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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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schieben der Währungsfrage gelähmt wird. Das Streben nach nationaler
Unabhängigkeit ans wirtschaftlichem Gebiet, so weit es zum Abschließen durch
Zölle führt, ist dem Gedeihen der Trusts förderlich, für deren Emporkommen
die freie Konkurrenz des Auslandes wenigstens ein starkes Hemmnis sein würde.

Aber die Vergehen des Kapitals berechtigen doch nicht dazu, seine Be¬
deutung für die moderne Weltwirtschaft zu verkennen, wie es von den Fanatikern
geschieht. Wie wäre denn die großartige und rasche Entwicklung Nordamerikas
möglich gewesen, wenn sie nicht die Hilfe des Kapitals und das reichliche
Vorhandensein von Kapital ermöglicht hätte? Die nach Doppelwährung
lüsternen Farmer Nordamerikas verkennen, daß dem raschen Emporblühen ein
Rückschlag folgen mußte, daß sie selbst durch Raubbau, durch schwindelhaftes
Steigen der Landpreise ihr Teil dazu beigetragen haben, die Lage der Land¬
wirtschaft zu verschlechtern. Es geht ihnen ähnlich wie unsern Agrariern, die
sich auch über die Ursachen des wirtschaftlichen Rückgangs keine Rechenschaft
geben und ihren eignen Anteil daran nicht eingestehen wollen. Solche Krisen
heilt mau nicht durch Zaubermittel, wie Doppelwährung oder Schußzoll;
sie müssen allmählich überwanden werden.

Bedeutet aber Pflege der wirtschaftlichen Sonderinteressen wirklich Stärkung
des Nationalbewußtseins? Die Jnteressenpolitiker begnügen sich nicht damit,
Feindseligkeit und Mißtrauen gegen das Ausland zu predigen. Wir hören
von ihnen nicht bloß, daß das Inland dem Auslande gegenüber immer zu
kurz komme, sondern auch, daß im Inlande gewisse Gegenden bevorzugt würden.
Bei uns ist es der arme Osten, zu dessen Gunsten Maßregeln verlangt werden,
die dem Mißverhältnis zwischen seiner Lage und der des höher entwickelten
Westens abhelfen sollen. In Amerika sind es die Staaten des Westens mit
ihrer ältern und höher entwickelten Kultur, gegen die der Neid erregt wird.
Pessimisten haben sogar behauptet, daß ein neuer Sezessionskrieg bevorstehe,
der aber nicht zwischen Norden und Süden, sondern zwischen Osten und Westen
geführt werden müsse. Dazu wird es nun doch voraussichtlich nicht kommen;
es ist auch gar keine scharfe Grenze zu ziehen zwischen den östlichen und den
westlichen Staaten, die sie nach ihren wirtschaftlichen Besonderheiten schiebe.
Aber diese Kämpfe zeigen doch klar, welche verfeindende Macht die wirtschaftliche
Interessenpolitik hat, und daß sie nach Abgrenzung möglichst enger Gebiete
strebt. Es ist ja ganz natürlich, daß sich in den ältern östlichen Staaten
Nordamerikas ein größerer Kapitalreichtnm angesammelt hat. Aber die Erwerbs-
bedingnngen haben doch lange im Westen mit seiner jüngern Kultur günstiger
gelegen. Jetzt, da das Erwerben von Wohlstand nicht mehr so leicht geht,
Landspekulationen nicht mehr lohnend sind, wird über das Sklaventum der
produktiven Stände, Wer die Abhängigkeit der kapitalarmen Gegenden von
den kapitalreichen geklagt.

Echt partikularistische Züge weist auch bei uns die Interessenpolitik auf.


schieben der Währungsfrage gelähmt wird. Das Streben nach nationaler
Unabhängigkeit ans wirtschaftlichem Gebiet, so weit es zum Abschließen durch
Zölle führt, ist dem Gedeihen der Trusts förderlich, für deren Emporkommen
die freie Konkurrenz des Auslandes wenigstens ein starkes Hemmnis sein würde.

Aber die Vergehen des Kapitals berechtigen doch nicht dazu, seine Be¬
deutung für die moderne Weltwirtschaft zu verkennen, wie es von den Fanatikern
geschieht. Wie wäre denn die großartige und rasche Entwicklung Nordamerikas
möglich gewesen, wenn sie nicht die Hilfe des Kapitals und das reichliche
Vorhandensein von Kapital ermöglicht hätte? Die nach Doppelwährung
lüsternen Farmer Nordamerikas verkennen, daß dem raschen Emporblühen ein
Rückschlag folgen mußte, daß sie selbst durch Raubbau, durch schwindelhaftes
Steigen der Landpreise ihr Teil dazu beigetragen haben, die Lage der Land¬
wirtschaft zu verschlechtern. Es geht ihnen ähnlich wie unsern Agrariern, die
sich auch über die Ursachen des wirtschaftlichen Rückgangs keine Rechenschaft
geben und ihren eignen Anteil daran nicht eingestehen wollen. Solche Krisen
heilt mau nicht durch Zaubermittel, wie Doppelwährung oder Schußzoll;
sie müssen allmählich überwanden werden.

Bedeutet aber Pflege der wirtschaftlichen Sonderinteressen wirklich Stärkung
des Nationalbewußtseins? Die Jnteressenpolitiker begnügen sich nicht damit,
Feindseligkeit und Mißtrauen gegen das Ausland zu predigen. Wir hören
von ihnen nicht bloß, daß das Inland dem Auslande gegenüber immer zu
kurz komme, sondern auch, daß im Inlande gewisse Gegenden bevorzugt würden.
Bei uns ist es der arme Osten, zu dessen Gunsten Maßregeln verlangt werden,
die dem Mißverhältnis zwischen seiner Lage und der des höher entwickelten
Westens abhelfen sollen. In Amerika sind es die Staaten des Westens mit
ihrer ältern und höher entwickelten Kultur, gegen die der Neid erregt wird.
Pessimisten haben sogar behauptet, daß ein neuer Sezessionskrieg bevorstehe,
der aber nicht zwischen Norden und Süden, sondern zwischen Osten und Westen
geführt werden müsse. Dazu wird es nun doch voraussichtlich nicht kommen;
es ist auch gar keine scharfe Grenze zu ziehen zwischen den östlichen und den
westlichen Staaten, die sie nach ihren wirtschaftlichen Besonderheiten schiebe.
Aber diese Kämpfe zeigen doch klar, welche verfeindende Macht die wirtschaftliche
Interessenpolitik hat, und daß sie nach Abgrenzung möglichst enger Gebiete
strebt. Es ist ja ganz natürlich, daß sich in den ältern östlichen Staaten
Nordamerikas ein größerer Kapitalreichtnm angesammelt hat. Aber die Erwerbs-
bedingnngen haben doch lange im Westen mit seiner jüngern Kultur günstiger
gelegen. Jetzt, da das Erwerben von Wohlstand nicht mehr so leicht geht,
Landspekulationen nicht mehr lohnend sind, wird über das Sklaventum der
produktiven Stände, Wer die Abhängigkeit der kapitalarmen Gegenden von
den kapitalreichen geklagt.

Echt partikularistische Züge weist auch bei uns die Interessenpolitik auf.


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[0494] schieben der Währungsfrage gelähmt wird. Das Streben nach nationaler Unabhängigkeit ans wirtschaftlichem Gebiet, so weit es zum Abschließen durch Zölle führt, ist dem Gedeihen der Trusts förderlich, für deren Emporkommen die freie Konkurrenz des Auslandes wenigstens ein starkes Hemmnis sein würde. Aber die Vergehen des Kapitals berechtigen doch nicht dazu, seine Be¬ deutung für die moderne Weltwirtschaft zu verkennen, wie es von den Fanatikern geschieht. Wie wäre denn die großartige und rasche Entwicklung Nordamerikas möglich gewesen, wenn sie nicht die Hilfe des Kapitals und das reichliche Vorhandensein von Kapital ermöglicht hätte? Die nach Doppelwährung lüsternen Farmer Nordamerikas verkennen, daß dem raschen Emporblühen ein Rückschlag folgen mußte, daß sie selbst durch Raubbau, durch schwindelhaftes Steigen der Landpreise ihr Teil dazu beigetragen haben, die Lage der Land¬ wirtschaft zu verschlechtern. Es geht ihnen ähnlich wie unsern Agrariern, die sich auch über die Ursachen des wirtschaftlichen Rückgangs keine Rechenschaft geben und ihren eignen Anteil daran nicht eingestehen wollen. Solche Krisen heilt mau nicht durch Zaubermittel, wie Doppelwährung oder Schußzoll; sie müssen allmählich überwanden werden. Bedeutet aber Pflege der wirtschaftlichen Sonderinteressen wirklich Stärkung des Nationalbewußtseins? Die Jnteressenpolitiker begnügen sich nicht damit, Feindseligkeit und Mißtrauen gegen das Ausland zu predigen. Wir hören von ihnen nicht bloß, daß das Inland dem Auslande gegenüber immer zu kurz komme, sondern auch, daß im Inlande gewisse Gegenden bevorzugt würden. Bei uns ist es der arme Osten, zu dessen Gunsten Maßregeln verlangt werden, die dem Mißverhältnis zwischen seiner Lage und der des höher entwickelten Westens abhelfen sollen. In Amerika sind es die Staaten des Westens mit ihrer ältern und höher entwickelten Kultur, gegen die der Neid erregt wird. Pessimisten haben sogar behauptet, daß ein neuer Sezessionskrieg bevorstehe, der aber nicht zwischen Norden und Süden, sondern zwischen Osten und Westen geführt werden müsse. Dazu wird es nun doch voraussichtlich nicht kommen; es ist auch gar keine scharfe Grenze zu ziehen zwischen den östlichen und den westlichen Staaten, die sie nach ihren wirtschaftlichen Besonderheiten schiebe. Aber diese Kämpfe zeigen doch klar, welche verfeindende Macht die wirtschaftliche Interessenpolitik hat, und daß sie nach Abgrenzung möglichst enger Gebiete strebt. Es ist ja ganz natürlich, daß sich in den ältern östlichen Staaten Nordamerikas ein größerer Kapitalreichtnm angesammelt hat. Aber die Erwerbs- bedingnngen haben doch lange im Westen mit seiner jüngern Kultur günstiger gelegen. Jetzt, da das Erwerben von Wohlstand nicht mehr so leicht geht, Landspekulationen nicht mehr lohnend sind, wird über das Sklaventum der produktiven Stände, Wer die Abhängigkeit der kapitalarmen Gegenden von den kapitalreichen geklagt. Echt partikularistische Züge weist auch bei uns die Interessenpolitik auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/494>, abgerufen am 30.11.2024.