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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Atheismus und Ethik

.">,K5V?-W!S'in vorjährigen Oktvberheft der Preußischen Jahrbücher hat
I. Friedheim, Major a. D., die atheistische Ethik als die allein
wahrhaft idealistische empfohlen. Im Novemberheft hat ihm
dann Dr. E. Troeltsch, Professor der Theologie in Halle, geant¬
wortet. Er giebt den idealistischen Vertretern des modernen
Atheismus zu, daß sie von den Vorwürfen, die man dem Atheismus der alten
Epikureer machen kann, nicht getroffen werden, und daß ihre Ethik die christ¬
liche im Heroismus der Entsagung und in der Stärke des sittlichen Willens,
die sie voraussetzt, übertrifft, aber er glaubt nicht, daß die Masse jemals der
"Krücken," die der religiöse Glaube dem sittliche" Willen gewahrt, werde ent-
raten können. Diesen Aufsatz kritisirt H. v. Samson-Himmelstjcrna im dies¬
jährigen zweiten Quartalbande der Deutschen Revue uuter der Überschrift:
"Religiöse Liquidation." Die Redaktion erklärt in einer Anmerkung, daß sie
nicht auf dem religiösen und philosophischen Standpunkte des Verfassers stehe,
jedoch einem hervorragenden Gelehrten, der eine andre Richtung vertrete, ihre
Spalten nicht verschließen wolle.

Das alles würde uns nun weiter nichts angehen, wenn wir nicht auf
privatem Wege erfahren hatten, daß Samson deu Verfasser des Artikels:
August Comte und der Positivismus, im sechzehnten diesjährigen Hefte der
Grenzboten, für einen Gesinnungsgenossen von sich und Friedheün hält.

Da auch andre Leser ,den Aufsatz in dieser Weise mißverstanden haben
könnten, halten wir es für gut, uns mit den Atheisten auf dem Gebiete der
Ethik auseinanderzusetzen. Wir können uns kurz fassen, da wir mir dieHanpt-
punkte hervorzuheben brauchen; ausgeführt haben wir sie ja schon oft.

In dem Aufsatze über Comte haben wir deu Positivismus als die folge¬
richtige Anwendung des Kritizismus empfohlen, also natürlich im Sinne Kants;
wir halten es für weise, die unserm Erkenntnisvermögen gezognen Grenzen
anzuerkennen, auf die Ergründung des unergründlichen Weltgeheimnisses zu
verzichten und zwischen Wissen und Glauben "reinlich" zu scheiden. Damit
ist aber ausgesprochen, daß wir, weit entfernt davon, den Glauben preiszu¬
geben, ihn im Gegenteil vor den Künsten einer ihn fortwährend kompro-
mittirenden Beweismnt sicher stellen. Es ist sonderbar genug, daß es nach




Atheismus und Ethik

.">,K5V?-W!S'in vorjährigen Oktvberheft der Preußischen Jahrbücher hat
I. Friedheim, Major a. D., die atheistische Ethik als die allein
wahrhaft idealistische empfohlen. Im Novemberheft hat ihm
dann Dr. E. Troeltsch, Professor der Theologie in Halle, geant¬
wortet. Er giebt den idealistischen Vertretern des modernen
Atheismus zu, daß sie von den Vorwürfen, die man dem Atheismus der alten
Epikureer machen kann, nicht getroffen werden, und daß ihre Ethik die christ¬
liche im Heroismus der Entsagung und in der Stärke des sittlichen Willens,
die sie voraussetzt, übertrifft, aber er glaubt nicht, daß die Masse jemals der
„Krücken," die der religiöse Glaube dem sittliche» Willen gewahrt, werde ent-
raten können. Diesen Aufsatz kritisirt H. v. Samson-Himmelstjcrna im dies¬
jährigen zweiten Quartalbande der Deutschen Revue uuter der Überschrift:
„Religiöse Liquidation." Die Redaktion erklärt in einer Anmerkung, daß sie
nicht auf dem religiösen und philosophischen Standpunkte des Verfassers stehe,
jedoch einem hervorragenden Gelehrten, der eine andre Richtung vertrete, ihre
Spalten nicht verschließen wolle.

Das alles würde uns nun weiter nichts angehen, wenn wir nicht auf
privatem Wege erfahren hatten, daß Samson deu Verfasser des Artikels:
August Comte und der Positivismus, im sechzehnten diesjährigen Hefte der
Grenzboten, für einen Gesinnungsgenossen von sich und Friedheün hält.

Da auch andre Leser ,den Aufsatz in dieser Weise mißverstanden haben
könnten, halten wir es für gut, uns mit den Atheisten auf dem Gebiete der
Ethik auseinanderzusetzen. Wir können uns kurz fassen, da wir mir dieHanpt-
punkte hervorzuheben brauchen; ausgeführt haben wir sie ja schon oft.

In dem Aufsatze über Comte haben wir deu Positivismus als die folge¬
richtige Anwendung des Kritizismus empfohlen, also natürlich im Sinne Kants;
wir halten es für weise, die unserm Erkenntnisvermögen gezognen Grenzen
anzuerkennen, auf die Ergründung des unergründlichen Weltgeheimnisses zu
verzichten und zwischen Wissen und Glauben „reinlich" zu scheiden. Damit
ist aber ausgesprochen, daß wir, weit entfernt davon, den Glauben preiszu¬
geben, ihn im Gegenteil vor den Künsten einer ihn fortwährend kompro-
mittirenden Beweismnt sicher stellen. Es ist sonderbar genug, daß es nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/502>, abgerufen am 29.11.2024.