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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Ursachen der Unsicherheit im Innern

auch diese Männer Anhänger des Konstitutionalismus sein mögen, so drängen
sich ihnen doch gewisse Forderungen des Konstitutionalismus als unabweisbar
auf. Und wie geschmeidig sie auch teilweise sein mögen, wie sehr daran ge¬
wöhnt, als Vollstrecker eines höhern Willens ihren Ehrgeiz befriedigt zu fühlen,
sie haben sich doch bestimmte politische Anschauungen gebildet, die sie, je nachdem
es die Verhältnisse fordern, nicht preiszugeben gewillt sind. Der Ansicht, daß
die Parteigegeusätze im Volke von untergeordneter Bedeutung seien und einander
nicht ausschlossen, daß die Regierung eine höhere Einheit im Parteileben
darstellen solle, entspricht es, daß auch die Negierung ungleichartig zusammen-
gesetzt ist, daß in ihr Vertreter verschiedner Parteianschannngen zusammen¬
wirken. Was dabei herauskommt, haben wir oft genug erfahren. Die Reibungen
nehmen kein Ende und finden gelegentlich in der Presse scharfen Ausdruck.

Es ist begreiflich, daß bei diesem Mangel an Einheitlichkeit Ministerposten
nicht sehr begehrt sind. Namentlich muß der oberste und verantwortliche
Leiter der Reichs- und Staatspolitik diesen Zustand als eine wesentliche Er¬
schwerung seiner Aufgabe empfinden. Er hat bestündig mit Bestrebungen zu
kämpfen, die seine Politik kreuzen, und dieser Kampf muß ihm das Amt ver¬
leiden. Man hat von einer Nebenregierung, von unberufenen, für die Politik
nicht verantwortlichen Ratgebern gesprochen. Eben weil nicht das Stärkever¬
hältnis der Parteien im Volke über den Gang bei Politik entscheidet, giebt
sich das Bestreben kund, auf anderen Wege gewisse Dinge durchzuführen, die von
der Mehrheit des Volkes nicht gebilligt werden. Und so hat ein Nnnkespiel
hinter den Kulissen einen unbilligen und bedenklichen Einfluß auf die Politik
gewonnen.

Bei den neuesten Vorgängen steht eine Militärfrage im Vordergründe und
scheint bei den Meinungsverschiedenheiten den Ausschlag zu geben. In diesen
Fragen pflegte bisher die Mehrheit des Volkes, pflegten die führenden Kreise
des Volkes ans Seiten der Regierung zu stehen. Um so sorgfältiger sollte
darauf Bedacht genommen werden, daß das der Negierung geschenkte Vertrauen
nicht verscherzt werde. Wenn aber, sei es in nächster Zeit oder später, ein
Wechsel in der Person des Reichskanzlers stattfinden sollte aus den mehr¬
fach in der Presse erörterte" Gründen, was durch den Rücktritt des Kriegs¬
ministers sehr wahrscheinlich geworden ist, so würde dem "kommenden Mann"
nicht mit besonderm Vertrauen entgegengesehen werden. Man würde darin
das Zeichen einer Schwenkung der Regierungspvlitik sehen, die in weiten
Kreisen Mißbilligung finden würde, und die damit eingeleitete Politik würde
wahrscheinlich Widerstand finden weit über die Kreise hinaus, die bisher in
Militcirfrngcn zur Opposition zu gehöre" pflegten. Denn auch solche Politiker,
die der Regierung gern alles bewilligen wollten, was zur Stärkung der
Wehrmacht dient, und die zu dem Urteil der Regierung in diesen Fragen
bisher volles Vertrauen hatten, stehen doch in diesem Falle auf Seiten der


Die Ursachen der Unsicherheit im Innern

auch diese Männer Anhänger des Konstitutionalismus sein mögen, so drängen
sich ihnen doch gewisse Forderungen des Konstitutionalismus als unabweisbar
auf. Und wie geschmeidig sie auch teilweise sein mögen, wie sehr daran ge¬
wöhnt, als Vollstrecker eines höhern Willens ihren Ehrgeiz befriedigt zu fühlen,
sie haben sich doch bestimmte politische Anschauungen gebildet, die sie, je nachdem
es die Verhältnisse fordern, nicht preiszugeben gewillt sind. Der Ansicht, daß
die Parteigegeusätze im Volke von untergeordneter Bedeutung seien und einander
nicht ausschlossen, daß die Regierung eine höhere Einheit im Parteileben
darstellen solle, entspricht es, daß auch die Negierung ungleichartig zusammen-
gesetzt ist, daß in ihr Vertreter verschiedner Parteianschannngen zusammen¬
wirken. Was dabei herauskommt, haben wir oft genug erfahren. Die Reibungen
nehmen kein Ende und finden gelegentlich in der Presse scharfen Ausdruck.

Es ist begreiflich, daß bei diesem Mangel an Einheitlichkeit Ministerposten
nicht sehr begehrt sind. Namentlich muß der oberste und verantwortliche
Leiter der Reichs- und Staatspolitik diesen Zustand als eine wesentliche Er¬
schwerung seiner Aufgabe empfinden. Er hat bestündig mit Bestrebungen zu
kämpfen, die seine Politik kreuzen, und dieser Kampf muß ihm das Amt ver¬
leiden. Man hat von einer Nebenregierung, von unberufenen, für die Politik
nicht verantwortlichen Ratgebern gesprochen. Eben weil nicht das Stärkever¬
hältnis der Parteien im Volke über den Gang bei Politik entscheidet, giebt
sich das Bestreben kund, auf anderen Wege gewisse Dinge durchzuführen, die von
der Mehrheit des Volkes nicht gebilligt werden. Und so hat ein Nnnkespiel
hinter den Kulissen einen unbilligen und bedenklichen Einfluß auf die Politik
gewonnen.

Bei den neuesten Vorgängen steht eine Militärfrage im Vordergründe und
scheint bei den Meinungsverschiedenheiten den Ausschlag zu geben. In diesen
Fragen pflegte bisher die Mehrheit des Volkes, pflegten die führenden Kreise
des Volkes ans Seiten der Regierung zu stehen. Um so sorgfältiger sollte
darauf Bedacht genommen werden, daß das der Negierung geschenkte Vertrauen
nicht verscherzt werde. Wenn aber, sei es in nächster Zeit oder später, ein
Wechsel in der Person des Reichskanzlers stattfinden sollte aus den mehr¬
fach in der Presse erörterte» Gründen, was durch den Rücktritt des Kriegs¬
ministers sehr wahrscheinlich geworden ist, so würde dem „kommenden Mann"
nicht mit besonderm Vertrauen entgegengesehen werden. Man würde darin
das Zeichen einer Schwenkung der Regierungspvlitik sehen, die in weiten
Kreisen Mißbilligung finden würde, und die damit eingeleitete Politik würde
wahrscheinlich Widerstand finden weit über die Kreise hinaus, die bisher in
Militcirfrngcn zur Opposition zu gehöre» pflegten. Denn auch solche Politiker,
die der Regierung gern alles bewilligen wollten, was zur Stärkung der
Wehrmacht dient, und die zu dem Urteil der Regierung in diesen Fragen
bisher volles Vertrauen hatten, stehen doch in diesem Falle auf Seiten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/397>, abgerufen am 24.11.2024.