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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

tirer Romans. Diesem Zweig seiner Produktion hat man mit dem Schlagworte
"höhere Kolportageromane" alle Ehre angethan. Immer blieb Lindau der
,,Mann der Gegenwart," zeigte eine feine Nase für das Zeitgemäße, doch wurde
er seit Anfang der achtziger Jahre scharf angegriffen und mußte Anfang der
neunziger Jahre einiger "Unannehmlichkeiten" halber Berlin verlassen. Seit¬
dem war er für die ernsthaften Leute in Deutschland tot; er starb aber
nicht, sondern ging zunächst nach Dresden und soll jetzt Hoftheaterintendant
irgendwo im Meiningischen sein.

Ganz ähnlich wie Lindau machte nach ihm Oskar Blumenthal seinen
Weg. Seine "litterarischen Rücksichtslosigkeiten" heißen "Allerlei Ungezogen¬
heiten" (1874), seine kritische Thätigkeit an dem "Berliner Tageblatt," das
man bei der Charakteristik des Feuilletonismus ja nicht vergessen darf, ver¬
schaffte ihm den Beinamen des "Blutigen." Blumenthal hat ein hübsches
epigrammatisches Talent, und das konnte er natürlich nicht besser verwenden,
als daß er Dramen schrieb. Auch er hatte große Erfolge und war imstande,
Lindau im Anfang der achtziger Jahre in den Hintergrund zu drängen.
Seine Dramen, im ganzen Nachahmungen der spätern Werke Sardous, sind,
wie schon ihre Titel ("Ein Tropfen Gift," "Der Probepfeil," "Die große Glocke")
anzeigen, raffinirter und daher noch unerträglicher als die Lindaus. In
unsern Tagen ist Blumenthal -- seit 1888 Direktor des Berliner Lessing¬
theaters -- ein ganz gewöhnlicher Posfenfabrikant geworden.

War Lindau, wie es kein gebildeter Mensch bezweifeln durfte, der deutsche
"Dumas Sohn," Blumenthal unser Sardon, so blieb für Hugo Lubliner, der
sich zuerst Hugo Bürger nannte, der Vergleich mit Pailleron. Er hat lit¬
terarisch weniger auf dem Gewissen als seine beiden Kollegen, ist aber auch
ein gutes Teil breiter und langweiliger.

Kleine Lindaus und Blumenthals, die sich aber meist auf das Feuilleton
und die Kritik beschränkten und nur hin und wieder einen Vorstoß auf die
Bühne wagten, gab es in den siebziger und achtziger Jahre eine ganze Menge,
sie sind auch heute noch nicht ganz ausgestorben. Auch Ludwig Fulda muß
man in einer gewissen Beziehung zum Feuilletouismus zählen; er hat freilich
mehr Geschmack und Bildung als seine Vorgänger, auch ein hübsches formal-
Poetisches Talent, aber im Kern ist er ihres Geschlechts, wie seine Epigramme,
seine geistreichen Lustspiele mit ihrem Mangel an Naivität, seine Schauspiele,
die dafür um so reichlicher Sentimentalität haben, selbst sein berühmter
."Talisman" beweisen. Aber er gehört doch schon der Übergangsperiode an.

Neben Lindau muß man sich in der Gründerzeit dann Jacques Offenbach
stehend denken. Doch waren wir im neuen Reich nicht mehr auf die Operetten¬
einfuhr aus Frankreich angewiesen, so gut uns auch die "schöne Helena"
immer noch schmeckte, seit 1874 hatten wir die berühmte "Fledermaus", die
auch recht amüsant ist und des erfreulichen Nachwuchses nicht entbehrte. Mit


Die Alten und die Jungen

tirer Romans. Diesem Zweig seiner Produktion hat man mit dem Schlagworte
„höhere Kolportageromane" alle Ehre angethan. Immer blieb Lindau der
,,Mann der Gegenwart," zeigte eine feine Nase für das Zeitgemäße, doch wurde
er seit Anfang der achtziger Jahre scharf angegriffen und mußte Anfang der
neunziger Jahre einiger „Unannehmlichkeiten" halber Berlin verlassen. Seit¬
dem war er für die ernsthaften Leute in Deutschland tot; er starb aber
nicht, sondern ging zunächst nach Dresden und soll jetzt Hoftheaterintendant
irgendwo im Meiningischen sein.

Ganz ähnlich wie Lindau machte nach ihm Oskar Blumenthal seinen
Weg. Seine „litterarischen Rücksichtslosigkeiten" heißen „Allerlei Ungezogen¬
heiten" (1874), seine kritische Thätigkeit an dem „Berliner Tageblatt," das
man bei der Charakteristik des Feuilletonismus ja nicht vergessen darf, ver¬
schaffte ihm den Beinamen des „Blutigen." Blumenthal hat ein hübsches
epigrammatisches Talent, und das konnte er natürlich nicht besser verwenden,
als daß er Dramen schrieb. Auch er hatte große Erfolge und war imstande,
Lindau im Anfang der achtziger Jahre in den Hintergrund zu drängen.
Seine Dramen, im ganzen Nachahmungen der spätern Werke Sardous, sind,
wie schon ihre Titel („Ein Tropfen Gift," „Der Probepfeil," „Die große Glocke")
anzeigen, raffinirter und daher noch unerträglicher als die Lindaus. In
unsern Tagen ist Blumenthal — seit 1888 Direktor des Berliner Lessing¬
theaters — ein ganz gewöhnlicher Posfenfabrikant geworden.

War Lindau, wie es kein gebildeter Mensch bezweifeln durfte, der deutsche
„Dumas Sohn," Blumenthal unser Sardon, so blieb für Hugo Lubliner, der
sich zuerst Hugo Bürger nannte, der Vergleich mit Pailleron. Er hat lit¬
terarisch weniger auf dem Gewissen als seine beiden Kollegen, ist aber auch
ein gutes Teil breiter und langweiliger.

Kleine Lindaus und Blumenthals, die sich aber meist auf das Feuilleton
und die Kritik beschränkten und nur hin und wieder einen Vorstoß auf die
Bühne wagten, gab es in den siebziger und achtziger Jahre eine ganze Menge,
sie sind auch heute noch nicht ganz ausgestorben. Auch Ludwig Fulda muß
man in einer gewissen Beziehung zum Feuilletouismus zählen; er hat freilich
mehr Geschmack und Bildung als seine Vorgänger, auch ein hübsches formal-
Poetisches Talent, aber im Kern ist er ihres Geschlechts, wie seine Epigramme,
seine geistreichen Lustspiele mit ihrem Mangel an Naivität, seine Schauspiele,
die dafür um so reichlicher Sentimentalität haben, selbst sein berühmter
.»Talisman" beweisen. Aber er gehört doch schon der Übergangsperiode an.

Neben Lindau muß man sich in der Gründerzeit dann Jacques Offenbach
stehend denken. Doch waren wir im neuen Reich nicht mehr auf die Operetten¬
einfuhr aus Frankreich angewiesen, so gut uns auch die „schöne Helena"
immer noch schmeckte, seit 1874 hatten wir die berühmte „Fledermaus", die
auch recht amüsant ist und des erfreulichen Nachwuchses nicht entbehrte. Mit


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[0375] Die Alten und die Jungen tirer Romans. Diesem Zweig seiner Produktion hat man mit dem Schlagworte „höhere Kolportageromane" alle Ehre angethan. Immer blieb Lindau der ,,Mann der Gegenwart," zeigte eine feine Nase für das Zeitgemäße, doch wurde er seit Anfang der achtziger Jahre scharf angegriffen und mußte Anfang der neunziger Jahre einiger „Unannehmlichkeiten" halber Berlin verlassen. Seit¬ dem war er für die ernsthaften Leute in Deutschland tot; er starb aber nicht, sondern ging zunächst nach Dresden und soll jetzt Hoftheaterintendant irgendwo im Meiningischen sein. Ganz ähnlich wie Lindau machte nach ihm Oskar Blumenthal seinen Weg. Seine „litterarischen Rücksichtslosigkeiten" heißen „Allerlei Ungezogen¬ heiten" (1874), seine kritische Thätigkeit an dem „Berliner Tageblatt," das man bei der Charakteristik des Feuilletonismus ja nicht vergessen darf, ver¬ schaffte ihm den Beinamen des „Blutigen." Blumenthal hat ein hübsches epigrammatisches Talent, und das konnte er natürlich nicht besser verwenden, als daß er Dramen schrieb. Auch er hatte große Erfolge und war imstande, Lindau im Anfang der achtziger Jahre in den Hintergrund zu drängen. Seine Dramen, im ganzen Nachahmungen der spätern Werke Sardous, sind, wie schon ihre Titel („Ein Tropfen Gift," „Der Probepfeil," „Die große Glocke") anzeigen, raffinirter und daher noch unerträglicher als die Lindaus. In unsern Tagen ist Blumenthal — seit 1888 Direktor des Berliner Lessing¬ theaters — ein ganz gewöhnlicher Posfenfabrikant geworden. War Lindau, wie es kein gebildeter Mensch bezweifeln durfte, der deutsche „Dumas Sohn," Blumenthal unser Sardon, so blieb für Hugo Lubliner, der sich zuerst Hugo Bürger nannte, der Vergleich mit Pailleron. Er hat lit¬ terarisch weniger auf dem Gewissen als seine beiden Kollegen, ist aber auch ein gutes Teil breiter und langweiliger. Kleine Lindaus und Blumenthals, die sich aber meist auf das Feuilleton und die Kritik beschränkten und nur hin und wieder einen Vorstoß auf die Bühne wagten, gab es in den siebziger und achtziger Jahre eine ganze Menge, sie sind auch heute noch nicht ganz ausgestorben. Auch Ludwig Fulda muß man in einer gewissen Beziehung zum Feuilletouismus zählen; er hat freilich mehr Geschmack und Bildung als seine Vorgänger, auch ein hübsches formal- Poetisches Talent, aber im Kern ist er ihres Geschlechts, wie seine Epigramme, seine geistreichen Lustspiele mit ihrem Mangel an Naivität, seine Schauspiele, die dafür um so reichlicher Sentimentalität haben, selbst sein berühmter .»Talisman" beweisen. Aber er gehört doch schon der Übergangsperiode an. Neben Lindau muß man sich in der Gründerzeit dann Jacques Offenbach stehend denken. Doch waren wir im neuen Reich nicht mehr auf die Operetten¬ einfuhr aus Frankreich angewiesen, so gut uns auch die „schöne Helena" immer noch schmeckte, seit 1874 hatten wir die berühmte „Fledermaus", die auch recht amüsant ist und des erfreulichen Nachwuchses nicht entbehrte. Mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/375>, abgerufen am 25.11.2024.