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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

hervor, eine Deeadencenatur wie wenige, der Philosoph und Prophet der
Decadence. Doch kommt er in dem Zeitraum, von dem ich hier rede, noch
nicht zur Wirkung. Hier zu nennen ist nun Adolf Wilbrandt mit seinen
Dramen aus der römischen Kaiserzeit, die noch in die Gründerjahre fallen,
und mit feinem im ganzen ungesunden Verbrecherdrama "Die Tochter des
Herrn Fabricius" (1883), das in Vohrmann-Niegens "Verlorener Ehre"
(1876) einen Vorläufer hat, aber selbst wieder Schule machte. Hier ist much
der richtige Ort, auf das Schaffen Wilhelm Jcnsens zu kommen, das um
1880 mit den Romanen "Nirwana" und "Versunkene Welten" gipfelte und
unzweifelhaft reiche Decadencezeichen enthielt, wenn auch Imsen die Kraft
hatte, sich in manchen seiner Erzeugnisse wieder über die Decadence zu er¬
heben. Zweifelhaft kann man einer Erscheinung wie Arthur Fitger gegenüber
sein, doch glaube ich immerhin manches bedenkliche in ihm zu erkennen, ob¬
wohl sein für die moderne Weltanschauung aufgewandtes Pathos echt erscheint.
Jedenfalls enthält seine Lyrik mancherlei pessimistisches und zeigt denselben
Zug zum Volke, namentlich zum fahrenden, den wir z. B. auch bei Hans
Hopfen finden. Der glücklichere Nachfolger Fitgers auf dramatischem Ge¬
biet, Wildenbruch, der 1881/1882 berühmt wurde, verrät die Decadence in
seinen "Karolingern," auch noch im "Harold" und im "Marlowe"; im ganzen
rettete ihn aber sein Preußentum oder seine ziemlich enge Weltanschauung;
man stellt ihn daher besser an die Spitze der Übergangszeit. Von den zahl¬
reichen pessimistischen Lyrikern, die in diese Zeit fallen, nenne ich nur Hiero-
nhmus Lorm (Gedichte, 1880) und den Plateniden Albert Möser, die beide
aber schon viel früher hervorgetreten sind. Ganz dieser Zeit an gehört Prinz
Emil von Schöuaich-Carolath, und er bezeichnet die Höhe der ganzen Ent¬
wicklung, die mit Hopfen und Grisebach beginnt. Ohne Zweifel ein reiches
Talent, ist er der Hauptvertreter jener keineswegs erlognen, aber zugleich
blasirten und schwülen Poesie, die dann entsteht, wenn der Dichter allen Zu¬
sammenhang mit seinem Volke verliert und weiter keine Aufgabe kennt, als
sein Ich möglichst interessant zu spiegeln; die Wahrheit der dargestellten
Empfindungen ist nicht ausgeschlossen, aber man posirt. Ist es überhaupt
schon der Fluch der Dichtung des verflossenen Menschenalters, daß sich der
Dichter schaffend immer als Dichter oder Sänger, nie nach Goethes und aller
echten Dichter Weise einfach als Mensch fühlte ("dieser ist ein Mensch ge¬
wesen"), so putzen Dichter dieser Art den Dichter nun noch sensationell heraus,
und ihre Dichtung erhält ein Parfüm, weshalb sie auch eine gesunde Natur
kaum erträgt. Es ist möglich, daß sich das Unwesen von Byron herleitet,
wie es oft, wenn auch nicht ausschließlich, bei aristokratischen Dichtern auf¬
tritt; in Deutschland war es ziemlich verbreitet und ist es jetzt noch. Ich
finde es vielfach auch bei Frauen, so bei der sonst mit Recht gerühmten
Alberta von Puttkamer. Das Posiren kann übrigens auch als Natur-


Die Alten und die Jungen

hervor, eine Deeadencenatur wie wenige, der Philosoph und Prophet der
Decadence. Doch kommt er in dem Zeitraum, von dem ich hier rede, noch
nicht zur Wirkung. Hier zu nennen ist nun Adolf Wilbrandt mit seinen
Dramen aus der römischen Kaiserzeit, die noch in die Gründerjahre fallen,
und mit feinem im ganzen ungesunden Verbrecherdrama „Die Tochter des
Herrn Fabricius" (1883), das in Vohrmann-Niegens „Verlorener Ehre"
(1876) einen Vorläufer hat, aber selbst wieder Schule machte. Hier ist much
der richtige Ort, auf das Schaffen Wilhelm Jcnsens zu kommen, das um
1880 mit den Romanen „Nirwana" und „Versunkene Welten" gipfelte und
unzweifelhaft reiche Decadencezeichen enthielt, wenn auch Imsen die Kraft
hatte, sich in manchen seiner Erzeugnisse wieder über die Decadence zu er¬
heben. Zweifelhaft kann man einer Erscheinung wie Arthur Fitger gegenüber
sein, doch glaube ich immerhin manches bedenkliche in ihm zu erkennen, ob¬
wohl sein für die moderne Weltanschauung aufgewandtes Pathos echt erscheint.
Jedenfalls enthält seine Lyrik mancherlei pessimistisches und zeigt denselben
Zug zum Volke, namentlich zum fahrenden, den wir z. B. auch bei Hans
Hopfen finden. Der glücklichere Nachfolger Fitgers auf dramatischem Ge¬
biet, Wildenbruch, der 1881/1882 berühmt wurde, verrät die Decadence in
seinen „Karolingern," auch noch im „Harold" und im „Marlowe"; im ganzen
rettete ihn aber sein Preußentum oder seine ziemlich enge Weltanschauung;
man stellt ihn daher besser an die Spitze der Übergangszeit. Von den zahl¬
reichen pessimistischen Lyrikern, die in diese Zeit fallen, nenne ich nur Hiero-
nhmus Lorm (Gedichte, 1880) und den Plateniden Albert Möser, die beide
aber schon viel früher hervorgetreten sind. Ganz dieser Zeit an gehört Prinz
Emil von Schöuaich-Carolath, und er bezeichnet die Höhe der ganzen Ent¬
wicklung, die mit Hopfen und Grisebach beginnt. Ohne Zweifel ein reiches
Talent, ist er der Hauptvertreter jener keineswegs erlognen, aber zugleich
blasirten und schwülen Poesie, die dann entsteht, wenn der Dichter allen Zu¬
sammenhang mit seinem Volke verliert und weiter keine Aufgabe kennt, als
sein Ich möglichst interessant zu spiegeln; die Wahrheit der dargestellten
Empfindungen ist nicht ausgeschlossen, aber man posirt. Ist es überhaupt
schon der Fluch der Dichtung des verflossenen Menschenalters, daß sich der
Dichter schaffend immer als Dichter oder Sänger, nie nach Goethes und aller
echten Dichter Weise einfach als Mensch fühlte („dieser ist ein Mensch ge¬
wesen"), so putzen Dichter dieser Art den Dichter nun noch sensationell heraus,
und ihre Dichtung erhält ein Parfüm, weshalb sie auch eine gesunde Natur
kaum erträgt. Es ist möglich, daß sich das Unwesen von Byron herleitet,
wie es oft, wenn auch nicht ausschließlich, bei aristokratischen Dichtern auf¬
tritt; in Deutschland war es ziemlich verbreitet und ist es jetzt noch. Ich
finde es vielfach auch bei Frauen, so bei der sonst mit Recht gerühmten
Alberta von Puttkamer. Das Posiren kann übrigens auch als Natur-


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[0381] Die Alten und die Jungen hervor, eine Deeadencenatur wie wenige, der Philosoph und Prophet der Decadence. Doch kommt er in dem Zeitraum, von dem ich hier rede, noch nicht zur Wirkung. Hier zu nennen ist nun Adolf Wilbrandt mit seinen Dramen aus der römischen Kaiserzeit, die noch in die Gründerjahre fallen, und mit feinem im ganzen ungesunden Verbrecherdrama „Die Tochter des Herrn Fabricius" (1883), das in Vohrmann-Niegens „Verlorener Ehre" (1876) einen Vorläufer hat, aber selbst wieder Schule machte. Hier ist much der richtige Ort, auf das Schaffen Wilhelm Jcnsens zu kommen, das um 1880 mit den Romanen „Nirwana" und „Versunkene Welten" gipfelte und unzweifelhaft reiche Decadencezeichen enthielt, wenn auch Imsen die Kraft hatte, sich in manchen seiner Erzeugnisse wieder über die Decadence zu er¬ heben. Zweifelhaft kann man einer Erscheinung wie Arthur Fitger gegenüber sein, doch glaube ich immerhin manches bedenkliche in ihm zu erkennen, ob¬ wohl sein für die moderne Weltanschauung aufgewandtes Pathos echt erscheint. Jedenfalls enthält seine Lyrik mancherlei pessimistisches und zeigt denselben Zug zum Volke, namentlich zum fahrenden, den wir z. B. auch bei Hans Hopfen finden. Der glücklichere Nachfolger Fitgers auf dramatischem Ge¬ biet, Wildenbruch, der 1881/1882 berühmt wurde, verrät die Decadence in seinen „Karolingern," auch noch im „Harold" und im „Marlowe"; im ganzen rettete ihn aber sein Preußentum oder seine ziemlich enge Weltanschauung; man stellt ihn daher besser an die Spitze der Übergangszeit. Von den zahl¬ reichen pessimistischen Lyrikern, die in diese Zeit fallen, nenne ich nur Hiero- nhmus Lorm (Gedichte, 1880) und den Plateniden Albert Möser, die beide aber schon viel früher hervorgetreten sind. Ganz dieser Zeit an gehört Prinz Emil von Schöuaich-Carolath, und er bezeichnet die Höhe der ganzen Ent¬ wicklung, die mit Hopfen und Grisebach beginnt. Ohne Zweifel ein reiches Talent, ist er der Hauptvertreter jener keineswegs erlognen, aber zugleich blasirten und schwülen Poesie, die dann entsteht, wenn der Dichter allen Zu¬ sammenhang mit seinem Volke verliert und weiter keine Aufgabe kennt, als sein Ich möglichst interessant zu spiegeln; die Wahrheit der dargestellten Empfindungen ist nicht ausgeschlossen, aber man posirt. Ist es überhaupt schon der Fluch der Dichtung des verflossenen Menschenalters, daß sich der Dichter schaffend immer als Dichter oder Sänger, nie nach Goethes und aller echten Dichter Weise einfach als Mensch fühlte („dieser ist ein Mensch ge¬ wesen"), so putzen Dichter dieser Art den Dichter nun noch sensationell heraus, und ihre Dichtung erhält ein Parfüm, weshalb sie auch eine gesunde Natur kaum erträgt. Es ist möglich, daß sich das Unwesen von Byron herleitet, wie es oft, wenn auch nicht ausschließlich, bei aristokratischen Dichtern auf¬ tritt; in Deutschland war es ziemlich verbreitet und ist es jetzt noch. Ich finde es vielfach auch bei Frauen, so bei der sonst mit Recht gerühmten Alberta von Puttkamer. Das Posiren kann übrigens auch als Natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/381>, abgerufen am 24.11.2024.