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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein unbequemer Konservativer

Grundsatz huldigen, und so wird jedes Streben nach höherm Lohn als Auf¬
ruhr betrachtet und bestraft. Niemals ist der Mensch furchtbarer, als wenn
er im Irrtum ist, er kann dann ungerecht, grausam sein, und sein Gewissen
ist ruhig, denn er glaubt ja seine Pflicht zu erfüllen. Wird das Volk aber
jemals die Ansicht der Nationalökonomen teilen, wird es sich überzeugen, daß
die furchtbare Ungleichheit in der Belohnung der geistigen und der körper¬
lichen Arbeit, sowie der Dienste des Kapitals in der Natur der Sache begründet
sei? Durch solche Betrachtungen angeregt, wurde ich mit solcher Gewalt zu
meinen frühern, schon jahrelang fortgesetzten Untersuchungen über das Ver¬
hältnis zwischen Zinsfuß und Arbeitslohn zurückgetrieben, daß ich innerhalb
vier Wochen keines andern Gedankens fähig war, obgleich meine Gesundheit
sehr darunter litt." An denselben Bruder schrieb er dreizehn Jahre später:
"Die Unterthänigkeit ist aufgehoben, aber statt deren tritt in allen Ländern,
selbst in dem freien England, für den Arbeiter ein Beschränken aus einen ge¬
wissen Raum, eine zurückweisende verächtliche Behandlung, die drückender ist
als jene. Dies kann nicht der Zweck des Weltgeistes sein, und wir erkennen
daraus, daß in unsrer bürgerlichen Gesellschaft ein ungeheurer Grundfehler
steckt, der durch kein Palliativmittel zu heben ist." In einem Briefe an seine
Tochter kommt der Satz vor: "Ist es nicht unedel, glücklich sein zu wollen,
wenn dies nur durch das Unglück andrer erlangt werden kann?" Daß er
nach seinen Grundsätzen gehandelt haben muß, geht aus der Haltung der
Arbeiter gegen ihn im Jahre 1843 hervor; nicht allein standen seine eignen
Leute treu zu ihm, sondern auch die Arbeiter der andren mecklenburgischen
Güter sagten, gegen Teltow solle nichts unternommen werden, ja sie wollten,
wenn es nötig wäre, zu Hilfe kommen.

Der zweite Teil des Buches enthält Briefe der Herren v. Hehden-
Kartlow, v. Blanckenburg, v, Knebel-Döbcritz, Andrae, Niendorf, des Geheim¬
rath Wagener und des Grafen Bclcredi um Meyer und einige an Bismarck
gerichtete Denkschriften und Berichte Wageners. Die Briefe und Denkschriften
der preußischen Herren geben ein freilich lückenhaftes Bild der katheder¬
sozialistischen Bewegung, und die des Grafen Beleredi bilden einen Beitrag
zur Entstehungsgeschichte der neuen österreichischen Gewerbcgesetzgebung. Heyden
spricht u. a. den richtigen Gedanken aus, daß die vielbeklagte Kreditnot des
Grundbesitzes nicht sowohl eine Kreditnot als eine Vermögensnot sei. So ists!
Wer Vermögen hat, der hat auch Kredit, und jeder hat nach dem Maße seines
Vermögens Kredit. Die sogenannte Kreditnot besteht darin, daß sich Leute,
deren Vermögen für ihre Ansprüche zu klein ist, das Fehlende durch Darlehen
verschaffen wollen, die sie nicht oder wenigstens nicht zu einem niedrigen Zins¬
fuße erhalten, weil sie keine oder keine angemessene Sicherheit gewähren können.
Als Stimmungsbild ist der Brief dieses Herrn vom 19. März 1871 (es steht
verdrückt 1891) interessant. "Ihr "salonfähiger" Sozialismus hat mir sehr


Grenzboten 111 1896 4S
Ein unbequemer Konservativer

Grundsatz huldigen, und so wird jedes Streben nach höherm Lohn als Auf¬
ruhr betrachtet und bestraft. Niemals ist der Mensch furchtbarer, als wenn
er im Irrtum ist, er kann dann ungerecht, grausam sein, und sein Gewissen
ist ruhig, denn er glaubt ja seine Pflicht zu erfüllen. Wird das Volk aber
jemals die Ansicht der Nationalökonomen teilen, wird es sich überzeugen, daß
die furchtbare Ungleichheit in der Belohnung der geistigen und der körper¬
lichen Arbeit, sowie der Dienste des Kapitals in der Natur der Sache begründet
sei? Durch solche Betrachtungen angeregt, wurde ich mit solcher Gewalt zu
meinen frühern, schon jahrelang fortgesetzten Untersuchungen über das Ver¬
hältnis zwischen Zinsfuß und Arbeitslohn zurückgetrieben, daß ich innerhalb
vier Wochen keines andern Gedankens fähig war, obgleich meine Gesundheit
sehr darunter litt." An denselben Bruder schrieb er dreizehn Jahre später:
„Die Unterthänigkeit ist aufgehoben, aber statt deren tritt in allen Ländern,
selbst in dem freien England, für den Arbeiter ein Beschränken aus einen ge¬
wissen Raum, eine zurückweisende verächtliche Behandlung, die drückender ist
als jene. Dies kann nicht der Zweck des Weltgeistes sein, und wir erkennen
daraus, daß in unsrer bürgerlichen Gesellschaft ein ungeheurer Grundfehler
steckt, der durch kein Palliativmittel zu heben ist." In einem Briefe an seine
Tochter kommt der Satz vor: „Ist es nicht unedel, glücklich sein zu wollen,
wenn dies nur durch das Unglück andrer erlangt werden kann?" Daß er
nach seinen Grundsätzen gehandelt haben muß, geht aus der Haltung der
Arbeiter gegen ihn im Jahre 1843 hervor; nicht allein standen seine eignen
Leute treu zu ihm, sondern auch die Arbeiter der andren mecklenburgischen
Güter sagten, gegen Teltow solle nichts unternommen werden, ja sie wollten,
wenn es nötig wäre, zu Hilfe kommen.

Der zweite Teil des Buches enthält Briefe der Herren v. Hehden-
Kartlow, v. Blanckenburg, v, Knebel-Döbcritz, Andrae, Niendorf, des Geheim¬
rath Wagener und des Grafen Bclcredi um Meyer und einige an Bismarck
gerichtete Denkschriften und Berichte Wageners. Die Briefe und Denkschriften
der preußischen Herren geben ein freilich lückenhaftes Bild der katheder¬
sozialistischen Bewegung, und die des Grafen Beleredi bilden einen Beitrag
zur Entstehungsgeschichte der neuen österreichischen Gewerbcgesetzgebung. Heyden
spricht u. a. den richtigen Gedanken aus, daß die vielbeklagte Kreditnot des
Grundbesitzes nicht sowohl eine Kreditnot als eine Vermögensnot sei. So ists!
Wer Vermögen hat, der hat auch Kredit, und jeder hat nach dem Maße seines
Vermögens Kredit. Die sogenannte Kreditnot besteht darin, daß sich Leute,
deren Vermögen für ihre Ansprüche zu klein ist, das Fehlende durch Darlehen
verschaffen wollen, die sie nicht oder wenigstens nicht zu einem niedrigen Zins¬
fuße erhalten, weil sie keine oder keine angemessene Sicherheit gewähren können.
Als Stimmungsbild ist der Brief dieses Herrn vom 19. März 1871 (es steht
verdrückt 1891) interessant. „Ihr »salonfähiger« Sozialismus hat mir sehr


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[0361] Ein unbequemer Konservativer Grundsatz huldigen, und so wird jedes Streben nach höherm Lohn als Auf¬ ruhr betrachtet und bestraft. Niemals ist der Mensch furchtbarer, als wenn er im Irrtum ist, er kann dann ungerecht, grausam sein, und sein Gewissen ist ruhig, denn er glaubt ja seine Pflicht zu erfüllen. Wird das Volk aber jemals die Ansicht der Nationalökonomen teilen, wird es sich überzeugen, daß die furchtbare Ungleichheit in der Belohnung der geistigen und der körper¬ lichen Arbeit, sowie der Dienste des Kapitals in der Natur der Sache begründet sei? Durch solche Betrachtungen angeregt, wurde ich mit solcher Gewalt zu meinen frühern, schon jahrelang fortgesetzten Untersuchungen über das Ver¬ hältnis zwischen Zinsfuß und Arbeitslohn zurückgetrieben, daß ich innerhalb vier Wochen keines andern Gedankens fähig war, obgleich meine Gesundheit sehr darunter litt." An denselben Bruder schrieb er dreizehn Jahre später: „Die Unterthänigkeit ist aufgehoben, aber statt deren tritt in allen Ländern, selbst in dem freien England, für den Arbeiter ein Beschränken aus einen ge¬ wissen Raum, eine zurückweisende verächtliche Behandlung, die drückender ist als jene. Dies kann nicht der Zweck des Weltgeistes sein, und wir erkennen daraus, daß in unsrer bürgerlichen Gesellschaft ein ungeheurer Grundfehler steckt, der durch kein Palliativmittel zu heben ist." In einem Briefe an seine Tochter kommt der Satz vor: „Ist es nicht unedel, glücklich sein zu wollen, wenn dies nur durch das Unglück andrer erlangt werden kann?" Daß er nach seinen Grundsätzen gehandelt haben muß, geht aus der Haltung der Arbeiter gegen ihn im Jahre 1843 hervor; nicht allein standen seine eignen Leute treu zu ihm, sondern auch die Arbeiter der andren mecklenburgischen Güter sagten, gegen Teltow solle nichts unternommen werden, ja sie wollten, wenn es nötig wäre, zu Hilfe kommen. Der zweite Teil des Buches enthält Briefe der Herren v. Hehden- Kartlow, v. Blanckenburg, v, Knebel-Döbcritz, Andrae, Niendorf, des Geheim¬ rath Wagener und des Grafen Bclcredi um Meyer und einige an Bismarck gerichtete Denkschriften und Berichte Wageners. Die Briefe und Denkschriften der preußischen Herren geben ein freilich lückenhaftes Bild der katheder¬ sozialistischen Bewegung, und die des Grafen Beleredi bilden einen Beitrag zur Entstehungsgeschichte der neuen österreichischen Gewerbcgesetzgebung. Heyden spricht u. a. den richtigen Gedanken aus, daß die vielbeklagte Kreditnot des Grundbesitzes nicht sowohl eine Kreditnot als eine Vermögensnot sei. So ists! Wer Vermögen hat, der hat auch Kredit, und jeder hat nach dem Maße seines Vermögens Kredit. Die sogenannte Kreditnot besteht darin, daß sich Leute, deren Vermögen für ihre Ansprüche zu klein ist, das Fehlende durch Darlehen verschaffen wollen, die sie nicht oder wenigstens nicht zu einem niedrigen Zins¬ fuße erhalten, weil sie keine oder keine angemessene Sicherheit gewähren können. Als Stimmungsbild ist der Brief dieses Herrn vom 19. März 1871 (es steht verdrückt 1891) interessant. „Ihr »salonfähiger« Sozialismus hat mir sehr Grenzboten 111 1896 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/361>, abgerufen am 01.09.2024.