Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Die Alten und die Jungen Scheerbart; die Frcskodichtung (das "Fresko" stammt wohl von Heines Fresko¬ Im ganzen ist die deutsche Litteratur heute noch in dem Zustande, in Die Alten und die Jungen Scheerbart; die Frcskodichtung (das „Fresko" stammt wohl von Heines Fresko¬ Im ganzen ist die deutsche Litteratur heute noch in dem Zustande, in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223417"/> <fw type="header" place="top"> Die Alten und die Jungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1337" prev="#ID_1336"> Scheerbart; die Frcskodichtung (das „Fresko" stammt wohl von Heines Fresko¬<lb/> sonetten her) trug als alleiniger Vertreter Franz Held (Herzfeld), der sich mit<lb/> Alberti (Sittcnfeld) und Bahr in den Ruhm teilt, die wüstesten Ausschreitungen<lb/> der Sinnlichkeit dargestellt zu haben. Man kann bei ihm von männlicher<lb/> Prostitution reden, die unter allen Umständen Aufsehen erregen will. Auch<lb/> die Sammlung „Neuland" enthält neben naturalistischen zahlreiche symbolistische<lb/> Beiträge, so von Bierbaum, Anna Croissant-Rust, Cäsar Flaischlen, Hart-<lb/> lebcn, C. G. Neuling, Johannes Schlaf. Gelegentlich wird aus der symbo¬<lb/> listischen Dichtung auch ein fades Märchen. Es war ja damals, 1894, auch<lb/> die Zeit der Märchendramen, Hauptmann und Fulda hatten große Erfolge<lb/> gehabt und zogen viele nach sich, selbst noch Richard Voß. Im übrigen tritt<lb/> die Sammlung „Neuland" sehr bescheiden auf und läßt keinen Zweifel darüber,<lb/> daß der Sturm und Drang endgiltig vorüber ist. Die Bescheidenheit war<lb/> freilich auch angebracht, es fanden sich bei dreiundzwanzig Autoren neben vielem<lb/> recht guten Mittelgut eigentlich nur zwei wirklich bedeutende Beiträge in dem<lb/> Bande, die von Halbe und der Janitschek. Die Kritik war denn auch teilweise<lb/> ehrlich genug, hervorzuheben: das und besseres hätten die Alten auch geleistet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1338" next="#ID_1339"> Im ganzen ist die deutsche Litteratur heute noch in dem Zustande, in<lb/> dem sie die Münchner Musenalmanache und die Sammlung „Neuland" zeigen,<lb/> nur daß jetzt der Symbolismus wieder zurückgetreten ist, und einige gemäßigt-<lb/> naturalistische Dramatiker, außer den schon genannten Schnitzler und Hirschfeld<lb/> etwa noch Max Dreyer und Walther Harlan, Hoffnungen erregt haben, ohne<lb/> daß man jedoch in ihnen gerade die kommenden Leute sähe. Groß ist gegen¬<lb/> wärtig die Zahl der neu ausgetretnen Unterhaltungsschriftstellcr und -Schrift-<lb/> stellerinnen, und man kann, wenn man will, annehmen, daß die moderne<lb/> litterarische Bewegung jetzt an Breite gewinnt, was sie an Tiefe und Stärke<lb/> verloren hat. Ein neues Schlagwort nach dem Symbolismus hat man noch<lb/> nicht, die Franzosen scheinen ihre Pflicht, aller drei Jahre für eins zu sorgen,<lb/> diesmal nicht erfüllt zu haben. Nun, es wäre gut, wenn man jetzt anfinge,<lb/> ein für alle mal von den Pariser Schlagwörtern abzusehen und anstatt an<lb/> die Begründung neuer Moden an den innigern Anschluß an die deutsche<lb/> Litteratur der Vergangenheit dächte, was ein Ausgebe« der eignen Selb¬<lb/> ständigkeit keineswegs zur Folge zu haben brauchte. Freunde des Alten haben<lb/> aus dem Erfolg, den Wildenbruchs „Heinrich IV." im letzten Winter errang,<lb/> geschlossen, daß nun die ganze naturalistische Bewegung überwunden sei, aber<lb/> wir schreiben nicht mehr 1882, und niemand unter den ernst zu nehmenden<lb/> Dichtern und Schriftstellern der Gegenwart ist geneigt, die unzweifelhaften<lb/> Errungenschaften des Sturms und Dranges zu Gunsten sehr zweifelhafter,<lb/> wenn auch augenblickliche Erfolge versprechender Vorzüge wieder aufzugeben,<lb/> vor allem nicht die intimere Verbindung von Kunst und Leben zu Gunsten<lb/> einer äußern Theatcrwirknng. Eher als an Wildenbruch wäre der Anschluß an</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Die Alten und die Jungen
Scheerbart; die Frcskodichtung (das „Fresko" stammt wohl von Heines Fresko¬
sonetten her) trug als alleiniger Vertreter Franz Held (Herzfeld), der sich mit
Alberti (Sittcnfeld) und Bahr in den Ruhm teilt, die wüstesten Ausschreitungen
der Sinnlichkeit dargestellt zu haben. Man kann bei ihm von männlicher
Prostitution reden, die unter allen Umständen Aufsehen erregen will. Auch
die Sammlung „Neuland" enthält neben naturalistischen zahlreiche symbolistische
Beiträge, so von Bierbaum, Anna Croissant-Rust, Cäsar Flaischlen, Hart-
lebcn, C. G. Neuling, Johannes Schlaf. Gelegentlich wird aus der symbo¬
listischen Dichtung auch ein fades Märchen. Es war ja damals, 1894, auch
die Zeit der Märchendramen, Hauptmann und Fulda hatten große Erfolge
gehabt und zogen viele nach sich, selbst noch Richard Voß. Im übrigen tritt
die Sammlung „Neuland" sehr bescheiden auf und läßt keinen Zweifel darüber,
daß der Sturm und Drang endgiltig vorüber ist. Die Bescheidenheit war
freilich auch angebracht, es fanden sich bei dreiundzwanzig Autoren neben vielem
recht guten Mittelgut eigentlich nur zwei wirklich bedeutende Beiträge in dem
Bande, die von Halbe und der Janitschek. Die Kritik war denn auch teilweise
ehrlich genug, hervorzuheben: das und besseres hätten die Alten auch geleistet.
Im ganzen ist die deutsche Litteratur heute noch in dem Zustande, in
dem sie die Münchner Musenalmanache und die Sammlung „Neuland" zeigen,
nur daß jetzt der Symbolismus wieder zurückgetreten ist, und einige gemäßigt-
naturalistische Dramatiker, außer den schon genannten Schnitzler und Hirschfeld
etwa noch Max Dreyer und Walther Harlan, Hoffnungen erregt haben, ohne
daß man jedoch in ihnen gerade die kommenden Leute sähe. Groß ist gegen¬
wärtig die Zahl der neu ausgetretnen Unterhaltungsschriftstellcr und -Schrift-
stellerinnen, und man kann, wenn man will, annehmen, daß die moderne
litterarische Bewegung jetzt an Breite gewinnt, was sie an Tiefe und Stärke
verloren hat. Ein neues Schlagwort nach dem Symbolismus hat man noch
nicht, die Franzosen scheinen ihre Pflicht, aller drei Jahre für eins zu sorgen,
diesmal nicht erfüllt zu haben. Nun, es wäre gut, wenn man jetzt anfinge,
ein für alle mal von den Pariser Schlagwörtern abzusehen und anstatt an
die Begründung neuer Moden an den innigern Anschluß an die deutsche
Litteratur der Vergangenheit dächte, was ein Ausgebe« der eignen Selb¬
ständigkeit keineswegs zur Folge zu haben brauchte. Freunde des Alten haben
aus dem Erfolg, den Wildenbruchs „Heinrich IV." im letzten Winter errang,
geschlossen, daß nun die ganze naturalistische Bewegung überwunden sei, aber
wir schreiben nicht mehr 1882, und niemand unter den ernst zu nehmenden
Dichtern und Schriftstellern der Gegenwart ist geneigt, die unzweifelhaften
Errungenschaften des Sturms und Dranges zu Gunsten sehr zweifelhafter,
wenn auch augenblickliche Erfolge versprechender Vorzüge wieder aufzugeben,
vor allem nicht die intimere Verbindung von Kunst und Leben zu Gunsten
einer äußern Theatcrwirknng. Eher als an Wildenbruch wäre der Anschluß an
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