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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

Es ist merkwürdig, daß Hahn die Gewinnung von Baumfrüchten mir
einmal beiläufig erwähnt, denn das ist doch sowohl "ach der Darwinischen
Hypothese wie nach der biblischen Überlieferung die allererste, die ursprüngliche
Wirtschaftsform gewesen. Auch lehrt uns Überlegung, daß der Mensch nur
in einer Gegend, wo er das ganze Jahr über leicht zu gewinnende eßbare
Früchte fand, entstanden sein kann. Ist der Mensch aus einem Klcttertiere
entstanden, so sind das Baumfrüchte gewesen. Denken wir ihn uns bald von
Anfang an mit richtigen Menschenfüßen versehen, so werden es nicht zu hoch
hängende Früchte kraut- und strauchartiger Pflanzen, namentlich die der ver-
schiednen Musaarten gewesen sein, auf die er zunächst angewiesen war; er wird
auch schon diesen Pflanzen eine gewisse Pflege widmen gelernt haben, ehe er
die eßbaren Knollen entdeckte.

Hahn beklagt es, daß die Wirtschaftsformen der orientalischen und der
afrikanischen Völker, sowie der amerikanischen Kulturvölker, die von den Euro¬
päern teils ausgerottet, teils in der Fortbildung ihrer Kultur gehindert worden
sind, viel zu wenig beachtet würden, und daß mit der Vernachlässigung der
kultnrgeographischen Theorie unverantwortliche praktische Nachlässigkeit Hand
in Hand gehe. Insbesondre gelte das von dem Ackerbau mit Bewässerung,
auf den in einer Vorlesung hingewiesen zu haben das Verdienst Richthofens
sei. "Der Ackerbau mit Bewässerung unterscheidet sich von unserm gewöhn¬
lichen Ackerbau dadurch, daß er das nötige Vegctationswasfer für das Getreide¬
feld nicht vom Regen erwartet, sondern es durch Kunstbauten zuleitet. Unsre
Getreidearten weichen darin weit vom ursprünglich chinesischen Reis ab, daß
dieser eine Sumpfpflanze ist, unsre Gctreidegräser aber xerophil j^d. h. Trocken¬
heit liebend^ sind, also vermutlich Steppenpflanzen waren. Sie beanspruche"
nur für den Beginn der Vegetationsperiode eine durchgreifende Feuchtigkeit
und können nachher ziemlich lange Trockenperioden ertragen. Vom Gartenbau
unterscheidet sich dieser Ackerbau mit Bewässerung scharf genug, wenn natürlich
auch hier Übergänge vorhanden sind. Der Gartenbau, der mit seinem Gemüse
einen viel stärkern Fruchtwechsel treiben kann, erfordert auch eine stete Zufuhr
von Wasser. Aber der Gartenbau arbeitet mit viel kleinern Arealen; beim
Bewässerungsackerban handelt es sich immerhin um Felder, wenn auch der
technischen Schwierigkeiten halber die Feldstücke unter Umstände" nur klein
sind. Dieser Ackerbau mit Bewässerung ist nach Nichthofen die gegebne Kultur-
svrm für Länder mit Schneegebirgen im Rücken, wie in Turkestan, oder mit
Wasserznfnhr von höhern Gebirgen, die näher oder ferner sein können. Die
Musterländer für diesen Betrieb sind natürlich Ägypten und Vabylonien; das
letztere jetzt leider ein Beweis dafür, wie ein solches Land nicht aussehen soll....
Nach Nichthofen ist die höchste Wirtschaftsmethode die, die den Menschen am
unabhängigsten von allen äußern Faktoren stellt. Und unsre scheinbar so hoch
stehende, wissenschaftlich auch fortgeschrittue Landwirtschaft ist ganz und gar


Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker

Es ist merkwürdig, daß Hahn die Gewinnung von Baumfrüchten mir
einmal beiläufig erwähnt, denn das ist doch sowohl »ach der Darwinischen
Hypothese wie nach der biblischen Überlieferung die allererste, die ursprüngliche
Wirtschaftsform gewesen. Auch lehrt uns Überlegung, daß der Mensch nur
in einer Gegend, wo er das ganze Jahr über leicht zu gewinnende eßbare
Früchte fand, entstanden sein kann. Ist der Mensch aus einem Klcttertiere
entstanden, so sind das Baumfrüchte gewesen. Denken wir ihn uns bald von
Anfang an mit richtigen Menschenfüßen versehen, so werden es nicht zu hoch
hängende Früchte kraut- und strauchartiger Pflanzen, namentlich die der ver-
schiednen Musaarten gewesen sein, auf die er zunächst angewiesen war; er wird
auch schon diesen Pflanzen eine gewisse Pflege widmen gelernt haben, ehe er
die eßbaren Knollen entdeckte.

Hahn beklagt es, daß die Wirtschaftsformen der orientalischen und der
afrikanischen Völker, sowie der amerikanischen Kulturvölker, die von den Euro¬
päern teils ausgerottet, teils in der Fortbildung ihrer Kultur gehindert worden
sind, viel zu wenig beachtet würden, und daß mit der Vernachlässigung der
kultnrgeographischen Theorie unverantwortliche praktische Nachlässigkeit Hand
in Hand gehe. Insbesondre gelte das von dem Ackerbau mit Bewässerung,
auf den in einer Vorlesung hingewiesen zu haben das Verdienst Richthofens
sei. „Der Ackerbau mit Bewässerung unterscheidet sich von unserm gewöhn¬
lichen Ackerbau dadurch, daß er das nötige Vegctationswasfer für das Getreide¬
feld nicht vom Regen erwartet, sondern es durch Kunstbauten zuleitet. Unsre
Getreidearten weichen darin weit vom ursprünglich chinesischen Reis ab, daß
dieser eine Sumpfpflanze ist, unsre Gctreidegräser aber xerophil j^d. h. Trocken¬
heit liebend^ sind, also vermutlich Steppenpflanzen waren. Sie beanspruche»
nur für den Beginn der Vegetationsperiode eine durchgreifende Feuchtigkeit
und können nachher ziemlich lange Trockenperioden ertragen. Vom Gartenbau
unterscheidet sich dieser Ackerbau mit Bewässerung scharf genug, wenn natürlich
auch hier Übergänge vorhanden sind. Der Gartenbau, der mit seinem Gemüse
einen viel stärkern Fruchtwechsel treiben kann, erfordert auch eine stete Zufuhr
von Wasser. Aber der Gartenbau arbeitet mit viel kleinern Arealen; beim
Bewässerungsackerban handelt es sich immerhin um Felder, wenn auch der
technischen Schwierigkeiten halber die Feldstücke unter Umstände» nur klein
sind. Dieser Ackerbau mit Bewässerung ist nach Nichthofen die gegebne Kultur-
svrm für Länder mit Schneegebirgen im Rücken, wie in Turkestan, oder mit
Wasserznfnhr von höhern Gebirgen, die näher oder ferner sein können. Die
Musterländer für diesen Betrieb sind natürlich Ägypten und Vabylonien; das
letztere jetzt leider ein Beweis dafür, wie ein solches Land nicht aussehen soll....
Nach Nichthofen ist die höchste Wirtschaftsmethode die, die den Menschen am
unabhängigsten von allen äußern Faktoren stellt. Und unsre scheinbar so hoch
stehende, wissenschaftlich auch fortgeschrittue Landwirtschaft ist ganz und gar


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[0411] Die Haustiere und das Wirtschaftsleben der Völker Es ist merkwürdig, daß Hahn die Gewinnung von Baumfrüchten mir einmal beiläufig erwähnt, denn das ist doch sowohl »ach der Darwinischen Hypothese wie nach der biblischen Überlieferung die allererste, die ursprüngliche Wirtschaftsform gewesen. Auch lehrt uns Überlegung, daß der Mensch nur in einer Gegend, wo er das ganze Jahr über leicht zu gewinnende eßbare Früchte fand, entstanden sein kann. Ist der Mensch aus einem Klcttertiere entstanden, so sind das Baumfrüchte gewesen. Denken wir ihn uns bald von Anfang an mit richtigen Menschenfüßen versehen, so werden es nicht zu hoch hängende Früchte kraut- und strauchartiger Pflanzen, namentlich die der ver- schiednen Musaarten gewesen sein, auf die er zunächst angewiesen war; er wird auch schon diesen Pflanzen eine gewisse Pflege widmen gelernt haben, ehe er die eßbaren Knollen entdeckte. Hahn beklagt es, daß die Wirtschaftsformen der orientalischen und der afrikanischen Völker, sowie der amerikanischen Kulturvölker, die von den Euro¬ päern teils ausgerottet, teils in der Fortbildung ihrer Kultur gehindert worden sind, viel zu wenig beachtet würden, und daß mit der Vernachlässigung der kultnrgeographischen Theorie unverantwortliche praktische Nachlässigkeit Hand in Hand gehe. Insbesondre gelte das von dem Ackerbau mit Bewässerung, auf den in einer Vorlesung hingewiesen zu haben das Verdienst Richthofens sei. „Der Ackerbau mit Bewässerung unterscheidet sich von unserm gewöhn¬ lichen Ackerbau dadurch, daß er das nötige Vegctationswasfer für das Getreide¬ feld nicht vom Regen erwartet, sondern es durch Kunstbauten zuleitet. Unsre Getreidearten weichen darin weit vom ursprünglich chinesischen Reis ab, daß dieser eine Sumpfpflanze ist, unsre Gctreidegräser aber xerophil j^d. h. Trocken¬ heit liebend^ sind, also vermutlich Steppenpflanzen waren. Sie beanspruche» nur für den Beginn der Vegetationsperiode eine durchgreifende Feuchtigkeit und können nachher ziemlich lange Trockenperioden ertragen. Vom Gartenbau unterscheidet sich dieser Ackerbau mit Bewässerung scharf genug, wenn natürlich auch hier Übergänge vorhanden sind. Der Gartenbau, der mit seinem Gemüse einen viel stärkern Fruchtwechsel treiben kann, erfordert auch eine stete Zufuhr von Wasser. Aber der Gartenbau arbeitet mit viel kleinern Arealen; beim Bewässerungsackerban handelt es sich immerhin um Felder, wenn auch der technischen Schwierigkeiten halber die Feldstücke unter Umstände» nur klein sind. Dieser Ackerbau mit Bewässerung ist nach Nichthofen die gegebne Kultur- svrm für Länder mit Schneegebirgen im Rücken, wie in Turkestan, oder mit Wasserznfnhr von höhern Gebirgen, die näher oder ferner sein können. Die Musterländer für diesen Betrieb sind natürlich Ägypten und Vabylonien; das letztere jetzt leider ein Beweis dafür, wie ein solches Land nicht aussehen soll.... Nach Nichthofen ist die höchste Wirtschaftsmethode die, die den Menschen am unabhängigsten von allen äußern Faktoren stellt. Und unsre scheinbar so hoch stehende, wissenschaftlich auch fortgeschrittue Landwirtschaft ist ganz und gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/411>, abgerufen am 01.09.2024.