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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Ära erklärt worden, von der Partei der Berliner Freien Bühne. Ich erinnere
mich, daß ich über das Stück, das seine ausgebildete naturalistische Technik
eingestandnermaßen dem Holz-Schlafschen "Papa Hamlet" verdankte, inhaltlich
aber vollständig von Tolstoys "Macht der Finsternis" abhängig ist, bei seinem
Erscheinen in starke Entrüstung geriet, umsomehr, als die "moderne" Kritik
an Schillers Auftreten mit den "Räubern" zu erinnern wagte. Daß das
durchaus aus Ausnahmeverhältnissen erwachsende und sich daher selbst von
seinem russischen Vorbild zu seinem Nachteil unterscheidende Drama des
Alkoholismus mit dem revolutionären Weltdrama des jungen Schillers auch
nicht die Spur gemein habe und niemals eine ähnliche Bedeutung erlangen
könne, war mir auf deu ersten Blick klar, wie überhaupt, daß Hauptmann nie
ein National-, schwerlich auch ein großer Dichter im Sinne Goethes, Schillers,
Grillparzers, Hebbels werden würde; dazu trug er zu ausgesprochen das Ge¬
präge der Absonderlichkeit. Daß sich jedoch auf seinem Wege die treue Dar¬
stellung gewisser Weltzustände, wenn auch nie ein wahres Weltbild erreichen
lasse, die große Begabung Hauptmanns, die Dinge der Wirklichkeit zu sehen
und mit technischer Meisterschaft wiederzugeben, entging mir damals uoch.
Sein zweites Drama, das "Friedensfest" mit seiner Sammlung von Jrren-
hauskcmdidaten konnte mir noch weniger imponiren als "Vor Sonnenaufgang,"
und auch die Nachahmung Ibsens "Einsame Menschen," die außerdem noch stark
von dem 1887 erschienenen Drama Hermann Bahrs "Die neuen Menschen"
abhängig war, ließ mich noch kühl. Erst die "Weber" mit ihrer unleugbar
gewaltigen Kraft und Wucht der Darstellung und "Kollege Crampton" mit
seiner Fülle seiner und wahrer Züge brachten mich Hauptmann nahe, und sein
"Hannele" konnte das zu ihm gewonnene Verhältnis wenigstens nicht wieder
aufheben, obwohl ich hier nicht mehr die alte naturalistische Folgerichtigkeit,
stellenweise selbst Konventionelles sand. Den "Biberpelz." dessen Entstehung
auf Kleists "Zerbrochnen Krug" zurückgeht, und endlich den "Florian Geyer"
habe ich noch nicht gründlich studiren können; das zuletzt genannte Werk scheint
wir trotz seines Naturalismus in eine bedenkliche Nähe des "Fühl von Strom¬
berg" u"d "Sturms von Boxberg" und andrer Ritterdramen zu geraten. Im
allgemeinen bin ich geneigt, Hnnptmann den Rang eines "partiellen," freilich
sehr Partiellen Genies zuzugestehen und der von ihm ausgebildeten Form des
naturalistischen Dramas eine relative und zeitliche Bedeutung, sodaß es zwar
die Tragödieuhöhe nie erreicht, aber doch als notdürftiger Ersatz für die ewige
Form dienen kann, eher jedenfalls als das von Sudermann und Genossen ge¬
pflegte Drama nach französischen Mustern.

Wir haben übrigens schon aus den Zeiten des Sturms und Dranges
von 1770 Werke, an die das naturalistische Drama der Gegenwart sehr stark
erinnert. Ich denke da nicht an Lenzens Stücke, die in mancher Beziehung ja
gewiß viel mit denen Hauptmanns gemein haben, und wäre es nur in der


Die Alten und die Jungen

Ära erklärt worden, von der Partei der Berliner Freien Bühne. Ich erinnere
mich, daß ich über das Stück, das seine ausgebildete naturalistische Technik
eingestandnermaßen dem Holz-Schlafschen „Papa Hamlet" verdankte, inhaltlich
aber vollständig von Tolstoys „Macht der Finsternis" abhängig ist, bei seinem
Erscheinen in starke Entrüstung geriet, umsomehr, als die „moderne" Kritik
an Schillers Auftreten mit den „Räubern" zu erinnern wagte. Daß das
durchaus aus Ausnahmeverhältnissen erwachsende und sich daher selbst von
seinem russischen Vorbild zu seinem Nachteil unterscheidende Drama des
Alkoholismus mit dem revolutionären Weltdrama des jungen Schillers auch
nicht die Spur gemein habe und niemals eine ähnliche Bedeutung erlangen
könne, war mir auf deu ersten Blick klar, wie überhaupt, daß Hauptmann nie
ein National-, schwerlich auch ein großer Dichter im Sinne Goethes, Schillers,
Grillparzers, Hebbels werden würde; dazu trug er zu ausgesprochen das Ge¬
präge der Absonderlichkeit. Daß sich jedoch auf seinem Wege die treue Dar¬
stellung gewisser Weltzustände, wenn auch nie ein wahres Weltbild erreichen
lasse, die große Begabung Hauptmanns, die Dinge der Wirklichkeit zu sehen
und mit technischer Meisterschaft wiederzugeben, entging mir damals uoch.
Sein zweites Drama, das „Friedensfest" mit seiner Sammlung von Jrren-
hauskcmdidaten konnte mir noch weniger imponiren als „Vor Sonnenaufgang,"
und auch die Nachahmung Ibsens „Einsame Menschen," die außerdem noch stark
von dem 1887 erschienenen Drama Hermann Bahrs „Die neuen Menschen"
abhängig war, ließ mich noch kühl. Erst die „Weber" mit ihrer unleugbar
gewaltigen Kraft und Wucht der Darstellung und „Kollege Crampton" mit
seiner Fülle seiner und wahrer Züge brachten mich Hauptmann nahe, und sein
„Hannele" konnte das zu ihm gewonnene Verhältnis wenigstens nicht wieder
aufheben, obwohl ich hier nicht mehr die alte naturalistische Folgerichtigkeit,
stellenweise selbst Konventionelles sand. Den „Biberpelz." dessen Entstehung
auf Kleists „Zerbrochnen Krug" zurückgeht, und endlich den „Florian Geyer"
habe ich noch nicht gründlich studiren können; das zuletzt genannte Werk scheint
wir trotz seines Naturalismus in eine bedenkliche Nähe des „Fühl von Strom¬
berg" u„d „Sturms von Boxberg" und andrer Ritterdramen zu geraten. Im
allgemeinen bin ich geneigt, Hnnptmann den Rang eines „partiellen," freilich
sehr Partiellen Genies zuzugestehen und der von ihm ausgebildeten Form des
naturalistischen Dramas eine relative und zeitliche Bedeutung, sodaß es zwar
die Tragödieuhöhe nie erreicht, aber doch als notdürftiger Ersatz für die ewige
Form dienen kann, eher jedenfalls als das von Sudermann und Genossen ge¬
pflegte Drama nach französischen Mustern.

Wir haben übrigens schon aus den Zeiten des Sturms und Dranges
von 1770 Werke, an die das naturalistische Drama der Gegenwart sehr stark
erinnert. Ich denke da nicht an Lenzens Stücke, die in mancher Beziehung ja
gewiß viel mit denen Hauptmanns gemein haben, und wäre es nur in der


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[0467] Die Alten und die Jungen Ära erklärt worden, von der Partei der Berliner Freien Bühne. Ich erinnere mich, daß ich über das Stück, das seine ausgebildete naturalistische Technik eingestandnermaßen dem Holz-Schlafschen „Papa Hamlet" verdankte, inhaltlich aber vollständig von Tolstoys „Macht der Finsternis" abhängig ist, bei seinem Erscheinen in starke Entrüstung geriet, umsomehr, als die „moderne" Kritik an Schillers Auftreten mit den „Räubern" zu erinnern wagte. Daß das durchaus aus Ausnahmeverhältnissen erwachsende und sich daher selbst von seinem russischen Vorbild zu seinem Nachteil unterscheidende Drama des Alkoholismus mit dem revolutionären Weltdrama des jungen Schillers auch nicht die Spur gemein habe und niemals eine ähnliche Bedeutung erlangen könne, war mir auf deu ersten Blick klar, wie überhaupt, daß Hauptmann nie ein National-, schwerlich auch ein großer Dichter im Sinne Goethes, Schillers, Grillparzers, Hebbels werden würde; dazu trug er zu ausgesprochen das Ge¬ präge der Absonderlichkeit. Daß sich jedoch auf seinem Wege die treue Dar¬ stellung gewisser Weltzustände, wenn auch nie ein wahres Weltbild erreichen lasse, die große Begabung Hauptmanns, die Dinge der Wirklichkeit zu sehen und mit technischer Meisterschaft wiederzugeben, entging mir damals uoch. Sein zweites Drama, das „Friedensfest" mit seiner Sammlung von Jrren- hauskcmdidaten konnte mir noch weniger imponiren als „Vor Sonnenaufgang," und auch die Nachahmung Ibsens „Einsame Menschen," die außerdem noch stark von dem 1887 erschienenen Drama Hermann Bahrs „Die neuen Menschen" abhängig war, ließ mich noch kühl. Erst die „Weber" mit ihrer unleugbar gewaltigen Kraft und Wucht der Darstellung und „Kollege Crampton" mit seiner Fülle seiner und wahrer Züge brachten mich Hauptmann nahe, und sein „Hannele" konnte das zu ihm gewonnene Verhältnis wenigstens nicht wieder aufheben, obwohl ich hier nicht mehr die alte naturalistische Folgerichtigkeit, stellenweise selbst Konventionelles sand. Den „Biberpelz." dessen Entstehung auf Kleists „Zerbrochnen Krug" zurückgeht, und endlich den „Florian Geyer" habe ich noch nicht gründlich studiren können; das zuletzt genannte Werk scheint wir trotz seines Naturalismus in eine bedenkliche Nähe des „Fühl von Strom¬ berg" u„d „Sturms von Boxberg" und andrer Ritterdramen zu geraten. Im allgemeinen bin ich geneigt, Hnnptmann den Rang eines „partiellen," freilich sehr Partiellen Genies zuzugestehen und der von ihm ausgebildeten Form des naturalistischen Dramas eine relative und zeitliche Bedeutung, sodaß es zwar die Tragödieuhöhe nie erreicht, aber doch als notdürftiger Ersatz für die ewige Form dienen kann, eher jedenfalls als das von Sudermann und Genossen ge¬ pflegte Drama nach französischen Mustern. Wir haben übrigens schon aus den Zeiten des Sturms und Dranges von 1770 Werke, an die das naturalistische Drama der Gegenwart sehr stark erinnert. Ich denke da nicht an Lenzens Stücke, die in mancher Beziehung ja gewiß viel mit denen Hauptmanns gemein haben, und wäre es nur in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/467>, abgerufen am 01.09.2024.