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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

dem Kapital in der engsten Verbindung standen und endlich über einzelne
scheinbar glänzende Eigenschaften verfügten, wie über deu Witz, der den
Deutschen immer imponirt hat, einfach verblüffen und verdummen. Große
Teile des Volkes waren ja auch von der Zeitkrankheit ergriffen und genossen
mit Behagen die feuilletonistische Litteratur, andre waren dem Leben der
Gegenwart so völlig entfremdet, daß sie gar nichts merkten. Zu tadeln sind
nur die deutschen Dichter und Schriftsteller, die, obwohl sie die Verwerflich¬
keit und Niedrigkeit der ganzen Richtung erkennen mußten, doch Hand in
Hand mit ihr gingen und sogar von unreinen Händen gepflückte Kränze annahmen.

Als Typus der neuen Preß- und Littcraturbeherrscher muß Paul Lindau
gelten, der "Mann der Gegenwart," wie ihn die "Gartenlaube," das ver¬
breiterte deutsche Volksblatt der Zeit, feiernd nannte. Seine unheilvolle
Thätigkeit ist im letzten Jahrzehnt so oft geschildert worden, daß ich mich
auf das Notwendigste beschränken kann. Nachdem er im Anfang der sech¬
ziger Jahre in Paris seine Lehrjahre durchgemacht und den französischen
Feuilletonisten und Dramatikern die Mache abgesehen hatte, kam er 1864 nach
Deutschland zurück und war zunächst bei verschiednen Provinzialblättern thätig,
bis er im Jahre 1870 in Leipzig das "Neue Blatt" gründete, in dessen
Briefkasten er zuerst die Fülle seines Witzes ausschüttete. Gleichzeitig er¬
schienen die"HarmlvsenBriefe einesdcutschenKleinstädters" und die "Litterarischen
Rücksichtslosigkeiten," die vielleicht das Niederträchtigste sind, was die deutsche
Kritik hervorgebracht hat. Fast alle Größen der Zeit werden in dein Buch
auf das bösartigste angegriffen, und zwar im Gründe völlig zwecklos, vom
Zaun gebrochen, ohne jede höhere Anschauung; man wird unwillkürlich an
den Lakaien erinnert, der seinen Herrn kntisirt. Aber Lindau erreichte mit
seinen Kritiken seinen Zweck, der gefürchtete Mann zu werden, und gründete
1872 die "Gegenwart"; gleichzeitig begann er seine dramatische Thätigkeit,
die in dem erfolgreichen Lustspiel "Der Erfolg" gipfelte. Auch Liudaus
Dramen sind oft genug charcckterisirt worden, sodaß ich mich nicht in besondre
Unkosten zu stürzen brauche. Die Lustspiele glänzen durch das jüdische
oder Berliner Surrogat für den französischen Esprit, die Schauspiele zeichnen
sich meist durch widerliche Sentimentalität aus; alle gehen auf das große
Vorbild der Franzosen zurück, sind aber vorsichtigerweise mit starken Dosen
deutscher Spießbürgerlichkeit versetzt, damit sie ja nicht anstoßen. Im Ganzen
erhält man das berühmte Bild von der Katze, die um den heißen Brei schleicht.
Im Laufe seiner Entwicklung wurde Lindau übrigens kecker und freier, er
profitirte auf seine Weise vom Naturalismus, unterließ es aber nicht, diesen
mit "sittlicher" Tendenz zu versehen ("Die beiden Leonoren" 1888). Zuletzt
verfiel er dem schändlichsten Sensationsdrama. Auch dem Roman widmete
er seine erfolgreiche Thätigkeit und wurde für einige Jahre, als sich die neue
Richtung noch nicht durchgerungen hatte, einer der Hauptvertreter des Ber-


Die Alten und die Jungen

dem Kapital in der engsten Verbindung standen und endlich über einzelne
scheinbar glänzende Eigenschaften verfügten, wie über deu Witz, der den
Deutschen immer imponirt hat, einfach verblüffen und verdummen. Große
Teile des Volkes waren ja auch von der Zeitkrankheit ergriffen und genossen
mit Behagen die feuilletonistische Litteratur, andre waren dem Leben der
Gegenwart so völlig entfremdet, daß sie gar nichts merkten. Zu tadeln sind
nur die deutschen Dichter und Schriftsteller, die, obwohl sie die Verwerflich¬
keit und Niedrigkeit der ganzen Richtung erkennen mußten, doch Hand in
Hand mit ihr gingen und sogar von unreinen Händen gepflückte Kränze annahmen.

Als Typus der neuen Preß- und Littcraturbeherrscher muß Paul Lindau
gelten, der „Mann der Gegenwart," wie ihn die „Gartenlaube," das ver¬
breiterte deutsche Volksblatt der Zeit, feiernd nannte. Seine unheilvolle
Thätigkeit ist im letzten Jahrzehnt so oft geschildert worden, daß ich mich
auf das Notwendigste beschränken kann. Nachdem er im Anfang der sech¬
ziger Jahre in Paris seine Lehrjahre durchgemacht und den französischen
Feuilletonisten und Dramatikern die Mache abgesehen hatte, kam er 1864 nach
Deutschland zurück und war zunächst bei verschiednen Provinzialblättern thätig,
bis er im Jahre 1870 in Leipzig das „Neue Blatt" gründete, in dessen
Briefkasten er zuerst die Fülle seines Witzes ausschüttete. Gleichzeitig er¬
schienen die„HarmlvsenBriefe einesdcutschenKleinstädters" und die „Litterarischen
Rücksichtslosigkeiten," die vielleicht das Niederträchtigste sind, was die deutsche
Kritik hervorgebracht hat. Fast alle Größen der Zeit werden in dein Buch
auf das bösartigste angegriffen, und zwar im Gründe völlig zwecklos, vom
Zaun gebrochen, ohne jede höhere Anschauung; man wird unwillkürlich an
den Lakaien erinnert, der seinen Herrn kntisirt. Aber Lindau erreichte mit
seinen Kritiken seinen Zweck, der gefürchtete Mann zu werden, und gründete
1872 die „Gegenwart"; gleichzeitig begann er seine dramatische Thätigkeit,
die in dem erfolgreichen Lustspiel „Der Erfolg" gipfelte. Auch Liudaus
Dramen sind oft genug charcckterisirt worden, sodaß ich mich nicht in besondre
Unkosten zu stürzen brauche. Die Lustspiele glänzen durch das jüdische
oder Berliner Surrogat für den französischen Esprit, die Schauspiele zeichnen
sich meist durch widerliche Sentimentalität aus; alle gehen auf das große
Vorbild der Franzosen zurück, sind aber vorsichtigerweise mit starken Dosen
deutscher Spießbürgerlichkeit versetzt, damit sie ja nicht anstoßen. Im Ganzen
erhält man das berühmte Bild von der Katze, die um den heißen Brei schleicht.
Im Laufe seiner Entwicklung wurde Lindau übrigens kecker und freier, er
profitirte auf seine Weise vom Naturalismus, unterließ es aber nicht, diesen
mit „sittlicher" Tendenz zu versehen („Die beiden Leonoren" 1888). Zuletzt
verfiel er dem schändlichsten Sensationsdrama. Auch dem Roman widmete
er seine erfolgreiche Thätigkeit und wurde für einige Jahre, als sich die neue
Richtung noch nicht durchgerungen hatte, einer der Hauptvertreter des Ber-


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[0374] Die Alten und die Jungen dem Kapital in der engsten Verbindung standen und endlich über einzelne scheinbar glänzende Eigenschaften verfügten, wie über deu Witz, der den Deutschen immer imponirt hat, einfach verblüffen und verdummen. Große Teile des Volkes waren ja auch von der Zeitkrankheit ergriffen und genossen mit Behagen die feuilletonistische Litteratur, andre waren dem Leben der Gegenwart so völlig entfremdet, daß sie gar nichts merkten. Zu tadeln sind nur die deutschen Dichter und Schriftsteller, die, obwohl sie die Verwerflich¬ keit und Niedrigkeit der ganzen Richtung erkennen mußten, doch Hand in Hand mit ihr gingen und sogar von unreinen Händen gepflückte Kränze annahmen. Als Typus der neuen Preß- und Littcraturbeherrscher muß Paul Lindau gelten, der „Mann der Gegenwart," wie ihn die „Gartenlaube," das ver¬ breiterte deutsche Volksblatt der Zeit, feiernd nannte. Seine unheilvolle Thätigkeit ist im letzten Jahrzehnt so oft geschildert worden, daß ich mich auf das Notwendigste beschränken kann. Nachdem er im Anfang der sech¬ ziger Jahre in Paris seine Lehrjahre durchgemacht und den französischen Feuilletonisten und Dramatikern die Mache abgesehen hatte, kam er 1864 nach Deutschland zurück und war zunächst bei verschiednen Provinzialblättern thätig, bis er im Jahre 1870 in Leipzig das „Neue Blatt" gründete, in dessen Briefkasten er zuerst die Fülle seines Witzes ausschüttete. Gleichzeitig er¬ schienen die„HarmlvsenBriefe einesdcutschenKleinstädters" und die „Litterarischen Rücksichtslosigkeiten," die vielleicht das Niederträchtigste sind, was die deutsche Kritik hervorgebracht hat. Fast alle Größen der Zeit werden in dein Buch auf das bösartigste angegriffen, und zwar im Gründe völlig zwecklos, vom Zaun gebrochen, ohne jede höhere Anschauung; man wird unwillkürlich an den Lakaien erinnert, der seinen Herrn kntisirt. Aber Lindau erreichte mit seinen Kritiken seinen Zweck, der gefürchtete Mann zu werden, und gründete 1872 die „Gegenwart"; gleichzeitig begann er seine dramatische Thätigkeit, die in dem erfolgreichen Lustspiel „Der Erfolg" gipfelte. Auch Liudaus Dramen sind oft genug charcckterisirt worden, sodaß ich mich nicht in besondre Unkosten zu stürzen brauche. Die Lustspiele glänzen durch das jüdische oder Berliner Surrogat für den französischen Esprit, die Schauspiele zeichnen sich meist durch widerliche Sentimentalität aus; alle gehen auf das große Vorbild der Franzosen zurück, sind aber vorsichtigerweise mit starken Dosen deutscher Spießbürgerlichkeit versetzt, damit sie ja nicht anstoßen. Im Ganzen erhält man das berühmte Bild von der Katze, die um den heißen Brei schleicht. Im Laufe seiner Entwicklung wurde Lindau übrigens kecker und freier, er profitirte auf seine Weise vom Naturalismus, unterließ es aber nicht, diesen mit „sittlicher" Tendenz zu versehen („Die beiden Leonoren" 1888). Zuletzt verfiel er dem schändlichsten Sensationsdrama. Auch dem Roman widmete er seine erfolgreiche Thätigkeit und wurde für einige Jahre, als sich die neue Richtung noch nicht durchgerungen hatte, einer der Hauptvertreter des Ber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/374>, abgerufen am 25.11.2024.