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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

manches einwenden, doch wollten wir die Ansicht des Verfassers über die Art,
wie unsre Kolonien möglicherweise nutzbar gemacht werden könnten, unsern
Lesern uicht vorenthalten, da das eben die bisher noch ungelöste Hauptfrage
unsrer Kolonialpolitik ist.

Zum Schluß heben wir aus dem merkwürdige" Buche noch einige Punkte
von untergeordneter Bedeutung hervor, die uns besonders aufgefallen sind.
Der Verfasser findet gleich den meisten Kennern Spaniens, daß sich alle spanischen
Regierungen seit der Vertreibung der Maurer durch ihre Unvernunft in
volkswirtschaftlichen Dingen ausgezeichnet haben, und das es die heutige
parlamentarische Regierung des Landes nicht besser mache als ihre Vor¬
gängerinnen. In einer Anekdote aus der Zeit Almansors werde ein Statt¬
halter erwähnt, der an den Minister über Dünger berichte; seitdem werde das
Wort Dünger in einer Korrespondenz zwischen Minister und Statthalter
schwerlich noch einmal vorgekommen sein. Statt dem Landbau die nötige
Pflege zuzuwenden, begnüge sich der Parlamentarismus damit, im Interesse
der besitzenden Klassen den Grundbesitz zu entlasten, die Landarbeiter dnrch
harten Druck zur Verzweiflung zu treiben, die Industrie samt Fabrikelend,
namentlich in Barcelona, künstlich zu fördern und so den gemeinen Mann
zum Anarchisten zu machen. Es sei kaum zu hoffen, daß sich Spanien auf
seine bessere Vergangenheit besinne "und seinen Ruhm uicht länger in den
Greueln der Pizarro sehe, sondern in den friedlichen Errungenschaften des
fleißigen Gürtuers, wie einst zu den Zeiten der Kalifen zu Cordova." Dagegen
meint er, Südamerika habe den Spaniern und der katholischen Kirche so
manches zu verdanken, und die "Befreiung" sei für den schönen Erdteil
kein Glück gewesen; die selbstgewählten Regierungen leisteten weniger als
ehemals die spanischen Statthalter. Nun, vielleicht würden Deutsche die Sache
besser machen, und wenn nicht im spanischen, so hätte es doch im portugiesischen
Teile dazu kommen können. Leider habe Deutschland hier den Anschluß
verfehlt; "gerade zu einer Zeit, wo ein kräftiger Zufluß dem deutschen Elemente
zur Prnpvndcranz(!) hätte helfen können, schnitt eine gutgemeinte, aber fehler¬
hafte büreaukratische Maßregel die weitere Einwanderung ab."

Hahn findet es (S. 78 und 493) sonderbar, daß sich die Chinesen trotz
der Nachbarschaft der von Nomaden bewohnten Steppen nicht zum Milch¬
genuß hätten "bekehren" lassen. Wer hat sie denn bekehren wollen? Die
Erklärung der Thatsache, daß die Chinesen keine Milchtrinker sind, scheint doch
nahe genug zu liegen. In ihrer niedlichen Gartenwirtschaft ist für großes
Vieh, namentlich für Rinder kein Platz und bei vorherrschendem Spatenban
wenig Verwendung, an ausgedehnte Weidewirtschaft natürlich gar nicht zu
denken. Da demnach die Milch selten und teuer ist, kauu sie kein Volks¬
getränk sein, und was man nicht gewohnt ist, mag man meistens nicht, wenn
es einem anderswo dargeboten wird. Die geographische Nachbarschaft der


Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

manches einwenden, doch wollten wir die Ansicht des Verfassers über die Art,
wie unsre Kolonien möglicherweise nutzbar gemacht werden könnten, unsern
Lesern uicht vorenthalten, da das eben die bisher noch ungelöste Hauptfrage
unsrer Kolonialpolitik ist.

Zum Schluß heben wir aus dem merkwürdige« Buche noch einige Punkte
von untergeordneter Bedeutung hervor, die uns besonders aufgefallen sind.
Der Verfasser findet gleich den meisten Kennern Spaniens, daß sich alle spanischen
Regierungen seit der Vertreibung der Maurer durch ihre Unvernunft in
volkswirtschaftlichen Dingen ausgezeichnet haben, und das es die heutige
parlamentarische Regierung des Landes nicht besser mache als ihre Vor¬
gängerinnen. In einer Anekdote aus der Zeit Almansors werde ein Statt¬
halter erwähnt, der an den Minister über Dünger berichte; seitdem werde das
Wort Dünger in einer Korrespondenz zwischen Minister und Statthalter
schwerlich noch einmal vorgekommen sein. Statt dem Landbau die nötige
Pflege zuzuwenden, begnüge sich der Parlamentarismus damit, im Interesse
der besitzenden Klassen den Grundbesitz zu entlasten, die Landarbeiter dnrch
harten Druck zur Verzweiflung zu treiben, die Industrie samt Fabrikelend,
namentlich in Barcelona, künstlich zu fördern und so den gemeinen Mann
zum Anarchisten zu machen. Es sei kaum zu hoffen, daß sich Spanien auf
seine bessere Vergangenheit besinne „und seinen Ruhm uicht länger in den
Greueln der Pizarro sehe, sondern in den friedlichen Errungenschaften des
fleißigen Gürtuers, wie einst zu den Zeiten der Kalifen zu Cordova." Dagegen
meint er, Südamerika habe den Spaniern und der katholischen Kirche so
manches zu verdanken, und die „Befreiung" sei für den schönen Erdteil
kein Glück gewesen; die selbstgewählten Regierungen leisteten weniger als
ehemals die spanischen Statthalter. Nun, vielleicht würden Deutsche die Sache
besser machen, und wenn nicht im spanischen, so hätte es doch im portugiesischen
Teile dazu kommen können. Leider habe Deutschland hier den Anschluß
verfehlt; „gerade zu einer Zeit, wo ein kräftiger Zufluß dem deutschen Elemente
zur Prnpvndcranz(!) hätte helfen können, schnitt eine gutgemeinte, aber fehler¬
hafte büreaukratische Maßregel die weitere Einwanderung ab."

Hahn findet es (S. 78 und 493) sonderbar, daß sich die Chinesen trotz
der Nachbarschaft der von Nomaden bewohnten Steppen nicht zum Milch¬
genuß hätten „bekehren" lassen. Wer hat sie denn bekehren wollen? Die
Erklärung der Thatsache, daß die Chinesen keine Milchtrinker sind, scheint doch
nahe genug zu liegen. In ihrer niedlichen Gartenwirtschaft ist für großes
Vieh, namentlich für Rinder kein Platz und bei vorherrschendem Spatenban
wenig Verwendung, an ausgedehnte Weidewirtschaft natürlich gar nicht zu
denken. Da demnach die Milch selten und teuer ist, kauu sie kein Volks¬
getränk sein, und was man nicht gewohnt ist, mag man meistens nicht, wenn
es einem anderswo dargeboten wird. Die geographische Nachbarschaft der


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[0416] Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker manches einwenden, doch wollten wir die Ansicht des Verfassers über die Art, wie unsre Kolonien möglicherweise nutzbar gemacht werden könnten, unsern Lesern uicht vorenthalten, da das eben die bisher noch ungelöste Hauptfrage unsrer Kolonialpolitik ist. Zum Schluß heben wir aus dem merkwürdige« Buche noch einige Punkte von untergeordneter Bedeutung hervor, die uns besonders aufgefallen sind. Der Verfasser findet gleich den meisten Kennern Spaniens, daß sich alle spanischen Regierungen seit der Vertreibung der Maurer durch ihre Unvernunft in volkswirtschaftlichen Dingen ausgezeichnet haben, und das es die heutige parlamentarische Regierung des Landes nicht besser mache als ihre Vor¬ gängerinnen. In einer Anekdote aus der Zeit Almansors werde ein Statt¬ halter erwähnt, der an den Minister über Dünger berichte; seitdem werde das Wort Dünger in einer Korrespondenz zwischen Minister und Statthalter schwerlich noch einmal vorgekommen sein. Statt dem Landbau die nötige Pflege zuzuwenden, begnüge sich der Parlamentarismus damit, im Interesse der besitzenden Klassen den Grundbesitz zu entlasten, die Landarbeiter dnrch harten Druck zur Verzweiflung zu treiben, die Industrie samt Fabrikelend, namentlich in Barcelona, künstlich zu fördern und so den gemeinen Mann zum Anarchisten zu machen. Es sei kaum zu hoffen, daß sich Spanien auf seine bessere Vergangenheit besinne „und seinen Ruhm uicht länger in den Greueln der Pizarro sehe, sondern in den friedlichen Errungenschaften des fleißigen Gürtuers, wie einst zu den Zeiten der Kalifen zu Cordova." Dagegen meint er, Südamerika habe den Spaniern und der katholischen Kirche so manches zu verdanken, und die „Befreiung" sei für den schönen Erdteil kein Glück gewesen; die selbstgewählten Regierungen leisteten weniger als ehemals die spanischen Statthalter. Nun, vielleicht würden Deutsche die Sache besser machen, und wenn nicht im spanischen, so hätte es doch im portugiesischen Teile dazu kommen können. Leider habe Deutschland hier den Anschluß verfehlt; „gerade zu einer Zeit, wo ein kräftiger Zufluß dem deutschen Elemente zur Prnpvndcranz(!) hätte helfen können, schnitt eine gutgemeinte, aber fehler¬ hafte büreaukratische Maßregel die weitere Einwanderung ab." Hahn findet es (S. 78 und 493) sonderbar, daß sich die Chinesen trotz der Nachbarschaft der von Nomaden bewohnten Steppen nicht zum Milch¬ genuß hätten „bekehren" lassen. Wer hat sie denn bekehren wollen? Die Erklärung der Thatsache, daß die Chinesen keine Milchtrinker sind, scheint doch nahe genug zu liegen. In ihrer niedlichen Gartenwirtschaft ist für großes Vieh, namentlich für Rinder kein Platz und bei vorherrschendem Spatenban wenig Verwendung, an ausgedehnte Weidewirtschaft natürlich gar nicht zu denken. Da demnach die Milch selten und teuer ist, kauu sie kein Volks¬ getränk sein, und was man nicht gewohnt ist, mag man meistens nicht, wenn es einem anderswo dargeboten wird. Die geographische Nachbarschaft der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/416>, abgerufen am 01.09.2024.