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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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ohne andre Wirkung geblieben, als die, gelegentlich nütschasiende Talente an¬
zuregen. Heute ist er nur als Schlachteuschilderer weitern Kreisen bekannt,
und darauf scheint sein Ruhm auch beschränkt bleiben zu sollen. Auch
M. G. Courcids Dichterruhm ist nicht sonderlich bedeutend, der Dichter und
der Publizist haben in ihm immer in Streit gelegen. Er ist klarer als
Bleibtreu, aber er hat eine etwas erhitzte kraft- und biedermaierische Manier,
die nicht nach jedermanns Geschmack ist. Als Dichter steht er Zola uicht fern;
einzelne seiner energischen naturalistischen Skizzen werden vielleicht bleiben.
Neuerdings ist er, was der Merkwürdigkeit halber zu erwähnen ist, Reichs-
tagsabgeordneter geworden und gehört der süddeutschen Volkspartei an. Von
den Lyrikern unter den "Modernen Dichtercharakteren" sind außer Conradi
Wilhelm Arme, Arno Holz und Karl Henclell zu erwähnen, denen ich gleich
Maurice Reinhold von Stern und John Henry Mackay anschließe. Arme
(geb. 1864 zu Berlin) ist durchaus Deeadeueemensch, und es ist ihm, obgleich
er zwanzig Gedichtsammlungen herausgegeben hat, nur hie und da ein echt
lyrisches Gedicht gelungen; er gehört auch schon zu den Vergessenen. Arno
Holz (geb. 1863 zu Rasteuburg) war von Haus aus Geibelianer, schlug aber
mit dem 1885 erschienenen "Buch der Zeit" stofflich die Wege Becks und
Georg Herweghs ein; später ward er mit Johannes Schlaf (geb. 1862 zu
Querfurt) der Begründer des folgerechten deutschen Naturalismus. Karl
Henckell (geb. 1864 in Hannover) und Maurice Reinhold von Stern (geb.
1860 in Reval) waren die revolutionären Sänger des jüngsten Deutschlands,
zeigten aber auch harmlosere lyrische Talente und haben sich heute vom
Sturm und Drang einigermaßen freigemacht. Mackay (geb. 1864 zu Grcenock
in Schottland) kam früh vom Sozialismus zum idealen Anarchismus und
hat in Gedichten und Skizzen ein zartes Talent gezeigt. Alle diese Dichter
haben Verdienste um die deutsche Lyrik, die sie den konventionellen Pfaden
entrissen, farbiger und frischer gemacht haben; es sind zum Teil die Pleinairisten
und die Armeleutmaler unsrer Litteratur. Ein an das Höchste hinan-
reicheudes lyrisches Talent ist aber kaum unter ihnen, nud sie werden sich
begnügen müssen, mit einigen schönen Gedichten in die Anthologien der Zukunft
zu kommen.

Hier wäre nun auch Liliencron (Detlev Freiherr von Liliencron, geb. 1844
zu Kiel) noch einmal zu erwähnen, der einzige der neuesten Lyriker, der für
weitere Kreise auch eine Persönlichkeit ist. Spät zur Litteratur gekommen,
hat er mit seinen "Adjutauteuritten" (1884) noch den Beifall Theodor Storms
gefunden, und wenn er auch diese Sammlung durch die spätern nicht über¬
troffen hat, so hat er doch noch durch einzelne novellistische Skizzen ein großes
Naturschilderungstalent, das um das Turgenjews erinnert, bewiesen. Ich habe
schon bemerkt, daß ich ihn nicht frei von einem bestimmten Naturburschentum
finde, er posirt und hat jetzt auch Manier; aber im ganzen ist er doch ein


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ohne andre Wirkung geblieben, als die, gelegentlich nütschasiende Talente an¬
zuregen. Heute ist er nur als Schlachteuschilderer weitern Kreisen bekannt,
und darauf scheint sein Ruhm auch beschränkt bleiben zu sollen. Auch
M. G. Courcids Dichterruhm ist nicht sonderlich bedeutend, der Dichter und
der Publizist haben in ihm immer in Streit gelegen. Er ist klarer als
Bleibtreu, aber er hat eine etwas erhitzte kraft- und biedermaierische Manier,
die nicht nach jedermanns Geschmack ist. Als Dichter steht er Zola uicht fern;
einzelne seiner energischen naturalistischen Skizzen werden vielleicht bleiben.
Neuerdings ist er, was der Merkwürdigkeit halber zu erwähnen ist, Reichs-
tagsabgeordneter geworden und gehört der süddeutschen Volkspartei an. Von
den Lyrikern unter den „Modernen Dichtercharakteren" sind außer Conradi
Wilhelm Arme, Arno Holz und Karl Henclell zu erwähnen, denen ich gleich
Maurice Reinhold von Stern und John Henry Mackay anschließe. Arme
(geb. 1864 zu Berlin) ist durchaus Deeadeueemensch, und es ist ihm, obgleich
er zwanzig Gedichtsammlungen herausgegeben hat, nur hie und da ein echt
lyrisches Gedicht gelungen; er gehört auch schon zu den Vergessenen. Arno
Holz (geb. 1863 zu Rasteuburg) war von Haus aus Geibelianer, schlug aber
mit dem 1885 erschienenen „Buch der Zeit" stofflich die Wege Becks und
Georg Herweghs ein; später ward er mit Johannes Schlaf (geb. 1862 zu
Querfurt) der Begründer des folgerechten deutschen Naturalismus. Karl
Henckell (geb. 1864 in Hannover) und Maurice Reinhold von Stern (geb.
1860 in Reval) waren die revolutionären Sänger des jüngsten Deutschlands,
zeigten aber auch harmlosere lyrische Talente und haben sich heute vom
Sturm und Drang einigermaßen freigemacht. Mackay (geb. 1864 zu Grcenock
in Schottland) kam früh vom Sozialismus zum idealen Anarchismus und
hat in Gedichten und Skizzen ein zartes Talent gezeigt. Alle diese Dichter
haben Verdienste um die deutsche Lyrik, die sie den konventionellen Pfaden
entrissen, farbiger und frischer gemacht haben; es sind zum Teil die Pleinairisten
und die Armeleutmaler unsrer Litteratur. Ein an das Höchste hinan-
reicheudes lyrisches Talent ist aber kaum unter ihnen, nud sie werden sich
begnügen müssen, mit einigen schönen Gedichten in die Anthologien der Zukunft
zu kommen.

Hier wäre nun auch Liliencron (Detlev Freiherr von Liliencron, geb. 1844
zu Kiel) noch einmal zu erwähnen, der einzige der neuesten Lyriker, der für
weitere Kreise auch eine Persönlichkeit ist. Spät zur Litteratur gekommen,
hat er mit seinen „Adjutauteuritten" (1884) noch den Beifall Theodor Storms
gefunden, und wenn er auch diese Sammlung durch die spätern nicht über¬
troffen hat, so hat er doch noch durch einzelne novellistische Skizzen ein großes
Naturschilderungstalent, das um das Turgenjews erinnert, bewiesen. Ich habe
schon bemerkt, daß ich ihn nicht frei von einem bestimmten Naturburschentum
finde, er posirt und hat jetzt auch Manier; aber im ganzen ist er doch ein


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[0431] Die Alten und die Junge» ohne andre Wirkung geblieben, als die, gelegentlich nütschasiende Talente an¬ zuregen. Heute ist er nur als Schlachteuschilderer weitern Kreisen bekannt, und darauf scheint sein Ruhm auch beschränkt bleiben zu sollen. Auch M. G. Courcids Dichterruhm ist nicht sonderlich bedeutend, der Dichter und der Publizist haben in ihm immer in Streit gelegen. Er ist klarer als Bleibtreu, aber er hat eine etwas erhitzte kraft- und biedermaierische Manier, die nicht nach jedermanns Geschmack ist. Als Dichter steht er Zola uicht fern; einzelne seiner energischen naturalistischen Skizzen werden vielleicht bleiben. Neuerdings ist er, was der Merkwürdigkeit halber zu erwähnen ist, Reichs- tagsabgeordneter geworden und gehört der süddeutschen Volkspartei an. Von den Lyrikern unter den „Modernen Dichtercharakteren" sind außer Conradi Wilhelm Arme, Arno Holz und Karl Henclell zu erwähnen, denen ich gleich Maurice Reinhold von Stern und John Henry Mackay anschließe. Arme (geb. 1864 zu Berlin) ist durchaus Deeadeueemensch, und es ist ihm, obgleich er zwanzig Gedichtsammlungen herausgegeben hat, nur hie und da ein echt lyrisches Gedicht gelungen; er gehört auch schon zu den Vergessenen. Arno Holz (geb. 1863 zu Rasteuburg) war von Haus aus Geibelianer, schlug aber mit dem 1885 erschienenen „Buch der Zeit" stofflich die Wege Becks und Georg Herweghs ein; später ward er mit Johannes Schlaf (geb. 1862 zu Querfurt) der Begründer des folgerechten deutschen Naturalismus. Karl Henckell (geb. 1864 in Hannover) und Maurice Reinhold von Stern (geb. 1860 in Reval) waren die revolutionären Sänger des jüngsten Deutschlands, zeigten aber auch harmlosere lyrische Talente und haben sich heute vom Sturm und Drang einigermaßen freigemacht. Mackay (geb. 1864 zu Grcenock in Schottland) kam früh vom Sozialismus zum idealen Anarchismus und hat in Gedichten und Skizzen ein zartes Talent gezeigt. Alle diese Dichter haben Verdienste um die deutsche Lyrik, die sie den konventionellen Pfaden entrissen, farbiger und frischer gemacht haben; es sind zum Teil die Pleinairisten und die Armeleutmaler unsrer Litteratur. Ein an das Höchste hinan- reicheudes lyrisches Talent ist aber kaum unter ihnen, nud sie werden sich begnügen müssen, mit einigen schönen Gedichten in die Anthologien der Zukunft zu kommen. Hier wäre nun auch Liliencron (Detlev Freiherr von Liliencron, geb. 1844 zu Kiel) noch einmal zu erwähnen, der einzige der neuesten Lyriker, der für weitere Kreise auch eine Persönlichkeit ist. Spät zur Litteratur gekommen, hat er mit seinen „Adjutauteuritten" (1884) noch den Beifall Theodor Storms gefunden, und wenn er auch diese Sammlung durch die spätern nicht über¬ troffen hat, so hat er doch noch durch einzelne novellistische Skizzen ein großes Naturschilderungstalent, das um das Turgenjews erinnert, bewiesen. Ich habe schon bemerkt, daß ich ihn nicht frei von einem bestimmten Naturburschentum finde, er posirt und hat jetzt auch Manier; aber im ganzen ist er doch ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/431>, abgerufen am 01.09.2024.