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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Es hat wenig Zweck, diese jetzt halbverschollne Rommilitteratur ebenso
wie die mit ihr eng zusammenhängende episch-lyrische Dichtung und die Butzen-
scheibenlhrik eingehend zu charakterisiren. Scheffel war das große Modevorbild
geworden, und die meisten Dichter der Gegenwart traten als seine Nachahmer
auf. Sein "Ekkehard" war das Muster des archäologischen Romans, das
freilich keiner erreichte, sein "Trompeter" das der episch-lyrischen Dichtung mit
eingeschobnen Liedern, des "Sargs" oder der "Märe," seine Lyrik das der
Butzenscheiben- und der feucht-fröhlichen Kneippoesie. Die erfolgreichsten Roman-
schreiber waren bekanntlich Georg Ebers, George Taylor (Adolf Hausrath),
Felix Dahn und später Ernst Eckstein, der erfolgreichste Epiker Julius Wolff,
der erfolgreichste Lyriker Rudolf Baumbach. Ebers hat einmal, im Homo
sum, ein ernst zu nehmendes Werk geschrieben, Dahns "Kampf um Rom" hat
wenigstens eine große Anlage, wenn er auch im einzelnen vielfach theatralisch
wirkt, Taylor fesselt hin und wieder durch psychologische Feinheit, während
es Eckstein, außerdem der Schöpfer der Gymnasialhumoreske, in seinen Ro¬
manen aus der römischen Kaiserzeit nur auf äußerliche Wirkung abgesehen hat.
Julius Wolff ist der gemachteste und gezierteste aller dieser Dichter, Baumbach
dagegen ein echtes kleines Talent. Diese Urteile stehen jetzt fo ziemlich all¬
gemein fest. Vergessen will ich nicht zu bemerken, daß die meisten dieser
Dichter nicht weniger Anbeter des Erfolgs waren als die Lindau und Ge-
nossen, wenn sie auch die Erfolgmache durch die Presse vielleicht nicht so gut
verstanden; aber sie schlachteten ihren Ruhm ganz gehörig aus, stellten sich
regelmäßig zur Weihnachtszeit mit ihrem neuen Bande ein, und ?ad1ivus,
d. h. hier der gebildete, anständige Reichsdeutsche kaufte. Das ging so unge¬
fähr ein Jahrzehnt, schon hatten die Literarhistoriker die neuen großen Dichter
eingetragen, da -- trat der Krach ein. Vernünftige Leute hatten freilich schon
lange erkannt, daß diese Mvdepoesie nichts weniger als echte Poesie sei. Da
lebte da oben in Königsberg ein alter Gymnasiallehrer, Karl Witt mit Namen,
dem Berliner Freunde Anno 1878 mit dem damals noch leidlich neuen "Wilden
Jäger" Wolffs eine rechte Weihnachtsfreude zu machen gedachten. Na, die
Freude, als sie darauf die Kritik des alten hartgesottenen Goetheverehrers em¬
pfingen: "Es muß ehrlich heraus: das Ding ist klapperdürr! Von Anfang
bis zu Ende bin ich nicht imstande gewesen, den leisesten Zug von Poesie
zu spüren. sprachgewandt muß der Mann in hohem Grade sein, aber er
geht mit dieser wie mit noch mancher andern schönen Gabe aufs lächerlichste
um. Seine Naturschilderungen -- er muß sich viel mit Pflanzenkunde abge¬
geben haben -- langweilige Naturgeschichte, und gleich der erste Abschnitt, die
Kriegsgeschichte von Winter und Frühling, wie unendlich breit getreten!
Die wenigen Zeilen im Faust, wo das gleiche unternommen ist -- alle
Schätze Eldorados überwiegen nicht so sehr den Pfennig in der Tasche des
Bettlers. Und die Nachahmungen der alten Volkslieder! Lesen Sie einmal in


Die Alten und die Jungen

Es hat wenig Zweck, diese jetzt halbverschollne Rommilitteratur ebenso
wie die mit ihr eng zusammenhängende episch-lyrische Dichtung und die Butzen-
scheibenlhrik eingehend zu charakterisiren. Scheffel war das große Modevorbild
geworden, und die meisten Dichter der Gegenwart traten als seine Nachahmer
auf. Sein „Ekkehard" war das Muster des archäologischen Romans, das
freilich keiner erreichte, sein „Trompeter" das der episch-lyrischen Dichtung mit
eingeschobnen Liedern, des „Sargs" oder der „Märe," seine Lyrik das der
Butzenscheiben- und der feucht-fröhlichen Kneippoesie. Die erfolgreichsten Roman-
schreiber waren bekanntlich Georg Ebers, George Taylor (Adolf Hausrath),
Felix Dahn und später Ernst Eckstein, der erfolgreichste Epiker Julius Wolff,
der erfolgreichste Lyriker Rudolf Baumbach. Ebers hat einmal, im Homo
sum, ein ernst zu nehmendes Werk geschrieben, Dahns „Kampf um Rom" hat
wenigstens eine große Anlage, wenn er auch im einzelnen vielfach theatralisch
wirkt, Taylor fesselt hin und wieder durch psychologische Feinheit, während
es Eckstein, außerdem der Schöpfer der Gymnasialhumoreske, in seinen Ro¬
manen aus der römischen Kaiserzeit nur auf äußerliche Wirkung abgesehen hat.
Julius Wolff ist der gemachteste und gezierteste aller dieser Dichter, Baumbach
dagegen ein echtes kleines Talent. Diese Urteile stehen jetzt fo ziemlich all¬
gemein fest. Vergessen will ich nicht zu bemerken, daß die meisten dieser
Dichter nicht weniger Anbeter des Erfolgs waren als die Lindau und Ge-
nossen, wenn sie auch die Erfolgmache durch die Presse vielleicht nicht so gut
verstanden; aber sie schlachteten ihren Ruhm ganz gehörig aus, stellten sich
regelmäßig zur Weihnachtszeit mit ihrem neuen Bande ein, und ?ad1ivus,
d. h. hier der gebildete, anständige Reichsdeutsche kaufte. Das ging so unge¬
fähr ein Jahrzehnt, schon hatten die Literarhistoriker die neuen großen Dichter
eingetragen, da — trat der Krach ein. Vernünftige Leute hatten freilich schon
lange erkannt, daß diese Mvdepoesie nichts weniger als echte Poesie sei. Da
lebte da oben in Königsberg ein alter Gymnasiallehrer, Karl Witt mit Namen,
dem Berliner Freunde Anno 1878 mit dem damals noch leidlich neuen „Wilden
Jäger" Wolffs eine rechte Weihnachtsfreude zu machen gedachten. Na, die
Freude, als sie darauf die Kritik des alten hartgesottenen Goetheverehrers em¬
pfingen: „Es muß ehrlich heraus: das Ding ist klapperdürr! Von Anfang
bis zu Ende bin ich nicht imstande gewesen, den leisesten Zug von Poesie
zu spüren. sprachgewandt muß der Mann in hohem Grade sein, aber er
geht mit dieser wie mit noch mancher andern schönen Gabe aufs lächerlichste
um. Seine Naturschilderungen — er muß sich viel mit Pflanzenkunde abge¬
geben haben — langweilige Naturgeschichte, und gleich der erste Abschnitt, die
Kriegsgeschichte von Winter und Frühling, wie unendlich breit getreten!
Die wenigen Zeilen im Faust, wo das gleiche unternommen ist — alle
Schätze Eldorados überwiegen nicht so sehr den Pfennig in der Tasche des
Bettlers. Und die Nachahmungen der alten Volkslieder! Lesen Sie einmal in


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[0378] Die Alten und die Jungen Es hat wenig Zweck, diese jetzt halbverschollne Rommilitteratur ebenso wie die mit ihr eng zusammenhängende episch-lyrische Dichtung und die Butzen- scheibenlhrik eingehend zu charakterisiren. Scheffel war das große Modevorbild geworden, und die meisten Dichter der Gegenwart traten als seine Nachahmer auf. Sein „Ekkehard" war das Muster des archäologischen Romans, das freilich keiner erreichte, sein „Trompeter" das der episch-lyrischen Dichtung mit eingeschobnen Liedern, des „Sargs" oder der „Märe," seine Lyrik das der Butzenscheiben- und der feucht-fröhlichen Kneippoesie. Die erfolgreichsten Roman- schreiber waren bekanntlich Georg Ebers, George Taylor (Adolf Hausrath), Felix Dahn und später Ernst Eckstein, der erfolgreichste Epiker Julius Wolff, der erfolgreichste Lyriker Rudolf Baumbach. Ebers hat einmal, im Homo sum, ein ernst zu nehmendes Werk geschrieben, Dahns „Kampf um Rom" hat wenigstens eine große Anlage, wenn er auch im einzelnen vielfach theatralisch wirkt, Taylor fesselt hin und wieder durch psychologische Feinheit, während es Eckstein, außerdem der Schöpfer der Gymnasialhumoreske, in seinen Ro¬ manen aus der römischen Kaiserzeit nur auf äußerliche Wirkung abgesehen hat. Julius Wolff ist der gemachteste und gezierteste aller dieser Dichter, Baumbach dagegen ein echtes kleines Talent. Diese Urteile stehen jetzt fo ziemlich all¬ gemein fest. Vergessen will ich nicht zu bemerken, daß die meisten dieser Dichter nicht weniger Anbeter des Erfolgs waren als die Lindau und Ge- nossen, wenn sie auch die Erfolgmache durch die Presse vielleicht nicht so gut verstanden; aber sie schlachteten ihren Ruhm ganz gehörig aus, stellten sich regelmäßig zur Weihnachtszeit mit ihrem neuen Bande ein, und ?ad1ivus, d. h. hier der gebildete, anständige Reichsdeutsche kaufte. Das ging so unge¬ fähr ein Jahrzehnt, schon hatten die Literarhistoriker die neuen großen Dichter eingetragen, da — trat der Krach ein. Vernünftige Leute hatten freilich schon lange erkannt, daß diese Mvdepoesie nichts weniger als echte Poesie sei. Da lebte da oben in Königsberg ein alter Gymnasiallehrer, Karl Witt mit Namen, dem Berliner Freunde Anno 1878 mit dem damals noch leidlich neuen „Wilden Jäger" Wolffs eine rechte Weihnachtsfreude zu machen gedachten. Na, die Freude, als sie darauf die Kritik des alten hartgesottenen Goetheverehrers em¬ pfingen: „Es muß ehrlich heraus: das Ding ist klapperdürr! Von Anfang bis zu Ende bin ich nicht imstande gewesen, den leisesten Zug von Poesie zu spüren. sprachgewandt muß der Mann in hohem Grade sein, aber er geht mit dieser wie mit noch mancher andern schönen Gabe aufs lächerlichste um. Seine Naturschilderungen — er muß sich viel mit Pflanzenkunde abge¬ geben haben — langweilige Naturgeschichte, und gleich der erste Abschnitt, die Kriegsgeschichte von Winter und Frühling, wie unendlich breit getreten! Die wenigen Zeilen im Faust, wo das gleiche unternommen ist — alle Schätze Eldorados überwiegen nicht so sehr den Pfennig in der Tasche des Bettlers. Und die Nachahmungen der alten Volkslieder! Lesen Sie einmal in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/378>, abgerufen am 01.09.2024.