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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

anständig blieb, aber sie wollten wenig bedeuten. Die Franzosen und ihre
deutschen Nachfolger behaupteten das Feld, dank vor allem der kvrrumpirten
Presse der Großstädte, der die Provinzialpresse im ganzen nachstammelte.

Für deutsche Dichtung ließ also, das ergiebt diese Darstellung, die Gegen¬
wart wenig Platz, und die deutschen Dichter sahen das auch gehorsam ein
und flüchteten in die Vergangenheit. In der That, der archäologische Zug,
der der Dichtung der siebziger Jahre anhaftet, mag sich zum Teil auf ein
Zurückweichen vor dem einflußreichen Feuilletonismus, der die Litteratur zu
sein beanspruchte, zurückführen lassen. Doch hatte er auch uoch andere Gründe.
Der beste unter ihnen war die im geeinten Deutschland wieder lebhafter er¬
wachte Teilnahme an der Vergangenheit des eignen Volkes, der Wunsch, sie
den neuen Deutschen lebendig vor Augen zu stellen, und darauf sind z. B.
wohl Freytags "Ahnen" zurückzuführen. Leider ward die Vergangenheit kaum
in einem der Verfasser archäologischen Romane wirklich lebendig, es fehlte
die notwendige leidenschaftliche Teilnahme an Volk und Stamm, die leiden¬
schaftliche Liebe zur Heimaterde, zur engern Heimat, die die Schöpfer großer
historischer Romane wie Walter Scott und Willibald Alexis auszeichnete.
Fast alle archäologischen Dichter schrieben als Männer der Wissenschaft, als
Archäologen und Philologen, nicht als Poeten, und das Ergebnis war denn
trotz manchmal hübscher Darstellungsgaben, daß das aus Studien gewonnene
geschichtliche und das dichterischer Phantasie entstammende nicht zusammen¬
gingen, entweder die Geschichte vorwog und die Poesie erdrückte, oder das
Dichterische, ganz schablonenhaft, die Geschichte herabwürdigte. Und da nun
doch einmal die Wissenschaft das zum Schaffen anregende war, so blieb man
natürlich nicht bei der Vergangenheit des eignen Volkes stehen, sondern ging,
stolz auf die Errungenschaften der modernen Forschung, soweit als möglich
zurück, zu den alten Ägyptern und was weiß ich. Das Publikum ließ es
sich gefallen, nicht weil es, wie man wohl gemeint hat, aus Unzufriedenheit
mit der Gegenwart in die Vergangenheit geflüchtet war, sondern ganz einfach aus
Bildungsdünkel. Man hat nicht mit Unrecht von dem Alexandrinertum dieser
Zeit geredet, nicht mehr der Philosoph oder der Naturwissenschafter, der
Philolog beherrschte seit 1870 das geistige Leben in Deutschland, und die deutsche
Bildung nahm seine wohlbekannten Schwächen an. Das schöne Wort vom
Volk der Dichter und Denker wurde trotzdem immer weiter zitirt, obwohl die
Dichter und Denker selten genug bei uns geworden waren. Genug, der archäo¬
logische Roman kam einem Zeitbedürfnis entgegen und wurde für die nicht
oder wenig von der Decadence ergriffnen Kreise das, was der Feuilletonismus
für die andern war; es waren die anständigen Leute, die ihn aufrecht hielten,
für die unanständigen war er viel zu langweilig. Im ganzen war die neue
Romandichtung auf den Backfisch zugeschnitten, obwohl sie doch gelegentlich ein
bischen wohlversteckte Sinnlichkeit enthielt.


Grenzboten III 1836 47
Die Alten und die Jungen

anständig blieb, aber sie wollten wenig bedeuten. Die Franzosen und ihre
deutschen Nachfolger behaupteten das Feld, dank vor allem der kvrrumpirten
Presse der Großstädte, der die Provinzialpresse im ganzen nachstammelte.

Für deutsche Dichtung ließ also, das ergiebt diese Darstellung, die Gegen¬
wart wenig Platz, und die deutschen Dichter sahen das auch gehorsam ein
und flüchteten in die Vergangenheit. In der That, der archäologische Zug,
der der Dichtung der siebziger Jahre anhaftet, mag sich zum Teil auf ein
Zurückweichen vor dem einflußreichen Feuilletonismus, der die Litteratur zu
sein beanspruchte, zurückführen lassen. Doch hatte er auch uoch andere Gründe.
Der beste unter ihnen war die im geeinten Deutschland wieder lebhafter er¬
wachte Teilnahme an der Vergangenheit des eignen Volkes, der Wunsch, sie
den neuen Deutschen lebendig vor Augen zu stellen, und darauf sind z. B.
wohl Freytags „Ahnen" zurückzuführen. Leider ward die Vergangenheit kaum
in einem der Verfasser archäologischen Romane wirklich lebendig, es fehlte
die notwendige leidenschaftliche Teilnahme an Volk und Stamm, die leiden¬
schaftliche Liebe zur Heimaterde, zur engern Heimat, die die Schöpfer großer
historischer Romane wie Walter Scott und Willibald Alexis auszeichnete.
Fast alle archäologischen Dichter schrieben als Männer der Wissenschaft, als
Archäologen und Philologen, nicht als Poeten, und das Ergebnis war denn
trotz manchmal hübscher Darstellungsgaben, daß das aus Studien gewonnene
geschichtliche und das dichterischer Phantasie entstammende nicht zusammen¬
gingen, entweder die Geschichte vorwog und die Poesie erdrückte, oder das
Dichterische, ganz schablonenhaft, die Geschichte herabwürdigte. Und da nun
doch einmal die Wissenschaft das zum Schaffen anregende war, so blieb man
natürlich nicht bei der Vergangenheit des eignen Volkes stehen, sondern ging,
stolz auf die Errungenschaften der modernen Forschung, soweit als möglich
zurück, zu den alten Ägyptern und was weiß ich. Das Publikum ließ es
sich gefallen, nicht weil es, wie man wohl gemeint hat, aus Unzufriedenheit
mit der Gegenwart in die Vergangenheit geflüchtet war, sondern ganz einfach aus
Bildungsdünkel. Man hat nicht mit Unrecht von dem Alexandrinertum dieser
Zeit geredet, nicht mehr der Philosoph oder der Naturwissenschafter, der
Philolog beherrschte seit 1870 das geistige Leben in Deutschland, und die deutsche
Bildung nahm seine wohlbekannten Schwächen an. Das schöne Wort vom
Volk der Dichter und Denker wurde trotzdem immer weiter zitirt, obwohl die
Dichter und Denker selten genug bei uns geworden waren. Genug, der archäo¬
logische Roman kam einem Zeitbedürfnis entgegen und wurde für die nicht
oder wenig von der Decadence ergriffnen Kreise das, was der Feuilletonismus
für die andern war; es waren die anständigen Leute, die ihn aufrecht hielten,
für die unanständigen war er viel zu langweilig. Im ganzen war die neue
Romandichtung auf den Backfisch zugeschnitten, obwohl sie doch gelegentlich ein
bischen wohlversteckte Sinnlichkeit enthielt.


Grenzboten III 1836 47
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[0377] Die Alten und die Jungen anständig blieb, aber sie wollten wenig bedeuten. Die Franzosen und ihre deutschen Nachfolger behaupteten das Feld, dank vor allem der kvrrumpirten Presse der Großstädte, der die Provinzialpresse im ganzen nachstammelte. Für deutsche Dichtung ließ also, das ergiebt diese Darstellung, die Gegen¬ wart wenig Platz, und die deutschen Dichter sahen das auch gehorsam ein und flüchteten in die Vergangenheit. In der That, der archäologische Zug, der der Dichtung der siebziger Jahre anhaftet, mag sich zum Teil auf ein Zurückweichen vor dem einflußreichen Feuilletonismus, der die Litteratur zu sein beanspruchte, zurückführen lassen. Doch hatte er auch uoch andere Gründe. Der beste unter ihnen war die im geeinten Deutschland wieder lebhafter er¬ wachte Teilnahme an der Vergangenheit des eignen Volkes, der Wunsch, sie den neuen Deutschen lebendig vor Augen zu stellen, und darauf sind z. B. wohl Freytags „Ahnen" zurückzuführen. Leider ward die Vergangenheit kaum in einem der Verfasser archäologischen Romane wirklich lebendig, es fehlte die notwendige leidenschaftliche Teilnahme an Volk und Stamm, die leiden¬ schaftliche Liebe zur Heimaterde, zur engern Heimat, die die Schöpfer großer historischer Romane wie Walter Scott und Willibald Alexis auszeichnete. Fast alle archäologischen Dichter schrieben als Männer der Wissenschaft, als Archäologen und Philologen, nicht als Poeten, und das Ergebnis war denn trotz manchmal hübscher Darstellungsgaben, daß das aus Studien gewonnene geschichtliche und das dichterischer Phantasie entstammende nicht zusammen¬ gingen, entweder die Geschichte vorwog und die Poesie erdrückte, oder das Dichterische, ganz schablonenhaft, die Geschichte herabwürdigte. Und da nun doch einmal die Wissenschaft das zum Schaffen anregende war, so blieb man natürlich nicht bei der Vergangenheit des eignen Volkes stehen, sondern ging, stolz auf die Errungenschaften der modernen Forschung, soweit als möglich zurück, zu den alten Ägyptern und was weiß ich. Das Publikum ließ es sich gefallen, nicht weil es, wie man wohl gemeint hat, aus Unzufriedenheit mit der Gegenwart in die Vergangenheit geflüchtet war, sondern ganz einfach aus Bildungsdünkel. Man hat nicht mit Unrecht von dem Alexandrinertum dieser Zeit geredet, nicht mehr der Philosoph oder der Naturwissenschafter, der Philolog beherrschte seit 1870 das geistige Leben in Deutschland, und die deutsche Bildung nahm seine wohlbekannten Schwächen an. Das schöne Wort vom Volk der Dichter und Denker wurde trotzdem immer weiter zitirt, obwohl die Dichter und Denker selten genug bei uns geworden waren. Genug, der archäo¬ logische Roman kam einem Zeitbedürfnis entgegen und wurde für die nicht oder wenig von der Decadence ergriffnen Kreise das, was der Feuilletonismus für die andern war; es waren die anständigen Leute, die ihn aufrecht hielten, für die unanständigen war er viel zu langweilig. Im ganzen war die neue Romandichtung auf den Backfisch zugeschnitten, obwohl sie doch gelegentlich ein bischen wohlversteckte Sinnlichkeit enthielt. Grenzboten III 1836 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/377>, abgerufen am 25.11.2024.