Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Die geographische Lage Deutschlands

Belgien sind gleich der Schweiz neutrcilisirt, doch ist Luxemburg als Glied
des deutschen Zollvereins und durch die deutsche Verwaltung wichtiger Teile
seines Eisenbahnnetzes enger mit Deutschland verbunden, wie es denn bis 1866
ein Glied des deutschen Bundes war und in den Mauern seiner Hauptstadt,
die für eine starke Festung galt, eine preußische Garnison aufnehmen mußte.
Mit der Schweiz teilt Luxemburg die wichtige Lage zum Reichsland, an dessen
Nordwestecke es wie ein schützender Prellstein hingestellt ist. Die gerade Linie
von Frankfurt nach Paris geht durch Luxemburg.

Von der Nordgrenze Luxemburgs bei Uflingen bis in die Gegend von
Aachen ist Belgien unser Nachbar, der uns von Frankreich, aber auch vom
Kanal trennt. Die Linie Köln-Paris schneidet Belgien, und Antwerpen liegt
gerade westlich von dem Gebiete der regsten Industrie und der dichtesten Be¬
völkerung unsers Düsseldorfer Bezirkes. Daher der sehr lebhafte deutsch-belgische
Verkehr, der nur dem französisch-belgischen nachsteht. Belgien ist ein überwiegend
germanisches, wenn auch leider überwiegend frcmzösirtes Land. Die von Osten
nach Antwerpen und Brüssel führenden Linien werden das nördliche vlämische
Belgien von selbst immer enger an Deutschland anschließen. Schon jetzt folgt
Antwerpen für den deutscheu Seeverkehr gleich auf Hamburg, Bremen, Stettin.
Von Aachen bis zum Dollart legen sich die Niederlande vor die Westseite
Deutschlands. Erst trennen sie Deutschland von der Maas und dann von den
Mündungen des Rheins, der von Emmerich an durch niederländisches Gebiet
fließt. Schlechte Grenze! Gleich Belgien trennt uns also auch dieser Nachbar
vom Meer, und ganz besonders kann Westfalen als das natürliche Hinterland
der Niederlande angesehen werden, wenn auch die kürzern Bahnverbindungen
mit Antwerpen die Verkehrsbedeutung des Rheins und der niederländischen
Hafen für Deutschland neuerdings etwas verdunkelt haben.

Nördlich von Österreich hat Deutschland nur uoch einem einzigen Nachbar
an seiner Ostseite, Nußland, der durch die eigentümliche Gestalt Nordvstdeutsch-
lands zugleich ein südlicher Nachbar von Thorn bis Lhck ist. Rußland ist der
größte und zugleich nach Geschichte und Kultur fremdeste Nachbar, den Deutsch¬
land hat. Sein nördlichster und südlichster Punkt ist Kap Nassau auf Nowcija
Semlja in 76°33' nördlicher Breite und Balaklawa auf Taurien 44° 29'. In
Asien reicht es aber südwärts bis 37". Nußland überragt also im Norden und
Süden Deutschland weit, eben so wie es unser Land an Größe übertrifft. Sein
Hinabragen nach Süden bedeutet ja für Deutschland wenig; daß es aber die
Ost- und Nordseite der Ostsee umfaßt, ist eine der wichtigsten Thatsachen in
der Nachbarschaft unsers Landes. Die gewaltige Tiefe, mit der sich Rußland
zwischen Deutschland und Asien legt, hat den für unsre ganze Kulturentwicklung
wichtigen westeuropäischen Zug in der deutschen Geschichte begünstigt. Daß
Rußland zwischen Deutschland und dem Stillen Ozean liegt, bedeutet einstweilen
so gut wie nichts. Der Bau der großen sibirischen Eisenbahn, die Moskau


Die geographische Lage Deutschlands

Belgien sind gleich der Schweiz neutrcilisirt, doch ist Luxemburg als Glied
des deutschen Zollvereins und durch die deutsche Verwaltung wichtiger Teile
seines Eisenbahnnetzes enger mit Deutschland verbunden, wie es denn bis 1866
ein Glied des deutschen Bundes war und in den Mauern seiner Hauptstadt,
die für eine starke Festung galt, eine preußische Garnison aufnehmen mußte.
Mit der Schweiz teilt Luxemburg die wichtige Lage zum Reichsland, an dessen
Nordwestecke es wie ein schützender Prellstein hingestellt ist. Die gerade Linie
von Frankfurt nach Paris geht durch Luxemburg.

Von der Nordgrenze Luxemburgs bei Uflingen bis in die Gegend von
Aachen ist Belgien unser Nachbar, der uns von Frankreich, aber auch vom
Kanal trennt. Die Linie Köln-Paris schneidet Belgien, und Antwerpen liegt
gerade westlich von dem Gebiete der regsten Industrie und der dichtesten Be¬
völkerung unsers Düsseldorfer Bezirkes. Daher der sehr lebhafte deutsch-belgische
Verkehr, der nur dem französisch-belgischen nachsteht. Belgien ist ein überwiegend
germanisches, wenn auch leider überwiegend frcmzösirtes Land. Die von Osten
nach Antwerpen und Brüssel führenden Linien werden das nördliche vlämische
Belgien von selbst immer enger an Deutschland anschließen. Schon jetzt folgt
Antwerpen für den deutscheu Seeverkehr gleich auf Hamburg, Bremen, Stettin.
Von Aachen bis zum Dollart legen sich die Niederlande vor die Westseite
Deutschlands. Erst trennen sie Deutschland von der Maas und dann von den
Mündungen des Rheins, der von Emmerich an durch niederländisches Gebiet
fließt. Schlechte Grenze! Gleich Belgien trennt uns also auch dieser Nachbar
vom Meer, und ganz besonders kann Westfalen als das natürliche Hinterland
der Niederlande angesehen werden, wenn auch die kürzern Bahnverbindungen
mit Antwerpen die Verkehrsbedeutung des Rheins und der niederländischen
Hafen für Deutschland neuerdings etwas verdunkelt haben.

Nördlich von Österreich hat Deutschland nur uoch einem einzigen Nachbar
an seiner Ostseite, Nußland, der durch die eigentümliche Gestalt Nordvstdeutsch-
lands zugleich ein südlicher Nachbar von Thorn bis Lhck ist. Rußland ist der
größte und zugleich nach Geschichte und Kultur fremdeste Nachbar, den Deutsch¬
land hat. Sein nördlichster und südlichster Punkt ist Kap Nassau auf Nowcija
Semlja in 76°33' nördlicher Breite und Balaklawa auf Taurien 44° 29'. In
Asien reicht es aber südwärts bis 37". Nußland überragt also im Norden und
Süden Deutschland weit, eben so wie es unser Land an Größe übertrifft. Sein
Hinabragen nach Süden bedeutet ja für Deutschland wenig; daß es aber die
Ost- und Nordseite der Ostsee umfaßt, ist eine der wichtigsten Thatsachen in
der Nachbarschaft unsers Landes. Die gewaltige Tiefe, mit der sich Rußland
zwischen Deutschland und Asien legt, hat den für unsre ganze Kulturentwicklung
wichtigen westeuropäischen Zug in der deutschen Geschichte begünstigt. Daß
Rußland zwischen Deutschland und dem Stillen Ozean liegt, bedeutet einstweilen
so gut wie nichts. Der Bau der großen sibirischen Eisenbahn, die Moskau


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223402"/>
          <fw type="header" place="top"> Die geographische Lage Deutschlands</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1300" prev="#ID_1299"> Belgien sind gleich der Schweiz neutrcilisirt, doch ist Luxemburg als Glied<lb/>
des deutschen Zollvereins und durch die deutsche Verwaltung wichtiger Teile<lb/>
seines Eisenbahnnetzes enger mit Deutschland verbunden, wie es denn bis 1866<lb/>
ein Glied des deutschen Bundes war und in den Mauern seiner Hauptstadt,<lb/>
die für eine starke Festung galt, eine preußische Garnison aufnehmen mußte.<lb/>
Mit der Schweiz teilt Luxemburg die wichtige Lage zum Reichsland, an dessen<lb/>
Nordwestecke es wie ein schützender Prellstein hingestellt ist. Die gerade Linie<lb/>
von Frankfurt nach Paris geht durch Luxemburg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301"> Von der Nordgrenze Luxemburgs bei Uflingen bis in die Gegend von<lb/>
Aachen ist Belgien unser Nachbar, der uns von Frankreich, aber auch vom<lb/>
Kanal trennt. Die Linie Köln-Paris schneidet Belgien, und Antwerpen liegt<lb/>
gerade westlich von dem Gebiete der regsten Industrie und der dichtesten Be¬<lb/>
völkerung unsers Düsseldorfer Bezirkes. Daher der sehr lebhafte deutsch-belgische<lb/>
Verkehr, der nur dem französisch-belgischen nachsteht. Belgien ist ein überwiegend<lb/>
germanisches, wenn auch leider überwiegend frcmzösirtes Land. Die von Osten<lb/>
nach Antwerpen und Brüssel führenden Linien werden das nördliche vlämische<lb/>
Belgien von selbst immer enger an Deutschland anschließen. Schon jetzt folgt<lb/>
Antwerpen für den deutscheu Seeverkehr gleich auf Hamburg, Bremen, Stettin.<lb/>
Von Aachen bis zum Dollart legen sich die Niederlande vor die Westseite<lb/>
Deutschlands. Erst trennen sie Deutschland von der Maas und dann von den<lb/>
Mündungen des Rheins, der von Emmerich an durch niederländisches Gebiet<lb/>
fließt. Schlechte Grenze! Gleich Belgien trennt uns also auch dieser Nachbar<lb/>
vom Meer, und ganz besonders kann Westfalen als das natürliche Hinterland<lb/>
der Niederlande angesehen werden, wenn auch die kürzern Bahnverbindungen<lb/>
mit Antwerpen die Verkehrsbedeutung des Rheins und der niederländischen<lb/>
Hafen für Deutschland neuerdings etwas verdunkelt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Nördlich von Österreich hat Deutschland nur uoch einem einzigen Nachbar<lb/>
an seiner Ostseite, Nußland, der durch die eigentümliche Gestalt Nordvstdeutsch-<lb/>
lands zugleich ein südlicher Nachbar von Thorn bis Lhck ist. Rußland ist der<lb/>
größte und zugleich nach Geschichte und Kultur fremdeste Nachbar, den Deutsch¬<lb/>
land hat. Sein nördlichster und südlichster Punkt ist Kap Nassau auf Nowcija<lb/>
Semlja in 76°33' nördlicher Breite und Balaklawa auf Taurien 44° 29'. In<lb/>
Asien reicht es aber südwärts bis 37". Nußland überragt also im Norden und<lb/>
Süden Deutschland weit, eben so wie es unser Land an Größe übertrifft. Sein<lb/>
Hinabragen nach Süden bedeutet ja für Deutschland wenig; daß es aber die<lb/>
Ost- und Nordseite der Ostsee umfaßt, ist eine der wichtigsten Thatsachen in<lb/>
der Nachbarschaft unsers Landes. Die gewaltige Tiefe, mit der sich Rußland<lb/>
zwischen Deutschland und Asien legt, hat den für unsre ganze Kulturentwicklung<lb/>
wichtigen westeuropäischen Zug in der deutschen Geschichte begünstigt. Daß<lb/>
Rußland zwischen Deutschland und dem Stillen Ozean liegt, bedeutet einstweilen<lb/>
so gut wie nichts.  Der Bau der großen sibirischen Eisenbahn, die Moskau</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0460] Die geographische Lage Deutschlands Belgien sind gleich der Schweiz neutrcilisirt, doch ist Luxemburg als Glied des deutschen Zollvereins und durch die deutsche Verwaltung wichtiger Teile seines Eisenbahnnetzes enger mit Deutschland verbunden, wie es denn bis 1866 ein Glied des deutschen Bundes war und in den Mauern seiner Hauptstadt, die für eine starke Festung galt, eine preußische Garnison aufnehmen mußte. Mit der Schweiz teilt Luxemburg die wichtige Lage zum Reichsland, an dessen Nordwestecke es wie ein schützender Prellstein hingestellt ist. Die gerade Linie von Frankfurt nach Paris geht durch Luxemburg. Von der Nordgrenze Luxemburgs bei Uflingen bis in die Gegend von Aachen ist Belgien unser Nachbar, der uns von Frankreich, aber auch vom Kanal trennt. Die Linie Köln-Paris schneidet Belgien, und Antwerpen liegt gerade westlich von dem Gebiete der regsten Industrie und der dichtesten Be¬ völkerung unsers Düsseldorfer Bezirkes. Daher der sehr lebhafte deutsch-belgische Verkehr, der nur dem französisch-belgischen nachsteht. Belgien ist ein überwiegend germanisches, wenn auch leider überwiegend frcmzösirtes Land. Die von Osten nach Antwerpen und Brüssel führenden Linien werden das nördliche vlämische Belgien von selbst immer enger an Deutschland anschließen. Schon jetzt folgt Antwerpen für den deutscheu Seeverkehr gleich auf Hamburg, Bremen, Stettin. Von Aachen bis zum Dollart legen sich die Niederlande vor die Westseite Deutschlands. Erst trennen sie Deutschland von der Maas und dann von den Mündungen des Rheins, der von Emmerich an durch niederländisches Gebiet fließt. Schlechte Grenze! Gleich Belgien trennt uns also auch dieser Nachbar vom Meer, und ganz besonders kann Westfalen als das natürliche Hinterland der Niederlande angesehen werden, wenn auch die kürzern Bahnverbindungen mit Antwerpen die Verkehrsbedeutung des Rheins und der niederländischen Hafen für Deutschland neuerdings etwas verdunkelt haben. Nördlich von Österreich hat Deutschland nur uoch einem einzigen Nachbar an seiner Ostseite, Nußland, der durch die eigentümliche Gestalt Nordvstdeutsch- lands zugleich ein südlicher Nachbar von Thorn bis Lhck ist. Rußland ist der größte und zugleich nach Geschichte und Kultur fremdeste Nachbar, den Deutsch¬ land hat. Sein nördlichster und südlichster Punkt ist Kap Nassau auf Nowcija Semlja in 76°33' nördlicher Breite und Balaklawa auf Taurien 44° 29'. In Asien reicht es aber südwärts bis 37". Nußland überragt also im Norden und Süden Deutschland weit, eben so wie es unser Land an Größe übertrifft. Sein Hinabragen nach Süden bedeutet ja für Deutschland wenig; daß es aber die Ost- und Nordseite der Ostsee umfaßt, ist eine der wichtigsten Thatsachen in der Nachbarschaft unsers Landes. Die gewaltige Tiefe, mit der sich Rußland zwischen Deutschland und Asien legt, hat den für unsre ganze Kulturentwicklung wichtigen westeuropäischen Zug in der deutschen Geschichte begünstigt. Daß Rußland zwischen Deutschland und dem Stillen Ozean liegt, bedeutet einstweilen so gut wie nichts. Der Bau der großen sibirischen Eisenbahn, die Moskau

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/460
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/460>, abgerufen am 01.09.2024.