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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

später, im Anfang der achtziger Jahre ihre Höhe. Um die Mitte der siebziger
glaubte man im allgemeinen noch an die bisher das deutsche Volk beherrschen¬
den nationalen und liberalen Ideen; erst als man diesen Glauben verlor und
zunächst keinen neuen Halt fand, als man anfing, an allem Göttlichen und
Menschlichen zu verzweifeln und die ganze gegenwärtige Gesellschaft verfault,
die Zukunft immer gefahrdrohender erschien, und der Zweifel nun anch die
Besten des Volkes ergriff, da trat das ein, was ich die Hochdecadenee nenne.
Aber freilich, sie wäre nicht so bald eingetreten, wenn ihr die Gründerperiode
mit ihren Orgien des niederträchtigsten Kapitalismus nicht so gewaltig vor¬
gearbeitet hätte; auf den nackten, frechen Materialismus der Gründerzeit
mußte notwendig eine Periode des Pessimismus folgen, wenn dieser Pessi¬
mismus auch uoch aus weit tiefer liegenden Ursachen seine Nahrung zog, als
aus dem großen Taumel nach dem siegreichen Kriege.

Die Litteratur der Gründerzeit kann man am besten mit dem Namen
Feuilletonismus bezeichnen. Das ist eine sehr milde Bezeichnung, aber da
in der That alles, was die Richtung hervorbrachte, entweder Feuilleton war
oder, ob nun Drama oder Roman, aus dem Feuilleton Heranswuchs, so ist
sie richtig, zumal da sie zugleich anzeigt, daß die ganze Richtung mit der
Poesie gar nichts zu thun hatte. Man könnte sie in der Geschichte der
deutschen Dichtung vollständig übergehen und es der Kulturgeschichte über¬
lassen, sie zu richten, wenn sie nicht den frechen Anspruch erhoben hätte,
wirklich die Dichtung der Gegenwart zu sein und alle Poesie zurückgedrängt,
ja sie, kritisch witzelnd, wie sie auftrat, verhöhnt und verspottet hätte. Der
Feuilletonismus ist im Grunde nicht Decadence, wenigstens nicht im Sinne
der Weigandschen Erklärung, sondern einfach Korruption. Er leitet sich aus
dem Paris des zweiten Kaiserreichs her und behielt die französischen Litte¬
ratur- und Preßzustände immer als Ideal vor Augen; sein Sitz wurden unsre
Großstädte, vor allem Berlin, von wo aus man dann durch raffinirte Aus¬
beutung der Macht der Presse auch die "Provinz" -- der Begriff kam auch
aus Frankreich -- eroberte, seine Hauptvertreter waren Juden und Juden¬
genossen. Sowohl die Erhebung Berlins zur litterarischen Hauptstadt als
auch die herrschende Stellung, die das Judentum in der Presse erlangte und
in der Litteratur mit allen Mitteln zu erlangen strebte, stammen aus dieser
Zeit und sind in ihren bösen Folgen nie wieder überwunden worden. Nur
einige wenige Juden der ältern Generation haben sich bei dem "Geschäft"
nicht beteiligt und sich die Achtung des deutschen Volkes bewahrt. Im
übrigen merkte das Volk die Korruption der Litteratur gar uicht, sondern
ließ sich die schmachvolle Herrschaft der französisirten Journalisten -- weiter
waren sie allesamt nichts -- gemütlich gefallen, ließ sich, da die Herren
immer wieder den Anspruch erhoben, die zeitgemäßen Vertreter der Litteratur
zu sein, und es nicht an der nötigen Frechheit fehlen ließen, da sie ferner mit


Die Alten und die Jungen

später, im Anfang der achtziger Jahre ihre Höhe. Um die Mitte der siebziger
glaubte man im allgemeinen noch an die bisher das deutsche Volk beherrschen¬
den nationalen und liberalen Ideen; erst als man diesen Glauben verlor und
zunächst keinen neuen Halt fand, als man anfing, an allem Göttlichen und
Menschlichen zu verzweifeln und die ganze gegenwärtige Gesellschaft verfault,
die Zukunft immer gefahrdrohender erschien, und der Zweifel nun anch die
Besten des Volkes ergriff, da trat das ein, was ich die Hochdecadenee nenne.
Aber freilich, sie wäre nicht so bald eingetreten, wenn ihr die Gründerperiode
mit ihren Orgien des niederträchtigsten Kapitalismus nicht so gewaltig vor¬
gearbeitet hätte; auf den nackten, frechen Materialismus der Gründerzeit
mußte notwendig eine Periode des Pessimismus folgen, wenn dieser Pessi¬
mismus auch uoch aus weit tiefer liegenden Ursachen seine Nahrung zog, als
aus dem großen Taumel nach dem siegreichen Kriege.

Die Litteratur der Gründerzeit kann man am besten mit dem Namen
Feuilletonismus bezeichnen. Das ist eine sehr milde Bezeichnung, aber da
in der That alles, was die Richtung hervorbrachte, entweder Feuilleton war
oder, ob nun Drama oder Roman, aus dem Feuilleton Heranswuchs, so ist
sie richtig, zumal da sie zugleich anzeigt, daß die ganze Richtung mit der
Poesie gar nichts zu thun hatte. Man könnte sie in der Geschichte der
deutschen Dichtung vollständig übergehen und es der Kulturgeschichte über¬
lassen, sie zu richten, wenn sie nicht den frechen Anspruch erhoben hätte,
wirklich die Dichtung der Gegenwart zu sein und alle Poesie zurückgedrängt,
ja sie, kritisch witzelnd, wie sie auftrat, verhöhnt und verspottet hätte. Der
Feuilletonismus ist im Grunde nicht Decadence, wenigstens nicht im Sinne
der Weigandschen Erklärung, sondern einfach Korruption. Er leitet sich aus
dem Paris des zweiten Kaiserreichs her und behielt die französischen Litte¬
ratur- und Preßzustände immer als Ideal vor Augen; sein Sitz wurden unsre
Großstädte, vor allem Berlin, von wo aus man dann durch raffinirte Aus¬
beutung der Macht der Presse auch die „Provinz" — der Begriff kam auch
aus Frankreich — eroberte, seine Hauptvertreter waren Juden und Juden¬
genossen. Sowohl die Erhebung Berlins zur litterarischen Hauptstadt als
auch die herrschende Stellung, die das Judentum in der Presse erlangte und
in der Litteratur mit allen Mitteln zu erlangen strebte, stammen aus dieser
Zeit und sind in ihren bösen Folgen nie wieder überwunden worden. Nur
einige wenige Juden der ältern Generation haben sich bei dem „Geschäft"
nicht beteiligt und sich die Achtung des deutschen Volkes bewahrt. Im
übrigen merkte das Volk die Korruption der Litteratur gar uicht, sondern
ließ sich die schmachvolle Herrschaft der französisirten Journalisten — weiter
waren sie allesamt nichts — gemütlich gefallen, ließ sich, da die Herren
immer wieder den Anspruch erhoben, die zeitgemäßen Vertreter der Litteratur
zu sein, und es nicht an der nötigen Frechheit fehlen ließen, da sie ferner mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/373>, abgerufen am 01.09.2024.