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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Haben doch sogar die Vertreter eines und desselben Berufsstandes, der Land¬
wirtschaft, Jnteressentampfe mit einander ausgefochten, wenn sich die Interessen
des Ostens und die des Westens mit einander kreuzten. Die agrarischen Be¬
strebungen und die auf Anraten der Agrarier von der Gesetzgebung unter¬
nommenen Maßregeln dienen zum großen Teil nur den Interessen der Land¬
wirtschaft gewisser Gegenden. Die Landwirtschaft in den übrigen Teilen des
Reichs ist von diesen Bevorzugungen ausgeschlossen. Hauptsächlich ist es der
Osten, zu dessen Gunsten gesetzgeberische Maßregeln manchmal freilich von recht
zweifelhaftem Wert verlangt werden. Es ist nicht zu verwundern, daß diese
Bevorzugung des Ostens anderswo Mißstimmung erregt. Daß die wirtschaft¬
lichen Bestrebungen sonderlich der östlichen Agrarier stark mit politischen ver¬
quickt sind, daß die preußischen Junker politische Bestrebungen verfolgen, die
im Süden sehr unpopulär sind, dient weiter dazu, die Gefahr der Verfeindung
der Stämme unter einander zu erhöhen.

Aber wie sehr auch die Regierung den Osten begünstigen mag, sie kann
nicht alle seine Wünsche erfüllen, sie kann nicht die Verkehrspolitik und Handels¬
politik ganz nach den einseitigen Forderungen gestalten, die der wirtschaftliche
Partikularismus im Namen einzelner Landesteile stellt, weil sie dadurch andre
Landesteile schwer benachteiligen würde. Daß der wirtschaftliche Kampf im
Inlande Gefahren für das wirtschaftliche Gedeihen mit sich bringt, kann keine
für das Wohl des ganzen Landes Verantwortliche Regierung verkennen. Aber
den naheliegenden Schluß, daß dann auch die Anfeindung des Auslandes und
das Bemühen, eigne Vorteile durch Schädigung des Auslandes zu erlangen,
thöricht ist, wollen die Fanatiker protektionistischer Maßregeln nicht ziehen.

Für die wirtschaftlichen Beziehungen sind doch die politischen Landes¬
grenzen nur etwas zufälliges. Zwei Landesteile, die durch eine politische
Landesgrenze getrennt sind, können ans den Verkehr mit einander ebenso sehr
und manchmal mehr angewiesen sein, als zwei, die politisch zusammengehören.
Die Schutzzollpolitik hat den Verkehr in unnatürliche Bahnen gedrängt, weil
sie Schranken aufrichtet zwischen Landesteilen, die wegen ihrer natürlichen Lage
aus dem Verkehr mit einander am meisten Vorteil ziehen würden. Wollte
man die Schutzzollbestrebungen bis zu ihren äußersten Konsequenzen treiben,
der wirtschaftlichen Eifersucht zwischen den einzelnen Landesteilen volles Genüge
schaffen, so müßte man im Inlande die alten Schranken wieder aufrichten und
engere Wirtschaftsgebiete herstellen, die sich gegenseitig mit Gesetzesmaßregeln
bekämpfen. Eine solche Forderung wird nicht gestellt, weil sie offenbar un¬
sinnig wäre. Wird aber eingesehen, daß die wirtschaftliche Verfeindung im
Inlande vom Übel ist, so sollte auch zugegeben werden, daß die Gemeinsam¬
keit der Interessen über die politischen Landesgrenzen hinausreicht, und daß
diese gemeinsamen Interessen durch Maßregeln, die eine kurzsichtige Selbstsucht
verlangt, geschädigt werden.




Haben doch sogar die Vertreter eines und desselben Berufsstandes, der Land¬
wirtschaft, Jnteressentampfe mit einander ausgefochten, wenn sich die Interessen
des Ostens und die des Westens mit einander kreuzten. Die agrarischen Be¬
strebungen und die auf Anraten der Agrarier von der Gesetzgebung unter¬
nommenen Maßregeln dienen zum großen Teil nur den Interessen der Land¬
wirtschaft gewisser Gegenden. Die Landwirtschaft in den übrigen Teilen des
Reichs ist von diesen Bevorzugungen ausgeschlossen. Hauptsächlich ist es der
Osten, zu dessen Gunsten gesetzgeberische Maßregeln manchmal freilich von recht
zweifelhaftem Wert verlangt werden. Es ist nicht zu verwundern, daß diese
Bevorzugung des Ostens anderswo Mißstimmung erregt. Daß die wirtschaft¬
lichen Bestrebungen sonderlich der östlichen Agrarier stark mit politischen ver¬
quickt sind, daß die preußischen Junker politische Bestrebungen verfolgen, die
im Süden sehr unpopulär sind, dient weiter dazu, die Gefahr der Verfeindung
der Stämme unter einander zu erhöhen.

Aber wie sehr auch die Regierung den Osten begünstigen mag, sie kann
nicht alle seine Wünsche erfüllen, sie kann nicht die Verkehrspolitik und Handels¬
politik ganz nach den einseitigen Forderungen gestalten, die der wirtschaftliche
Partikularismus im Namen einzelner Landesteile stellt, weil sie dadurch andre
Landesteile schwer benachteiligen würde. Daß der wirtschaftliche Kampf im
Inlande Gefahren für das wirtschaftliche Gedeihen mit sich bringt, kann keine
für das Wohl des ganzen Landes Verantwortliche Regierung verkennen. Aber
den naheliegenden Schluß, daß dann auch die Anfeindung des Auslandes und
das Bemühen, eigne Vorteile durch Schädigung des Auslandes zu erlangen,
thöricht ist, wollen die Fanatiker protektionistischer Maßregeln nicht ziehen.

Für die wirtschaftlichen Beziehungen sind doch die politischen Landes¬
grenzen nur etwas zufälliges. Zwei Landesteile, die durch eine politische
Landesgrenze getrennt sind, können ans den Verkehr mit einander ebenso sehr
und manchmal mehr angewiesen sein, als zwei, die politisch zusammengehören.
Die Schutzzollpolitik hat den Verkehr in unnatürliche Bahnen gedrängt, weil
sie Schranken aufrichtet zwischen Landesteilen, die wegen ihrer natürlichen Lage
aus dem Verkehr mit einander am meisten Vorteil ziehen würden. Wollte
man die Schutzzollbestrebungen bis zu ihren äußersten Konsequenzen treiben,
der wirtschaftlichen Eifersucht zwischen den einzelnen Landesteilen volles Genüge
schaffen, so müßte man im Inlande die alten Schranken wieder aufrichten und
engere Wirtschaftsgebiete herstellen, die sich gegenseitig mit Gesetzesmaßregeln
bekämpfen. Eine solche Forderung wird nicht gestellt, weil sie offenbar un¬
sinnig wäre. Wird aber eingesehen, daß die wirtschaftliche Verfeindung im
Inlande vom Übel ist, so sollte auch zugegeben werden, daß die Gemeinsam¬
keit der Interessen über die politischen Landesgrenzen hinausreicht, und daß
diese gemeinsamen Interessen durch Maßregeln, die eine kurzsichtige Selbstsucht
verlangt, geschädigt werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/495>, abgerufen am 29.11.2024.