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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur

gekommen ist, mit ungünstigen Blicken ansieht. Aber die antike Schule ist
nun einmal durch die Geschichte so in unser Leben eingedrungen, daß wir sie
nicht wieder beseitigen werden. Es fragt sich also nur, wieviel wir von dem
Urdcutschen aus der Bauernkunst noch retten können. Handelte es sich nur
um sinnige Betrachtung und liebevolle Versenkung in die Überbleibsel dieser Kunst,
woraus dann ja für den Geist unsers Volkes, sein früheres Leben und das
Verständnis der volkstümlichen Literatur vieles zu gewinnen wäre, so ist
das Gebiet weit genug und anziehend und deutlich erkennbar und in kleinern
und größern Denkmälern noch jetzt erhalten. Das wäre ein Gesichtspunkt,
der sich vortrefflich einfügt in die Gedanken, die die Grenzboten kürzlich über
deutsche Altertumsprofcsforen ausgesprochen haben. Aber der Verfasser bleibt
nicht auf diesem theoretischen Standpunkte, bei dem Sammeln, Verstehen,
nachempfinden und dem Wiederhersteller einer früheren Gedankenwelt
stehen. Er will auch etwas praktisches. Aber was? Und wird es sich er¬
reichen lassen? Er mochte seiner Volkskunst die Jndustriekunst entgegenstellen,
die eine gegen die andere in den Kampf führen. Erst nach dem dreißigjährigen
Kriege -- fo meint er --, als die Kunst zur Reprüsentationsdirne der Reichen
wurde, als sich die entvölkerten, ehemals ackerbauenden Städte mit industriell
gesinnten Einwohnern füllten, ist jene Scheidung eingetreten. Die Kunst, die
allen verständlich sein könnte, die volkstümliche Baucrnkunst ist verschwunden
und wird in ihren Kreisen verachtet, höchstens von einzelnen Sammlern und
Kennern aufgesucht und zusammengekauft. Dafür haben die Antike und die
Renaissance und das Großstadtmilieu der in den Städten zusammengepferchten
Leute, die sich in die Fenster gucken, mit den Ellenbogen stoßen und immer
nervöser werden, eine Art von Kunstzerstreuung geschaffen, an der die andern
keinen Anteil haben, und die dem innern Wesen des Deutschen fremd ist.

Gewiß, das hat ungefähr seine Nichtigkeit, und es ziehen immer mehr
Leute in die Städte, auch die es gar nicht nötig hätten, und die es draußen
viel besser haben könnten. Aber -- "da halte mal einer auf!" sagte 1848
ein aufständischer Bürgermeister eines hessischen Örtchens, der sich vermessen
hatte, ganz allein das erwartete Militär zum Dorfe hiuauszuschlageu, als
er um in Wirklichkeit die Reihen der anmarschierenden Soldaten immer länger
werden sah. Da liegts! Der Verfasser lebt doch selbst in einer großen
Stadt, und er ist mit seiner feinen und weiten Bildung ein echtes Produkt
der großstädtischen Kulturentwicklung, nur ein besseres, als viele andern.
Sein hübsches Buch würde er nicht geschrieben haben, und auf alle seine netten
Gedanken würde er nicht gekommen sein, wenn er noch, wie vielleicht sein
Großvater, ans dem Lande säße mitten unter feiner geliebten Bauernkunst.
Wir können betrachten, bedauern, anch klagen, das geht alles. Aber sowie
wir anfangen, praktische Vorschläge zu machen, dann fangen auch die Schwierig¬
keiten an. Der Verfasser ist Idealist, und ohne Idealismus können solche


Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur

gekommen ist, mit ungünstigen Blicken ansieht. Aber die antike Schule ist
nun einmal durch die Geschichte so in unser Leben eingedrungen, daß wir sie
nicht wieder beseitigen werden. Es fragt sich also nur, wieviel wir von dem
Urdcutschen aus der Bauernkunst noch retten können. Handelte es sich nur
um sinnige Betrachtung und liebevolle Versenkung in die Überbleibsel dieser Kunst,
woraus dann ja für den Geist unsers Volkes, sein früheres Leben und das
Verständnis der volkstümlichen Literatur vieles zu gewinnen wäre, so ist
das Gebiet weit genug und anziehend und deutlich erkennbar und in kleinern
und größern Denkmälern noch jetzt erhalten. Das wäre ein Gesichtspunkt,
der sich vortrefflich einfügt in die Gedanken, die die Grenzboten kürzlich über
deutsche Altertumsprofcsforen ausgesprochen haben. Aber der Verfasser bleibt
nicht auf diesem theoretischen Standpunkte, bei dem Sammeln, Verstehen,
nachempfinden und dem Wiederhersteller einer früheren Gedankenwelt
stehen. Er will auch etwas praktisches. Aber was? Und wird es sich er¬
reichen lassen? Er mochte seiner Volkskunst die Jndustriekunst entgegenstellen,
die eine gegen die andere in den Kampf führen. Erst nach dem dreißigjährigen
Kriege — fo meint er —, als die Kunst zur Reprüsentationsdirne der Reichen
wurde, als sich die entvölkerten, ehemals ackerbauenden Städte mit industriell
gesinnten Einwohnern füllten, ist jene Scheidung eingetreten. Die Kunst, die
allen verständlich sein könnte, die volkstümliche Baucrnkunst ist verschwunden
und wird in ihren Kreisen verachtet, höchstens von einzelnen Sammlern und
Kennern aufgesucht und zusammengekauft. Dafür haben die Antike und die
Renaissance und das Großstadtmilieu der in den Städten zusammengepferchten
Leute, die sich in die Fenster gucken, mit den Ellenbogen stoßen und immer
nervöser werden, eine Art von Kunstzerstreuung geschaffen, an der die andern
keinen Anteil haben, und die dem innern Wesen des Deutschen fremd ist.

Gewiß, das hat ungefähr seine Nichtigkeit, und es ziehen immer mehr
Leute in die Städte, auch die es gar nicht nötig hätten, und die es draußen
viel besser haben könnten. Aber — „da halte mal einer auf!" sagte 1848
ein aufständischer Bürgermeister eines hessischen Örtchens, der sich vermessen
hatte, ganz allein das erwartete Militär zum Dorfe hiuauszuschlageu, als
er um in Wirklichkeit die Reihen der anmarschierenden Soldaten immer länger
werden sah. Da liegts! Der Verfasser lebt doch selbst in einer großen
Stadt, und er ist mit seiner feinen und weiten Bildung ein echtes Produkt
der großstädtischen Kulturentwicklung, nur ein besseres, als viele andern.
Sein hübsches Buch würde er nicht geschrieben haben, und auf alle seine netten
Gedanken würde er nicht gekommen sein, wenn er noch, wie vielleicht sein
Großvater, ans dem Lande säße mitten unter feiner geliebten Bauernkunst.
Wir können betrachten, bedauern, anch klagen, das geht alles. Aber sowie
wir anfangen, praktische Vorschläge zu machen, dann fangen auch die Schwierig¬
keiten an. Der Verfasser ist Idealist, und ohne Idealismus können solche


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[0384] Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur gekommen ist, mit ungünstigen Blicken ansieht. Aber die antike Schule ist nun einmal durch die Geschichte so in unser Leben eingedrungen, daß wir sie nicht wieder beseitigen werden. Es fragt sich also nur, wieviel wir von dem Urdcutschen aus der Bauernkunst noch retten können. Handelte es sich nur um sinnige Betrachtung und liebevolle Versenkung in die Überbleibsel dieser Kunst, woraus dann ja für den Geist unsers Volkes, sein früheres Leben und das Verständnis der volkstümlichen Literatur vieles zu gewinnen wäre, so ist das Gebiet weit genug und anziehend und deutlich erkennbar und in kleinern und größern Denkmälern noch jetzt erhalten. Das wäre ein Gesichtspunkt, der sich vortrefflich einfügt in die Gedanken, die die Grenzboten kürzlich über deutsche Altertumsprofcsforen ausgesprochen haben. Aber der Verfasser bleibt nicht auf diesem theoretischen Standpunkte, bei dem Sammeln, Verstehen, nachempfinden und dem Wiederhersteller einer früheren Gedankenwelt stehen. Er will auch etwas praktisches. Aber was? Und wird es sich er¬ reichen lassen? Er mochte seiner Volkskunst die Jndustriekunst entgegenstellen, die eine gegen die andere in den Kampf führen. Erst nach dem dreißigjährigen Kriege — fo meint er —, als die Kunst zur Reprüsentationsdirne der Reichen wurde, als sich die entvölkerten, ehemals ackerbauenden Städte mit industriell gesinnten Einwohnern füllten, ist jene Scheidung eingetreten. Die Kunst, die allen verständlich sein könnte, die volkstümliche Baucrnkunst ist verschwunden und wird in ihren Kreisen verachtet, höchstens von einzelnen Sammlern und Kennern aufgesucht und zusammengekauft. Dafür haben die Antike und die Renaissance und das Großstadtmilieu der in den Städten zusammengepferchten Leute, die sich in die Fenster gucken, mit den Ellenbogen stoßen und immer nervöser werden, eine Art von Kunstzerstreuung geschaffen, an der die andern keinen Anteil haben, und die dem innern Wesen des Deutschen fremd ist. Gewiß, das hat ungefähr seine Nichtigkeit, und es ziehen immer mehr Leute in die Städte, auch die es gar nicht nötig hätten, und die es draußen viel besser haben könnten. Aber — „da halte mal einer auf!" sagte 1848 ein aufständischer Bürgermeister eines hessischen Örtchens, der sich vermessen hatte, ganz allein das erwartete Militär zum Dorfe hiuauszuschlageu, als er um in Wirklichkeit die Reihen der anmarschierenden Soldaten immer länger werden sah. Da liegts! Der Verfasser lebt doch selbst in einer großen Stadt, und er ist mit seiner feinen und weiten Bildung ein echtes Produkt der großstädtischen Kulturentwicklung, nur ein besseres, als viele andern. Sein hübsches Buch würde er nicht geschrieben haben, und auf alle seine netten Gedanken würde er nicht gekommen sein, wenn er noch, wie vielleicht sein Großvater, ans dem Lande säße mitten unter feiner geliebten Bauernkunst. Wir können betrachten, bedauern, anch klagen, das geht alles. Aber sowie wir anfangen, praktische Vorschläge zu machen, dann fangen auch die Schwierig¬ keiten an. Der Verfasser ist Idealist, und ohne Idealismus können solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/384>, abgerufen am 01.09.2024.