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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

seinen Darstellungen vertrauen, so denke, daß dn es mit dreien zu thun hast, mit
dem Gegenstand und zwei Subjekten" (Hempel, 911), serner: "Es gehört eine
eigne Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art
zu fassen und es vou Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich deun doch auch mit
einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdringen" (drängen, 933), oder "Ist es der
Gegenstand, oder bist dn es, der sich hier ausspricht?" (934). Endlich ganz lehrsatz¬
artig: "Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist!" (916).

Wer aber hier der eigentliche Entdecker ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Vielleicht ist es diesmal ein Engländer, nämlich, soviel ich weiß, Hume, dem einst
ein öffentlicher Vorgang bei einem Straßenanflanf ganz anders erzählt wurde, als
er ihn wahrgenommen hatte, und dem dann auf seine Gegenvorstellung, daß er ja
selbst von seinem Fenster aus mit zugesehen habe, der Erzähler entgegnete: "Und
ich habe unmittelbar dabei gestanden." Wem das begegnet ist, der konnte füglich
an der "Gewißheit der Geschichte" zweifeln, und dies wäre dann der Gegenstand
Goethes mit seinen zwei Subjekte"!

Wieder etwas andres, und zwar etwas von ganz allgemeinem Interesse.
Woher nahm Bismarck das jetzt so viel gebrauchte Wort: wir Deutschen fürchten
Gott usw. oder, da er es vielleicht selbst nicht gewußt haben mag, wer hat es
zuerst oder doch vor ihm gebraucht? Ich erinnere mich einmal in einem Aufsatze
zahlreiche Stellen aus neuern deutschen Dichtern zusammengetragen gefunden zu
haben, durch die Bismarck darauf geführt worden sein sollte. Aber sie lauteten
alle nur ungefähr so, keine gab diese epigrammartige Fassung. Auf die Quelle
führt hier Carlyle in seiner Ausgabe von Cromwells Reden. Cromwell spricht
an einer Stelle von seinen gewappneten Reitern, den gottesfürchtigen Jronsides,
die nie geschlagen wurden (Lxaeen XI). Die erste Auflage der Reden erschien 1345.
Aber schon in den Vorlesungen über Heroentum (1340) sagt Carlyle bei demselben
Anlaß wörtlich: Uhr koariiiA Koa auel nitbcmt, en^ otluzr doar. Carlyle selbst
könnte also den Satz in dieser Fassung zuerst geprägt haben. Nun kommt noch
die Anwendung auf uns Deutsche hinzu, und daß die beiden großen Männer, Bis¬
marck und Carlyle, einander nahe standen, ist bekannt.




Litteratur
Die Kirche Deutschlands unter den sächsischen und fränkischen Kaisern. (Kirchen-
geschichte Deutschlands, Bd. 3.) Von Albert Hauck. Leipzig, J> C. Hinrichs, 1896

Die Weltgeschichte ist überall interessant. In keiner Periode ist sie leer von
Gestalten und Bewegungen, die den Historiker zu fesseln und zu dem Versuche neuer
Darstellung und Beurteilung zu reizen vermögen. Aber wie sich hie und da Höhen
aus dem ebnen Lande erheben, so trifft das forschende Auge auf Zeiten, die nach
einer gleichmäßigen, ruhigen Entwicklung Umwälzungen und Kämpfe bringen und
damit fesselnde Persönlichkeiten in reicherer Fülle; denn diese leiten die allgemeinen
Bewegungen in das Bett, wo sie sich einen Weg bahnen können.

Der dritte Teil von Hcmcks großem Werke über die Geschichte der deutschen


Litteratur

seinen Darstellungen vertrauen, so denke, daß dn es mit dreien zu thun hast, mit
dem Gegenstand und zwei Subjekten" (Hempel, 911), serner: „Es gehört eine
eigne Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art
zu fassen und es vou Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich deun doch auch mit
einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdringen" (drängen, 933), oder „Ist es der
Gegenstand, oder bist dn es, der sich hier ausspricht?" (934). Endlich ganz lehrsatz¬
artig: „Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist!" (916).

Wer aber hier der eigentliche Entdecker ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Vielleicht ist es diesmal ein Engländer, nämlich, soviel ich weiß, Hume, dem einst
ein öffentlicher Vorgang bei einem Straßenanflanf ganz anders erzählt wurde, als
er ihn wahrgenommen hatte, und dem dann auf seine Gegenvorstellung, daß er ja
selbst von seinem Fenster aus mit zugesehen habe, der Erzähler entgegnete: „Und
ich habe unmittelbar dabei gestanden." Wem das begegnet ist, der konnte füglich
an der „Gewißheit der Geschichte" zweifeln, und dies wäre dann der Gegenstand
Goethes mit seinen zwei Subjekte»!

Wieder etwas andres, und zwar etwas von ganz allgemeinem Interesse.
Woher nahm Bismarck das jetzt so viel gebrauchte Wort: wir Deutschen fürchten
Gott usw. oder, da er es vielleicht selbst nicht gewußt haben mag, wer hat es
zuerst oder doch vor ihm gebraucht? Ich erinnere mich einmal in einem Aufsatze
zahlreiche Stellen aus neuern deutschen Dichtern zusammengetragen gefunden zu
haben, durch die Bismarck darauf geführt worden sein sollte. Aber sie lauteten
alle nur ungefähr so, keine gab diese epigrammartige Fassung. Auf die Quelle
führt hier Carlyle in seiner Ausgabe von Cromwells Reden. Cromwell spricht
an einer Stelle von seinen gewappneten Reitern, den gottesfürchtigen Jronsides,
die nie geschlagen wurden (Lxaeen XI). Die erste Auflage der Reden erschien 1345.
Aber schon in den Vorlesungen über Heroentum (1340) sagt Carlyle bei demselben
Anlaß wörtlich: Uhr koariiiA Koa auel nitbcmt, en^ otluzr doar. Carlyle selbst
könnte also den Satz in dieser Fassung zuerst geprägt haben. Nun kommt noch
die Anwendung auf uns Deutsche hinzu, und daß die beiden großen Männer, Bis¬
marck und Carlyle, einander nahe standen, ist bekannt.




Litteratur
Die Kirche Deutschlands unter den sächsischen und fränkischen Kaisern. (Kirchen-
geschichte Deutschlands, Bd. 3.) Von Albert Hauck. Leipzig, J> C. Hinrichs, 1896

Die Weltgeschichte ist überall interessant. In keiner Periode ist sie leer von
Gestalten und Bewegungen, die den Historiker zu fesseln und zu dem Versuche neuer
Darstellung und Beurteilung zu reizen vermögen. Aber wie sich hie und da Höhen
aus dem ebnen Lande erheben, so trifft das forschende Auge auf Zeiten, die nach
einer gleichmäßigen, ruhigen Entwicklung Umwälzungen und Kämpfe bringen und
damit fesselnde Persönlichkeiten in reicherer Fülle; denn diese leiten die allgemeinen
Bewegungen in das Bett, wo sie sich einen Weg bahnen können.

Der dritte Teil von Hcmcks großem Werke über die Geschichte der deutschen


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[0052] Litteratur seinen Darstellungen vertrauen, so denke, daß dn es mit dreien zu thun hast, mit dem Gegenstand und zwei Subjekten" (Hempel, 911), serner: „Es gehört eine eigne Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art zu fassen und es vou Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich deun doch auch mit einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdringen" (drängen, 933), oder „Ist es der Gegenstand, oder bist dn es, der sich hier ausspricht?" (934). Endlich ganz lehrsatz¬ artig: „Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist!" (916). Wer aber hier der eigentliche Entdecker ist, wage ich nicht zu entscheiden. Vielleicht ist es diesmal ein Engländer, nämlich, soviel ich weiß, Hume, dem einst ein öffentlicher Vorgang bei einem Straßenanflanf ganz anders erzählt wurde, als er ihn wahrgenommen hatte, und dem dann auf seine Gegenvorstellung, daß er ja selbst von seinem Fenster aus mit zugesehen habe, der Erzähler entgegnete: „Und ich habe unmittelbar dabei gestanden." Wem das begegnet ist, der konnte füglich an der „Gewißheit der Geschichte" zweifeln, und dies wäre dann der Gegenstand Goethes mit seinen zwei Subjekte»! Wieder etwas andres, und zwar etwas von ganz allgemeinem Interesse. Woher nahm Bismarck das jetzt so viel gebrauchte Wort: wir Deutschen fürchten Gott usw. oder, da er es vielleicht selbst nicht gewußt haben mag, wer hat es zuerst oder doch vor ihm gebraucht? Ich erinnere mich einmal in einem Aufsatze zahlreiche Stellen aus neuern deutschen Dichtern zusammengetragen gefunden zu haben, durch die Bismarck darauf geführt worden sein sollte. Aber sie lauteten alle nur ungefähr so, keine gab diese epigrammartige Fassung. Auf die Quelle führt hier Carlyle in seiner Ausgabe von Cromwells Reden. Cromwell spricht an einer Stelle von seinen gewappneten Reitern, den gottesfürchtigen Jronsides, die nie geschlagen wurden (Lxaeen XI). Die erste Auflage der Reden erschien 1345. Aber schon in den Vorlesungen über Heroentum (1340) sagt Carlyle bei demselben Anlaß wörtlich: Uhr koariiiA Koa auel nitbcmt, en^ otluzr doar. Carlyle selbst könnte also den Satz in dieser Fassung zuerst geprägt haben. Nun kommt noch die Anwendung auf uns Deutsche hinzu, und daß die beiden großen Männer, Bis¬ marck und Carlyle, einander nahe standen, ist bekannt. Litteratur Die Kirche Deutschlands unter den sächsischen und fränkischen Kaisern. (Kirchen- geschichte Deutschlands, Bd. 3.) Von Albert Hauck. Leipzig, J> C. Hinrichs, 1896 Die Weltgeschichte ist überall interessant. In keiner Periode ist sie leer von Gestalten und Bewegungen, die den Historiker zu fesseln und zu dem Versuche neuer Darstellung und Beurteilung zu reizen vermögen. Aber wie sich hie und da Höhen aus dem ebnen Lande erheben, so trifft das forschende Auge auf Zeiten, die nach einer gleichmäßigen, ruhigen Entwicklung Umwälzungen und Kämpfe bringen und damit fesselnde Persönlichkeiten in reicherer Fülle; denn diese leiten die allgemeinen Bewegungen in das Bett, wo sie sich einen Weg bahnen können. Der dritte Teil von Hcmcks großem Werke über die Geschichte der deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/52>, abgerufen am 25.11.2024.