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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein Preisausschreiben

Poetischer Natur oder für die besondern Kalenderzwecke. 10 von diesen 21 Er¬
zählungen waren Männer-, 11 Frauenarbeit -- worüber wir Männer uns
nicht allzu sehr betrüben wollen, da es sich ja nicht um geniale Erzeugnisse
handelt. Ich kann die Erzählungen hier nicht einzeln charakterisiren, will aber
bemerken, daß es meist eben die Erzählungen waren, die nichts wollten, die
aus reiner Freude am Leben, an dem zu Erzählenden erzählten -- ganz genau
dem Grundgesetz aller Kunst entsprechend. Natürlich wichen diese Erzählungen
sehr bedeutend von einander ab, kaum zwei, die auf demselben Schauplatz
spielten; ihrem Grundcharakter nach war eben jede individuell, wenn auch ge¬
legentlich schon früher benutzter Stoff verwendet wurde. Humoristisch waren
von diesen 21 Erzählungen nur zwei, beide auf dem Hintergründe bäurischen
Lebens gezeichnet, wenn auch in der einen die prächtige Gestalt eines katholischen
Geistlichen den Mittelpunkt bildete, und beide merkwürdigerweise aus Österreich
stammend. Der modernen naturalistischen Kunst konnte man vier oder fünf Er¬
zählungen zuzählen, alle wirkten verhältnismäßig düster und waren nicht ohne
häßliche und peinliche Dinge, führten aber doch zu einem erträglichen Aus¬
gang. So ist mir eine Erzählung im Gedächtnis geblieben, die mit psycho¬
logischer Kunst darstellt, wie eine Bauernfrau den Bruder ihres Mannes not¬
gedrungen heiratet, und wie dann daraus doch eine sittliche Ehe wird.

Ich will noch den einen oder den andern Vorzug dieser guten Erzählungen
hervorheben: hier war es das äußerst anschaulich geschilderte "Milieu," die
Volkssitte eingeschlossen, das -- bei mäßiger Erfindung -- die Erzählung aus¬
zeichnete, dort ein großartiger, für die Volksphantasie zweifellos ergreifender
"Effekt"; anderswo war die Wahrheit und Schlichtheit, mit der das Leben
einer Frau aus dem Volke dargestellt war, zu loben, und wiederum der ge¬
sunde soziale Sinn, der für die Schicksale eines Handwerkers, der böse Dinge
durchmacht, nicht zunächst die sozialen Verhältnisse, sondern den Jähzorn des
Mannes verantwortlich macht. Auch wie man im Leben hinauf- und herunter¬
kommt, wurde in mehreren Geschichten recht anschaulich entwickelt und nicht
vergessen, zu zeigen, welche Rolle die Frauen dabei im guten und bösen spielen.
Fein und natürlich wirkte eine Münchner Geschichte, die drohende Gefahr des
Verbnmmelns in der Großstadt und ihre Abwendung durch ein frommes Ge-
birgskind darstellend; eigen, fast seltsam erschien die Geschichte eines rheinischen
Schmiedsohns, der durch ein Verbrechen seines Vaters aus der studentischen
Laufbahn gerissen wird. Mehrere Geschichten zeichneten sich durch prächtige
Charakteristik aus, so namentlich eine von der Rauben Alp, in der das Geschick
eines Bauern und seiner Tochter mit einer Quelle verflochten war. Kurz,
diese 21 Erzählungen waren immerhin ein erfreuliches Ergebnis des Preis-
ausschrcibens; sie wurden, wo nicht äußere Gründe, wie Umfang u. dergl., im
Wege standen, von der Verlagsbuchhandlung erworben. Wer den Preis er¬
halten hat, wird erst der Kalender für 1897 verraten.


Ein Preisausschreiben

Poetischer Natur oder für die besondern Kalenderzwecke. 10 von diesen 21 Er¬
zählungen waren Männer-, 11 Frauenarbeit — worüber wir Männer uns
nicht allzu sehr betrüben wollen, da es sich ja nicht um geniale Erzeugnisse
handelt. Ich kann die Erzählungen hier nicht einzeln charakterisiren, will aber
bemerken, daß es meist eben die Erzählungen waren, die nichts wollten, die
aus reiner Freude am Leben, an dem zu Erzählenden erzählten — ganz genau
dem Grundgesetz aller Kunst entsprechend. Natürlich wichen diese Erzählungen
sehr bedeutend von einander ab, kaum zwei, die auf demselben Schauplatz
spielten; ihrem Grundcharakter nach war eben jede individuell, wenn auch ge¬
legentlich schon früher benutzter Stoff verwendet wurde. Humoristisch waren
von diesen 21 Erzählungen nur zwei, beide auf dem Hintergründe bäurischen
Lebens gezeichnet, wenn auch in der einen die prächtige Gestalt eines katholischen
Geistlichen den Mittelpunkt bildete, und beide merkwürdigerweise aus Österreich
stammend. Der modernen naturalistischen Kunst konnte man vier oder fünf Er¬
zählungen zuzählen, alle wirkten verhältnismäßig düster und waren nicht ohne
häßliche und peinliche Dinge, führten aber doch zu einem erträglichen Aus¬
gang. So ist mir eine Erzählung im Gedächtnis geblieben, die mit psycho¬
logischer Kunst darstellt, wie eine Bauernfrau den Bruder ihres Mannes not¬
gedrungen heiratet, und wie dann daraus doch eine sittliche Ehe wird.

Ich will noch den einen oder den andern Vorzug dieser guten Erzählungen
hervorheben: hier war es das äußerst anschaulich geschilderte „Milieu," die
Volkssitte eingeschlossen, das — bei mäßiger Erfindung — die Erzählung aus¬
zeichnete, dort ein großartiger, für die Volksphantasie zweifellos ergreifender
„Effekt"; anderswo war die Wahrheit und Schlichtheit, mit der das Leben
einer Frau aus dem Volke dargestellt war, zu loben, und wiederum der ge¬
sunde soziale Sinn, der für die Schicksale eines Handwerkers, der böse Dinge
durchmacht, nicht zunächst die sozialen Verhältnisse, sondern den Jähzorn des
Mannes verantwortlich macht. Auch wie man im Leben hinauf- und herunter¬
kommt, wurde in mehreren Geschichten recht anschaulich entwickelt und nicht
vergessen, zu zeigen, welche Rolle die Frauen dabei im guten und bösen spielen.
Fein und natürlich wirkte eine Münchner Geschichte, die drohende Gefahr des
Verbnmmelns in der Großstadt und ihre Abwendung durch ein frommes Ge-
birgskind darstellend; eigen, fast seltsam erschien die Geschichte eines rheinischen
Schmiedsohns, der durch ein Verbrechen seines Vaters aus der studentischen
Laufbahn gerissen wird. Mehrere Geschichten zeichneten sich durch prächtige
Charakteristik aus, so namentlich eine von der Rauben Alp, in der das Geschick
eines Bauern und seiner Tochter mit einer Quelle verflochten war. Kurz,
diese 21 Erzählungen waren immerhin ein erfreuliches Ergebnis des Preis-
ausschrcibens; sie wurden, wo nicht äußere Gründe, wie Umfang u. dergl., im
Wege standen, von der Verlagsbuchhandlung erworben. Wer den Preis er¬
halten hat, wird erst der Kalender für 1897 verraten.


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[0045] Ein Preisausschreiben Poetischer Natur oder für die besondern Kalenderzwecke. 10 von diesen 21 Er¬ zählungen waren Männer-, 11 Frauenarbeit — worüber wir Männer uns nicht allzu sehr betrüben wollen, da es sich ja nicht um geniale Erzeugnisse handelt. Ich kann die Erzählungen hier nicht einzeln charakterisiren, will aber bemerken, daß es meist eben die Erzählungen waren, die nichts wollten, die aus reiner Freude am Leben, an dem zu Erzählenden erzählten — ganz genau dem Grundgesetz aller Kunst entsprechend. Natürlich wichen diese Erzählungen sehr bedeutend von einander ab, kaum zwei, die auf demselben Schauplatz spielten; ihrem Grundcharakter nach war eben jede individuell, wenn auch ge¬ legentlich schon früher benutzter Stoff verwendet wurde. Humoristisch waren von diesen 21 Erzählungen nur zwei, beide auf dem Hintergründe bäurischen Lebens gezeichnet, wenn auch in der einen die prächtige Gestalt eines katholischen Geistlichen den Mittelpunkt bildete, und beide merkwürdigerweise aus Österreich stammend. Der modernen naturalistischen Kunst konnte man vier oder fünf Er¬ zählungen zuzählen, alle wirkten verhältnismäßig düster und waren nicht ohne häßliche und peinliche Dinge, führten aber doch zu einem erträglichen Aus¬ gang. So ist mir eine Erzählung im Gedächtnis geblieben, die mit psycho¬ logischer Kunst darstellt, wie eine Bauernfrau den Bruder ihres Mannes not¬ gedrungen heiratet, und wie dann daraus doch eine sittliche Ehe wird. Ich will noch den einen oder den andern Vorzug dieser guten Erzählungen hervorheben: hier war es das äußerst anschaulich geschilderte „Milieu," die Volkssitte eingeschlossen, das — bei mäßiger Erfindung — die Erzählung aus¬ zeichnete, dort ein großartiger, für die Volksphantasie zweifellos ergreifender „Effekt"; anderswo war die Wahrheit und Schlichtheit, mit der das Leben einer Frau aus dem Volke dargestellt war, zu loben, und wiederum der ge¬ sunde soziale Sinn, der für die Schicksale eines Handwerkers, der böse Dinge durchmacht, nicht zunächst die sozialen Verhältnisse, sondern den Jähzorn des Mannes verantwortlich macht. Auch wie man im Leben hinauf- und herunter¬ kommt, wurde in mehreren Geschichten recht anschaulich entwickelt und nicht vergessen, zu zeigen, welche Rolle die Frauen dabei im guten und bösen spielen. Fein und natürlich wirkte eine Münchner Geschichte, die drohende Gefahr des Verbnmmelns in der Großstadt und ihre Abwendung durch ein frommes Ge- birgskind darstellend; eigen, fast seltsam erschien die Geschichte eines rheinischen Schmiedsohns, der durch ein Verbrechen seines Vaters aus der studentischen Laufbahn gerissen wird. Mehrere Geschichten zeichneten sich durch prächtige Charakteristik aus, so namentlich eine von der Rauben Alp, in der das Geschick eines Bauern und seiner Tochter mit einer Quelle verflochten war. Kurz, diese 21 Erzählungen waren immerhin ein erfreuliches Ergebnis des Preis- ausschrcibens; sie wurden, wo nicht äußere Gründe, wie Umfang u. dergl., im Wege standen, von der Verlagsbuchhandlung erworben. Wer den Preis er¬ halten hat, wird erst der Kalender für 1897 verraten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/45>, abgerufen am 01.09.2024.