztern Gedichte nicht nur ein dämonischer Stoff, sondern auch die düstere BeHandlungsweise vorhanden ist. Der Grund liegt wohl darin, daß früher Löwen und andre ihre aus der antiken Mytho¬ logie genommenen episch-lyrischen Gedichte Romanzen nannten, als man die Ballade noch nicht kannte. Denselben Stoff und dieselbe Behandlung, die Goethe jetzt sür die Ballade in Anspruch nimmt, hatte man ja damals der Romanze zugewiesen. Wie Goethe bei seinem Versuche, die beiden Begriffe zu scheiden, schwankte, sieht man anch daraus, daß der „Rattenfänger." der 1806 (S. 105) unter den Liedern stand, 1815 (S. 186) unter die Balladen versetzt ist. Später hat er die Scheidung der Begriffe ganz aufgegeben; in der Ausgabe von 1815 nennt er seine lyrisch-epischen Gedichte nicht mehr „Balladen und Romanzen," wie 1800 und 1806, sondern einfach „Balladen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/523>, abgerufen am 01.09.2024.