Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sir unbequemer Konservativer

Not! Thüren huldigte nicht den kapitalistischen Grundsätzen (obwohl er
einigermaßen in den Thaerschen Ansichten befangen blieb), aber er bekam doch
auch die Wirkungen des kapitalistischen Systems zu spüren. Im Herbst 1826
schreibt er an seinen Bruder Christian: "Die lange projektirte Anlegung des
neuen Gartens wurde begonnen, und gerade, wie wir bei dieser Luxusarbeit
waren, traf die Nachricht von der freien Korneinfuhr in England ein. *) In
der That war dieses Ereignis zum fernern frohen Lebensgenuß unentbehrlich.
Nie standen die Aussichten der mecklenburgischen Landwirte so tief und trübe,
als in der Mitte dieses Sommers beim Wollmarkt. Alle Landwirte hatten
die Wollproduktion als den letzten Notanker angesehen und ihre letzten Kräfte,
ihr letztes Geld hierauf verwendet. Und jetzt, wo wir den Lohn zu ernten
gedachten, wurde uns kaum die Hälfte des vorjährigen Preises geboten, und
das zu einer Zeit, wo das Korn unter einem Drittel seines früheren Mittel¬
preises stand, also absatzlos (!) war." Avennrius beschreibt 1827 in einer
Schrift "Über den Verkauf zahlreicher adlicher Güter in der Provinz Preußen"
die Not der Landwirtschaft in dieser Provinz und giebt dieselben Ursachen
dafür an, die wir für die heutige Not, soweit sie besteht, anzugeben pflegen.
Am Schlüsse heißt es: "Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen,
soweit dies nur möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur
Unterstützung und Aushilfe erhalten. Manche Familie ist dadurch gerettet,
aber allen konnte nicht geholfen werden, weshalb viele dem Drange einer
schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen mußten."
Bülow - Cummerow schreibt 1842: "Es ist leicht zu berechnen, daß, wie die
Sachen jetzt liegen, die bei weitem größere Mehrzahl der Güter in die Hände
des Bürgerstandes kommen wird. Ich spreche davon, was alle Tage der Fall
ist, daß gewöhnliche Wirtschaftsinspektoren, Schulzen, Müller, Schuhmacher,
Schornsteinfeger, Scharfrichter usw. Rittergutsbesitzer werden." Also schon vor
siebzig Jahren hat einmal ein letzter Notanker versagt! Kann man es uns ver¬
argen, wenn wir bei dem Notgeschrei der Landwirte kühl bleiben und uns von
niemand bange machen lassen, auch von Meyer nicht?

Als Hauptursachen der Not finden wir bei zehn von diesen Agrarschrift-
stellern angegeben die stetige Steigerung der Güterpreise und die Leichtigkeit
des Schuldenmachens, da diese beiden Umständen zusammenwirkten, die Land¬
güter zu Spekulatiousobjekteu zu machen, wobei es sich eben von selbst ver¬
stehe, daß viele dieser Spekulationen mißglückter. Verurteilt Meyer die Hypo¬
thekenbanken als höchst verderbliche Anstalten, so sehen die ältern Autoren



Es kann hier nur eine vorübergehender Ermäßigung des Zolls nach dem Grundsätze
der gleitenden Skala gemeint sein. Bis 1W3 war das Getreide in England trotz des hohen
Zolls sehr billig gewesen! von da ab stieg der Preis, und das hatte eine Ermäßigung des Zolls
Anm. des Rezensenten zur Folge.
Sir unbequemer Konservativer

Not! Thüren huldigte nicht den kapitalistischen Grundsätzen (obwohl er
einigermaßen in den Thaerschen Ansichten befangen blieb), aber er bekam doch
auch die Wirkungen des kapitalistischen Systems zu spüren. Im Herbst 1826
schreibt er an seinen Bruder Christian: „Die lange projektirte Anlegung des
neuen Gartens wurde begonnen, und gerade, wie wir bei dieser Luxusarbeit
waren, traf die Nachricht von der freien Korneinfuhr in England ein. *) In
der That war dieses Ereignis zum fernern frohen Lebensgenuß unentbehrlich.
Nie standen die Aussichten der mecklenburgischen Landwirte so tief und trübe,
als in der Mitte dieses Sommers beim Wollmarkt. Alle Landwirte hatten
die Wollproduktion als den letzten Notanker angesehen und ihre letzten Kräfte,
ihr letztes Geld hierauf verwendet. Und jetzt, wo wir den Lohn zu ernten
gedachten, wurde uns kaum die Hälfte des vorjährigen Preises geboten, und
das zu einer Zeit, wo das Korn unter einem Drittel seines früheren Mittel¬
preises stand, also absatzlos (!) war." Avennrius beschreibt 1827 in einer
Schrift „Über den Verkauf zahlreicher adlicher Güter in der Provinz Preußen"
die Not der Landwirtschaft in dieser Provinz und giebt dieselben Ursachen
dafür an, die wir für die heutige Not, soweit sie besteht, anzugeben pflegen.
Am Schlüsse heißt es: „Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen,
soweit dies nur möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur
Unterstützung und Aushilfe erhalten. Manche Familie ist dadurch gerettet,
aber allen konnte nicht geholfen werden, weshalb viele dem Drange einer
schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen mußten."
Bülow - Cummerow schreibt 1842: „Es ist leicht zu berechnen, daß, wie die
Sachen jetzt liegen, die bei weitem größere Mehrzahl der Güter in die Hände
des Bürgerstandes kommen wird. Ich spreche davon, was alle Tage der Fall
ist, daß gewöhnliche Wirtschaftsinspektoren, Schulzen, Müller, Schuhmacher,
Schornsteinfeger, Scharfrichter usw. Rittergutsbesitzer werden." Also schon vor
siebzig Jahren hat einmal ein letzter Notanker versagt! Kann man es uns ver¬
argen, wenn wir bei dem Notgeschrei der Landwirte kühl bleiben und uns von
niemand bange machen lassen, auch von Meyer nicht?

Als Hauptursachen der Not finden wir bei zehn von diesen Agrarschrift-
stellern angegeben die stetige Steigerung der Güterpreise und die Leichtigkeit
des Schuldenmachens, da diese beiden Umständen zusammenwirkten, die Land¬
güter zu Spekulatiousobjekteu zu machen, wobei es sich eben von selbst ver¬
stehe, daß viele dieser Spekulationen mißglückter. Verurteilt Meyer die Hypo¬
thekenbanken als höchst verderbliche Anstalten, so sehen die ältern Autoren



Es kann hier nur eine vorübergehender Ermäßigung des Zolls nach dem Grundsätze
der gleitenden Skala gemeint sein. Bis 1W3 war das Getreide in England trotz des hohen
Zolls sehr billig gewesen! von da ab stieg der Preis, und das hatte eine Ermäßigung des Zolls
Anm. des Rezensenten zur Folge.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223300"/>
          <fw type="header" place="top"> Sir unbequemer Konservativer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1040" prev="#ID_1039"> Not! Thüren huldigte nicht den kapitalistischen Grundsätzen (obwohl er<lb/>
einigermaßen in den Thaerschen Ansichten befangen blieb), aber er bekam doch<lb/>
auch die Wirkungen des kapitalistischen Systems zu spüren. Im Herbst 1826<lb/>
schreibt er an seinen Bruder Christian: &#x201E;Die lange projektirte Anlegung des<lb/>
neuen Gartens wurde begonnen, und gerade, wie wir bei dieser Luxusarbeit<lb/>
waren, traf die Nachricht von der freien Korneinfuhr in England ein. *) In<lb/>
der That war dieses Ereignis zum fernern frohen Lebensgenuß unentbehrlich.<lb/>
Nie standen die Aussichten der mecklenburgischen Landwirte so tief und trübe,<lb/>
als in der Mitte dieses Sommers beim Wollmarkt. Alle Landwirte hatten<lb/>
die Wollproduktion als den letzten Notanker angesehen und ihre letzten Kräfte,<lb/>
ihr letztes Geld hierauf verwendet. Und jetzt, wo wir den Lohn zu ernten<lb/>
gedachten, wurde uns kaum die Hälfte des vorjährigen Preises geboten, und<lb/>
das zu einer Zeit, wo das Korn unter einem Drittel seines früheren Mittel¬<lb/>
preises stand, also absatzlos (!) war." Avennrius beschreibt 1827 in einer<lb/>
Schrift &#x201E;Über den Verkauf zahlreicher adlicher Güter in der Provinz Preußen"<lb/>
die Not der Landwirtschaft in dieser Provinz und giebt dieselben Ursachen<lb/>
dafür an, die wir für die heutige Not, soweit sie besteht, anzugeben pflegen.<lb/>
Am Schlüsse heißt es: &#x201E;Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen,<lb/>
soweit dies nur möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur<lb/>
Unterstützung und Aushilfe erhalten. Manche Familie ist dadurch gerettet,<lb/>
aber allen konnte nicht geholfen werden, weshalb viele dem Drange einer<lb/>
schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen mußten."<lb/>
Bülow - Cummerow schreibt 1842: &#x201E;Es ist leicht zu berechnen, daß, wie die<lb/>
Sachen jetzt liegen, die bei weitem größere Mehrzahl der Güter in die Hände<lb/>
des Bürgerstandes kommen wird. Ich spreche davon, was alle Tage der Fall<lb/>
ist, daß gewöhnliche Wirtschaftsinspektoren, Schulzen, Müller, Schuhmacher,<lb/>
Schornsteinfeger, Scharfrichter usw. Rittergutsbesitzer werden." Also schon vor<lb/>
siebzig Jahren hat einmal ein letzter Notanker versagt! Kann man es uns ver¬<lb/>
argen, wenn wir bei dem Notgeschrei der Landwirte kühl bleiben und uns von<lb/>
niemand bange machen lassen, auch von Meyer nicht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1041" next="#ID_1042"> Als Hauptursachen der Not finden wir bei zehn von diesen Agrarschrift-<lb/>
stellern angegeben die stetige Steigerung der Güterpreise und die Leichtigkeit<lb/>
des Schuldenmachens, da diese beiden Umständen zusammenwirkten, die Land¬<lb/>
güter zu Spekulatiousobjekteu zu machen, wobei es sich eben von selbst ver¬<lb/>
stehe, daß viele dieser Spekulationen mißglückter. Verurteilt Meyer die Hypo¬<lb/>
thekenbanken als höchst verderbliche Anstalten, so sehen die ältern Autoren</p><lb/>
          <note xml:id="FID_29" place="foot"> Es kann hier nur eine vorübergehender Ermäßigung des Zolls nach dem Grundsätze<lb/>
der gleitenden Skala gemeint sein. Bis 1W3 war das Getreide in England trotz des hohen<lb/>
Zolls sehr billig gewesen! von da ab stieg der Preis, und das hatte eine Ermäßigung des Zolls<lb/><note type="byline"> Anm. des Rezensenten</note> zur Folge. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0358] Sir unbequemer Konservativer Not! Thüren huldigte nicht den kapitalistischen Grundsätzen (obwohl er einigermaßen in den Thaerschen Ansichten befangen blieb), aber er bekam doch auch die Wirkungen des kapitalistischen Systems zu spüren. Im Herbst 1826 schreibt er an seinen Bruder Christian: „Die lange projektirte Anlegung des neuen Gartens wurde begonnen, und gerade, wie wir bei dieser Luxusarbeit waren, traf die Nachricht von der freien Korneinfuhr in England ein. *) In der That war dieses Ereignis zum fernern frohen Lebensgenuß unentbehrlich. Nie standen die Aussichten der mecklenburgischen Landwirte so tief und trübe, als in der Mitte dieses Sommers beim Wollmarkt. Alle Landwirte hatten die Wollproduktion als den letzten Notanker angesehen und ihre letzten Kräfte, ihr letztes Geld hierauf verwendet. Und jetzt, wo wir den Lohn zu ernten gedachten, wurde uns kaum die Hälfte des vorjährigen Preises geboten, und das zu einer Zeit, wo das Korn unter einem Drittel seines früheren Mittel¬ preises stand, also absatzlos (!) war." Avennrius beschreibt 1827 in einer Schrift „Über den Verkauf zahlreicher adlicher Güter in der Provinz Preußen" die Not der Landwirtschaft in dieser Provinz und giebt dieselben Ursachen dafür an, die wir für die heutige Not, soweit sie besteht, anzugeben pflegen. Am Schlüsse heißt es: „Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen, soweit dies nur möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur Unterstützung und Aushilfe erhalten. Manche Familie ist dadurch gerettet, aber allen konnte nicht geholfen werden, weshalb viele dem Drange einer schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen mußten." Bülow - Cummerow schreibt 1842: „Es ist leicht zu berechnen, daß, wie die Sachen jetzt liegen, die bei weitem größere Mehrzahl der Güter in die Hände des Bürgerstandes kommen wird. Ich spreche davon, was alle Tage der Fall ist, daß gewöhnliche Wirtschaftsinspektoren, Schulzen, Müller, Schuhmacher, Schornsteinfeger, Scharfrichter usw. Rittergutsbesitzer werden." Also schon vor siebzig Jahren hat einmal ein letzter Notanker versagt! Kann man es uns ver¬ argen, wenn wir bei dem Notgeschrei der Landwirte kühl bleiben und uns von niemand bange machen lassen, auch von Meyer nicht? Als Hauptursachen der Not finden wir bei zehn von diesen Agrarschrift- stellern angegeben die stetige Steigerung der Güterpreise und die Leichtigkeit des Schuldenmachens, da diese beiden Umständen zusammenwirkten, die Land¬ güter zu Spekulatiousobjekteu zu machen, wobei es sich eben von selbst ver¬ stehe, daß viele dieser Spekulationen mißglückter. Verurteilt Meyer die Hypo¬ thekenbanken als höchst verderbliche Anstalten, so sehen die ältern Autoren Es kann hier nur eine vorübergehender Ermäßigung des Zolls nach dem Grundsätze der gleitenden Skala gemeint sein. Bis 1W3 war das Getreide in England trotz des hohen Zolls sehr billig gewesen! von da ab stieg der Preis, und das hatte eine Ermäßigung des Zolls Anm. des Rezensenten zur Folge.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/358
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/358>, abgerufen am 06.10.2024.