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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

Uns hat das alles nicht abgehalten, auf das Beachtenswerte in seinen Büchern
hinzuweisen. Die Konservativen werden ihm vielleicht Absolution erteilen,
wenn sie erfahren, daß er, wie man auf S. 290 der "Hundert Jahre" liest,
schon einmal wegen einer Duellforderung auf der Festung gesessen hat.




Unsre Volkstrachten

le dahinschwindende Volkstracht zu erhalten bemüht man sich
jetzt in den verschiedensten Teilen Deutschlands. Aus kleinen,
fast zufälligen Anfängen, die belächelt wurden, ist diese Bewegung
zu einer sozialen geworden. Sie will uns mit den Trachten
den guten deutschen Bauer erhalten, der sich allein noch nicht
überall städtisch-modisch-charakterlos trägt. Das scheint ja sehr äußerlich an¬
gefaßt zu sein, es greift aber doch bis in den Kern. Denn in der Tracht spricht
sich das Standesgefühl aus, das einen wichtigen Teil des Volkes zusammen¬
hält, und dieselbe Pietät, die die Formen und Farben der Kleidung der Eltern
und Großeltern nicht verlieren will, hält auch gegen zersetzende Einflüsse auf
andern Gebieten Stand. In einem Schriftchen des badischen Volksschriftstellers
Dr. Hansjakob,*) der aus dem an Volkstrachten noch reichen Schwarzwalde
stammt, heißt es: "Wer an der Tracht des Bauern rüttelt, rüttelt am ganzen
Bauer, also auch an seinen religiösen und staatlichen Anschauungen." Nun
wissen wir wohl, daß der Übergang Deutschlands zum Industriestaat gerade
am Bauer noch gehörig rütteln wird. Was ihm in frühern Jahrhunderten
die Kriege anthaten, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen, das besorgt heut¬
zutage der Verkehr. Hier entwertet er, und dort steigert er, und im all¬
gemeinen nicht zu Gunsten des Bauern. Der steht bei weitem nicht mehr so
fest auf seinem Boden wie früher. Aber gleichviel, solange er die Verbindung
mit seinem Boden festhält, bleibt er der gesündeste, zufriedenste, in Wahrheit



*) Unsre Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung von Pfarrer Hansjakob.
Vierte, erweiterte Auflage. Freiburg, 1896. Auf dein Titel ist ein reizendes Köpfchen mit der
Spitzenhaube der nördlichen Schwarzwälderinncn abgebildet. Die Rückseite tragt ein Gruppen¬
bilds wo zwar die Tracht gut gegeben, aber das Gesicht der Bäuerin städtisch verfeinert ist.
Es giebt ja dort so feine Gesichter, aber das sind doch nicht die, die man wiedergiebt, wo "die
Gattung" gezeigt werden soll. Durch solche verfeinerte Trachtenbilder haben die Maler dein
Volk und der Kunst geschadet.
Unsre Volkstrachten

Uns hat das alles nicht abgehalten, auf das Beachtenswerte in seinen Büchern
hinzuweisen. Die Konservativen werden ihm vielleicht Absolution erteilen,
wenn sie erfahren, daß er, wie man auf S. 290 der „Hundert Jahre" liest,
schon einmal wegen einer Duellforderung auf der Festung gesessen hat.




Unsre Volkstrachten

le dahinschwindende Volkstracht zu erhalten bemüht man sich
jetzt in den verschiedensten Teilen Deutschlands. Aus kleinen,
fast zufälligen Anfängen, die belächelt wurden, ist diese Bewegung
zu einer sozialen geworden. Sie will uns mit den Trachten
den guten deutschen Bauer erhalten, der sich allein noch nicht
überall städtisch-modisch-charakterlos trägt. Das scheint ja sehr äußerlich an¬
gefaßt zu sein, es greift aber doch bis in den Kern. Denn in der Tracht spricht
sich das Standesgefühl aus, das einen wichtigen Teil des Volkes zusammen¬
hält, und dieselbe Pietät, die die Formen und Farben der Kleidung der Eltern
und Großeltern nicht verlieren will, hält auch gegen zersetzende Einflüsse auf
andern Gebieten Stand. In einem Schriftchen des badischen Volksschriftstellers
Dr. Hansjakob,*) der aus dem an Volkstrachten noch reichen Schwarzwalde
stammt, heißt es: „Wer an der Tracht des Bauern rüttelt, rüttelt am ganzen
Bauer, also auch an seinen religiösen und staatlichen Anschauungen." Nun
wissen wir wohl, daß der Übergang Deutschlands zum Industriestaat gerade
am Bauer noch gehörig rütteln wird. Was ihm in frühern Jahrhunderten
die Kriege anthaten, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen, das besorgt heut¬
zutage der Verkehr. Hier entwertet er, und dort steigert er, und im all¬
gemeinen nicht zu Gunsten des Bauern. Der steht bei weitem nicht mehr so
fest auf seinem Boden wie früher. Aber gleichviel, solange er die Verbindung
mit seinem Boden festhält, bleibt er der gesündeste, zufriedenste, in Wahrheit



*) Unsre Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung von Pfarrer Hansjakob.
Vierte, erweiterte Auflage. Freiburg, 1896. Auf dein Titel ist ein reizendes Köpfchen mit der
Spitzenhaube der nördlichen Schwarzwälderinncn abgebildet. Die Rückseite tragt ein Gruppen¬
bilds wo zwar die Tracht gut gegeben, aber das Gesicht der Bäuerin städtisch verfeinert ist.
Es giebt ja dort so feine Gesichter, aber das sind doch nicht die, die man wiedergiebt, wo „die
Gattung" gezeigt werden soll. Durch solche verfeinerte Trachtenbilder haben die Maler dein
Volk und der Kunst geschadet.
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[0365] Unsre Volkstrachten Uns hat das alles nicht abgehalten, auf das Beachtenswerte in seinen Büchern hinzuweisen. Die Konservativen werden ihm vielleicht Absolution erteilen, wenn sie erfahren, daß er, wie man auf S. 290 der „Hundert Jahre" liest, schon einmal wegen einer Duellforderung auf der Festung gesessen hat. Unsre Volkstrachten le dahinschwindende Volkstracht zu erhalten bemüht man sich jetzt in den verschiedensten Teilen Deutschlands. Aus kleinen, fast zufälligen Anfängen, die belächelt wurden, ist diese Bewegung zu einer sozialen geworden. Sie will uns mit den Trachten den guten deutschen Bauer erhalten, der sich allein noch nicht überall städtisch-modisch-charakterlos trägt. Das scheint ja sehr äußerlich an¬ gefaßt zu sein, es greift aber doch bis in den Kern. Denn in der Tracht spricht sich das Standesgefühl aus, das einen wichtigen Teil des Volkes zusammen¬ hält, und dieselbe Pietät, die die Formen und Farben der Kleidung der Eltern und Großeltern nicht verlieren will, hält auch gegen zersetzende Einflüsse auf andern Gebieten Stand. In einem Schriftchen des badischen Volksschriftstellers Dr. Hansjakob,*) der aus dem an Volkstrachten noch reichen Schwarzwalde stammt, heißt es: „Wer an der Tracht des Bauern rüttelt, rüttelt am ganzen Bauer, also auch an seinen religiösen und staatlichen Anschauungen." Nun wissen wir wohl, daß der Übergang Deutschlands zum Industriestaat gerade am Bauer noch gehörig rütteln wird. Was ihm in frühern Jahrhunderten die Kriege anthaten, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen, das besorgt heut¬ zutage der Verkehr. Hier entwertet er, und dort steigert er, und im all¬ gemeinen nicht zu Gunsten des Bauern. Der steht bei weitem nicht mehr so fest auf seinem Boden wie früher. Aber gleichviel, solange er die Verbindung mit seinem Boden festhält, bleibt er der gesündeste, zufriedenste, in Wahrheit *) Unsre Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung von Pfarrer Hansjakob. Vierte, erweiterte Auflage. Freiburg, 1896. Auf dein Titel ist ein reizendes Köpfchen mit der Spitzenhaube der nördlichen Schwarzwälderinncn abgebildet. Die Rückseite tragt ein Gruppen¬ bilds wo zwar die Tracht gut gegeben, aber das Gesicht der Bäuerin städtisch verfeinert ist. Es giebt ja dort so feine Gesichter, aber das sind doch nicht die, die man wiedergiebt, wo „die Gattung" gezeigt werden soll. Durch solche verfeinerte Trachtenbilder haben die Maler dein Volk und der Kunst geschadet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/365>, abgerufen am 01.09.2024.