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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

und die erzgebirgische Bergmannstracht treffen in dieser Beziehung das Richtige.
Seitdem Innsbruck mit seiner wohlgelungnen Landesausstellung 1893 ein
Trachtenfest verband, das ungeahnte Schätze von schönen alten Kleidungs-
nnd Ausrüstungsstücken an den Tag brachte -- schon die ursprünglichen Regen¬
schirme, die "Paradachln" waren des Studiums würdig --, hat München 1895
und in demselben Jahre Freiburg ein solches Fest gefeiert, und im Frühjahr 1896
hat Zürich das Einläuten des Frühlings mit einem Trachtenfest verbunden.
Am 29. September 1895 kamen in Freiburg gegen 2000 Landleute von den ent¬
legensten Schwarzwaldthälern bis in die Rheinebene bei Straßbnrg in ihren
Trachten zusammen, und alles war eine Stimme über die Schönheit dieser
Trachten. Ein Hauptverdienst des Münchner Trachtenfestes war die Vor¬
führung von ganz vergebenen baierisch-schwäbischen und fränkischen Trachten,
die bei dieser Gelegenheit sozusagen wieder entdeckt wurden. Gewiß ist gerade
dadurch das Interesse für die Trachten überhaupt neu belebt worden. Aber
bei allen diesen Schaustellungen konnte man den Eindruck nicht los werden,
daß sie sich ins Theatralische verirren und unpraktisch werden aus lauter
historischem Bestreben und Kuriositätenkram. Besonders in Innsbruck sah man
die reinen Defregger-Modelle, die am Biertisch beim Breinösl faßen, wie von
der Bühne entflohene Choristen in einem Zwischenakt. Der Sache selbst wird es
kaum nützen, daß man den ältesten Plunder ausgräbt. Man erzielt damit
höchstens einen vorübergehenden Erfolg bei müßigen Zuschauern; und das ist
nicht selten ein Heiterleitserfvlg, der die Träger solcher Jnventarstücke nicht
begeistern wird. In der Dresdner Ausstellung ist neulich auch ein Trachten¬
fest gefeiert wordeu. Das klingt ja unwahrscheinlich, denn Sachsen hat, bis
auf die Wenden, seine Trachten längst aufgegeben, es ist thatsächlich das
trachtenloseste Land in Deutschland. Ob eine solche Wiederbelebung des nicht
schlummernden, sondern gänzlich abgestorbnen Altertümlichen etwas fruchten
wird, ist doch zu bezweifeln. In der sächsischen Lausitz strebt man die Er¬
haltung der Trachten längst an, aber das ist eine Bewegung sozusagen in der
Familie: sie betrifft nur die Wenden. Bei den Deutschen ist auch dort von
Tracht nichts mehr zu erhalten, im besten Fall nur noch im Museum hinter
Glas und Rahmen.

In Oberbaiern und Bairisch-Schwaben hat die Trachtenbewegung schon lange
vor diesen Festen begonnen, und ehe die Zeitungen davon etwas merkten und
der Außenwelt mitteilten, hat sie Früchte getragen. Der konservative Sinn
und der Kunstsinn, die dem Volke dieser Landschaften in allen Schichten inne-
wohnen, konnten nicht unthätig dem Verfall altgewohnter Trachten zusehen.
Ihnen kam die unleugbare Thatsache zu Hilfe, daß so manche von den hiesigen
Trachten augenfällig vorteilhaft find, sei es durch Schönheit oder Nützlichkeit.
Das grüne Hüatl mit der Goldschnur oder den grünen Seidenquasteln ist nun
einmal eine der schönsten Kopfbedeckungen, die Joppe ist ein zwanglos-prak-


Unsre Volkstrachten

und die erzgebirgische Bergmannstracht treffen in dieser Beziehung das Richtige.
Seitdem Innsbruck mit seiner wohlgelungnen Landesausstellung 1893 ein
Trachtenfest verband, das ungeahnte Schätze von schönen alten Kleidungs-
nnd Ausrüstungsstücken an den Tag brachte — schon die ursprünglichen Regen¬
schirme, die „Paradachln" waren des Studiums würdig —, hat München 1895
und in demselben Jahre Freiburg ein solches Fest gefeiert, und im Frühjahr 1896
hat Zürich das Einläuten des Frühlings mit einem Trachtenfest verbunden.
Am 29. September 1895 kamen in Freiburg gegen 2000 Landleute von den ent¬
legensten Schwarzwaldthälern bis in die Rheinebene bei Straßbnrg in ihren
Trachten zusammen, und alles war eine Stimme über die Schönheit dieser
Trachten. Ein Hauptverdienst des Münchner Trachtenfestes war die Vor¬
führung von ganz vergebenen baierisch-schwäbischen und fränkischen Trachten,
die bei dieser Gelegenheit sozusagen wieder entdeckt wurden. Gewiß ist gerade
dadurch das Interesse für die Trachten überhaupt neu belebt worden. Aber
bei allen diesen Schaustellungen konnte man den Eindruck nicht los werden,
daß sie sich ins Theatralische verirren und unpraktisch werden aus lauter
historischem Bestreben und Kuriositätenkram. Besonders in Innsbruck sah man
die reinen Defregger-Modelle, die am Biertisch beim Breinösl faßen, wie von
der Bühne entflohene Choristen in einem Zwischenakt. Der Sache selbst wird es
kaum nützen, daß man den ältesten Plunder ausgräbt. Man erzielt damit
höchstens einen vorübergehenden Erfolg bei müßigen Zuschauern; und das ist
nicht selten ein Heiterleitserfvlg, der die Träger solcher Jnventarstücke nicht
begeistern wird. In der Dresdner Ausstellung ist neulich auch ein Trachten¬
fest gefeiert wordeu. Das klingt ja unwahrscheinlich, denn Sachsen hat, bis
auf die Wenden, seine Trachten längst aufgegeben, es ist thatsächlich das
trachtenloseste Land in Deutschland. Ob eine solche Wiederbelebung des nicht
schlummernden, sondern gänzlich abgestorbnen Altertümlichen etwas fruchten
wird, ist doch zu bezweifeln. In der sächsischen Lausitz strebt man die Er¬
haltung der Trachten längst an, aber das ist eine Bewegung sozusagen in der
Familie: sie betrifft nur die Wenden. Bei den Deutschen ist auch dort von
Tracht nichts mehr zu erhalten, im besten Fall nur noch im Museum hinter
Glas und Rahmen.

In Oberbaiern und Bairisch-Schwaben hat die Trachtenbewegung schon lange
vor diesen Festen begonnen, und ehe die Zeitungen davon etwas merkten und
der Außenwelt mitteilten, hat sie Früchte getragen. Der konservative Sinn
und der Kunstsinn, die dem Volke dieser Landschaften in allen Schichten inne-
wohnen, konnten nicht unthätig dem Verfall altgewohnter Trachten zusehen.
Ihnen kam die unleugbare Thatsache zu Hilfe, daß so manche von den hiesigen
Trachten augenfällig vorteilhaft find, sei es durch Schönheit oder Nützlichkeit.
Das grüne Hüatl mit der Goldschnur oder den grünen Seidenquasteln ist nun
einmal eine der schönsten Kopfbedeckungen, die Joppe ist ein zwanglos-prak-


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[0367] Unsre Volkstrachten und die erzgebirgische Bergmannstracht treffen in dieser Beziehung das Richtige. Seitdem Innsbruck mit seiner wohlgelungnen Landesausstellung 1893 ein Trachtenfest verband, das ungeahnte Schätze von schönen alten Kleidungs- nnd Ausrüstungsstücken an den Tag brachte — schon die ursprünglichen Regen¬ schirme, die „Paradachln" waren des Studiums würdig —, hat München 1895 und in demselben Jahre Freiburg ein solches Fest gefeiert, und im Frühjahr 1896 hat Zürich das Einläuten des Frühlings mit einem Trachtenfest verbunden. Am 29. September 1895 kamen in Freiburg gegen 2000 Landleute von den ent¬ legensten Schwarzwaldthälern bis in die Rheinebene bei Straßbnrg in ihren Trachten zusammen, und alles war eine Stimme über die Schönheit dieser Trachten. Ein Hauptverdienst des Münchner Trachtenfestes war die Vor¬ führung von ganz vergebenen baierisch-schwäbischen und fränkischen Trachten, die bei dieser Gelegenheit sozusagen wieder entdeckt wurden. Gewiß ist gerade dadurch das Interesse für die Trachten überhaupt neu belebt worden. Aber bei allen diesen Schaustellungen konnte man den Eindruck nicht los werden, daß sie sich ins Theatralische verirren und unpraktisch werden aus lauter historischem Bestreben und Kuriositätenkram. Besonders in Innsbruck sah man die reinen Defregger-Modelle, die am Biertisch beim Breinösl faßen, wie von der Bühne entflohene Choristen in einem Zwischenakt. Der Sache selbst wird es kaum nützen, daß man den ältesten Plunder ausgräbt. Man erzielt damit höchstens einen vorübergehenden Erfolg bei müßigen Zuschauern; und das ist nicht selten ein Heiterleitserfvlg, der die Träger solcher Jnventarstücke nicht begeistern wird. In der Dresdner Ausstellung ist neulich auch ein Trachten¬ fest gefeiert wordeu. Das klingt ja unwahrscheinlich, denn Sachsen hat, bis auf die Wenden, seine Trachten längst aufgegeben, es ist thatsächlich das trachtenloseste Land in Deutschland. Ob eine solche Wiederbelebung des nicht schlummernden, sondern gänzlich abgestorbnen Altertümlichen etwas fruchten wird, ist doch zu bezweifeln. In der sächsischen Lausitz strebt man die Er¬ haltung der Trachten längst an, aber das ist eine Bewegung sozusagen in der Familie: sie betrifft nur die Wenden. Bei den Deutschen ist auch dort von Tracht nichts mehr zu erhalten, im besten Fall nur noch im Museum hinter Glas und Rahmen. In Oberbaiern und Bairisch-Schwaben hat die Trachtenbewegung schon lange vor diesen Festen begonnen, und ehe die Zeitungen davon etwas merkten und der Außenwelt mitteilten, hat sie Früchte getragen. Der konservative Sinn und der Kunstsinn, die dem Volke dieser Landschaften in allen Schichten inne- wohnen, konnten nicht unthätig dem Verfall altgewohnter Trachten zusehen. Ihnen kam die unleugbare Thatsache zu Hilfe, daß so manche von den hiesigen Trachten augenfällig vorteilhaft find, sei es durch Schönheit oder Nützlichkeit. Das grüne Hüatl mit der Goldschnur oder den grünen Seidenquasteln ist nun einmal eine der schönsten Kopfbedeckungen, die Joppe ist ein zwanglos-prak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/367>, abgerufen am 26.11.2024.