Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lili unbequemer Aonservativer

steigern. Anders der Staat. Er kennt kein Sondereigentum. Sein Zweck
fordert die höchstmögliche Benutzung aller der Grundkräfte, aus denen Güter
entspringen, und nur die Kräfte, die ungenutzt und ungekannt vermodern, sind
ihm verloren, entzogen, geraubt. Der Bruttoertrag ist es, von dessen Größe
der Flor des Nationalwohlstandes abhängt. Was kümmert es die Gesellschaft,
ob einzelne einen höhern oder geringern Gewinn von ihren Besitzungen ziehen?
Der kleine Wirt, der mehr um sich zu nähren, als auf den Verkauf baut,
freut sich wohlfeiler Zeiten, reicher Produktion.") Der große Gutsherr ist
Wohl über den geringen Ertrag froh, wenn er durch hohen Preis wertvoll ist."
v. Bülow-Cummerow schreibt 1844: "Ohne alle Frage gehört es zu den
größten Mißgriffen, die ersten Lebensbedürfnisse mit Abgaben zu belegen.
Wir wollen hier den philanthropischen Gesichtspunkt übergehen und es der Ent¬
scheidung der Regierung überlassen, inwieweit es gerechtfertigt erscheint, dem
Teile des Volks, der kein andres Vermögen besitzt als seine Hände, das Salz,
das Brot und das Fleisch, das Getreide, das Bier und den Branntwein zu
verteuern, und uns zunächst dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte zuwenden.
Der Mensch arbeitet, um leben zu können, daher zuerst und vor allem für
seinen Magen; steigen die ersten Bedürfnisse im Preise, so muß er entweder
mehr arbeiten, was auch feine Grenzen hat, oder er muß eiuen höhern Arbeits¬
lohn fordern. Ein Erfahrungssatz ist es aber, daß die Verteuerung immer
auf eine Verminderung der Arbeit wirkt, und da nur kräftige und gesunde
Arbeiter den höhern Lohn zu verdienen imstande sind, so verarmen die schwächern,
und da sie sich nicht vollständig ernähren können, arbeiten sie überhaupt nicht
mehr und fallen so den reichen Mitbürgern zur Last. Die betrübende Zu¬
nahme der Völlerei und des Pauperismus haben unstreitig, wenigstens teil¬
weise, ihre Wurzel in der Verteuerung der Nahrungsmittel durch die Mahl-
und Schlachtaccise. Wer sich irgend die Mühe giebt, das Leben der Trunken¬
bolde und die Ursachen zu verfolgen, die sie so weit gebracht haben, wird
häufig finden, daß Mangel an guter Nahrung und der Mißmut, der sich daraus
erzeugt, die erste Veranlassung dazu gegeben haben. Me Wirkung bleibt
natürlich dieselbe, mögen die Lebensmittelpreise um der Staatsfinanzen willen
oder der Bodenrenke der Grundbesitzer zuliebe erhöht werden.^ Durch billige
Preise steigt, durch hohe fällt die Konsumtion." Dieser zweite volkswirtschaft¬
liche Grund gegen künstliche Preiserhöhungen wird nun weiter ausgeführt.

Natürlich stellt sich, wie in England, so auch in Deutschland, sofort mit
dem kapitalistischen und "rationellen" Betriebe auch die "Not der Landwirt¬
schaft" ein, denu wo Kaufmannsgeschäfte betrieben werden, da kommen auch
Pleiten vor, und alle, die Ptene machen, schreien: die Landwirtschaft ist in



*) 1M1 fragten wir eine KleinbSuerin: Der jetzige hohe Getreidepreis ist Ihnen wohl gerade
recht? -- Nein, fügte sie, uns ists lieber, es ist billig, und wir bilden viel in der Scheuer.
Lili unbequemer Aonservativer

steigern. Anders der Staat. Er kennt kein Sondereigentum. Sein Zweck
fordert die höchstmögliche Benutzung aller der Grundkräfte, aus denen Güter
entspringen, und nur die Kräfte, die ungenutzt und ungekannt vermodern, sind
ihm verloren, entzogen, geraubt. Der Bruttoertrag ist es, von dessen Größe
der Flor des Nationalwohlstandes abhängt. Was kümmert es die Gesellschaft,
ob einzelne einen höhern oder geringern Gewinn von ihren Besitzungen ziehen?
Der kleine Wirt, der mehr um sich zu nähren, als auf den Verkauf baut,
freut sich wohlfeiler Zeiten, reicher Produktion.") Der große Gutsherr ist
Wohl über den geringen Ertrag froh, wenn er durch hohen Preis wertvoll ist."
v. Bülow-Cummerow schreibt 1844: „Ohne alle Frage gehört es zu den
größten Mißgriffen, die ersten Lebensbedürfnisse mit Abgaben zu belegen.
Wir wollen hier den philanthropischen Gesichtspunkt übergehen und es der Ent¬
scheidung der Regierung überlassen, inwieweit es gerechtfertigt erscheint, dem
Teile des Volks, der kein andres Vermögen besitzt als seine Hände, das Salz,
das Brot und das Fleisch, das Getreide, das Bier und den Branntwein zu
verteuern, und uns zunächst dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte zuwenden.
Der Mensch arbeitet, um leben zu können, daher zuerst und vor allem für
seinen Magen; steigen die ersten Bedürfnisse im Preise, so muß er entweder
mehr arbeiten, was auch feine Grenzen hat, oder er muß eiuen höhern Arbeits¬
lohn fordern. Ein Erfahrungssatz ist es aber, daß die Verteuerung immer
auf eine Verminderung der Arbeit wirkt, und da nur kräftige und gesunde
Arbeiter den höhern Lohn zu verdienen imstande sind, so verarmen die schwächern,
und da sie sich nicht vollständig ernähren können, arbeiten sie überhaupt nicht
mehr und fallen so den reichen Mitbürgern zur Last. Die betrübende Zu¬
nahme der Völlerei und des Pauperismus haben unstreitig, wenigstens teil¬
weise, ihre Wurzel in der Verteuerung der Nahrungsmittel durch die Mahl-
und Schlachtaccise. Wer sich irgend die Mühe giebt, das Leben der Trunken¬
bolde und die Ursachen zu verfolgen, die sie so weit gebracht haben, wird
häufig finden, daß Mangel an guter Nahrung und der Mißmut, der sich daraus
erzeugt, die erste Veranlassung dazu gegeben haben. Me Wirkung bleibt
natürlich dieselbe, mögen die Lebensmittelpreise um der Staatsfinanzen willen
oder der Bodenrenke der Grundbesitzer zuliebe erhöht werden.^ Durch billige
Preise steigt, durch hohe fällt die Konsumtion." Dieser zweite volkswirtschaft¬
liche Grund gegen künstliche Preiserhöhungen wird nun weiter ausgeführt.

Natürlich stellt sich, wie in England, so auch in Deutschland, sofort mit
dem kapitalistischen und „rationellen" Betriebe auch die „Not der Landwirt¬
schaft" ein, denu wo Kaufmannsgeschäfte betrieben werden, da kommen auch
Pleiten vor, und alle, die Ptene machen, schreien: die Landwirtschaft ist in



*) 1M1 fragten wir eine KleinbSuerin: Der jetzige hohe Getreidepreis ist Ihnen wohl gerade
recht? — Nein, fügte sie, uns ists lieber, es ist billig, und wir bilden viel in der Scheuer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223299"/>
          <fw type="header" place="top"> Lili unbequemer Aonservativer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> steigern. Anders der Staat. Er kennt kein Sondereigentum. Sein Zweck<lb/>
fordert die höchstmögliche Benutzung aller der Grundkräfte, aus denen Güter<lb/>
entspringen, und nur die Kräfte, die ungenutzt und ungekannt vermodern, sind<lb/>
ihm verloren, entzogen, geraubt. Der Bruttoertrag ist es, von dessen Größe<lb/>
der Flor des Nationalwohlstandes abhängt. Was kümmert es die Gesellschaft,<lb/>
ob einzelne einen höhern oder geringern Gewinn von ihren Besitzungen ziehen?<lb/>
Der kleine Wirt, der mehr um sich zu nähren, als auf den Verkauf baut,<lb/>
freut sich wohlfeiler Zeiten, reicher Produktion.") Der große Gutsherr ist<lb/>
Wohl über den geringen Ertrag froh, wenn er durch hohen Preis wertvoll ist."<lb/>
v. Bülow-Cummerow schreibt 1844: &#x201E;Ohne alle Frage gehört es zu den<lb/>
größten Mißgriffen, die ersten Lebensbedürfnisse mit Abgaben zu belegen.<lb/>
Wir wollen hier den philanthropischen Gesichtspunkt übergehen und es der Ent¬<lb/>
scheidung der Regierung überlassen, inwieweit es gerechtfertigt erscheint, dem<lb/>
Teile des Volks, der kein andres Vermögen besitzt als seine Hände, das Salz,<lb/>
das Brot und das Fleisch, das Getreide, das Bier und den Branntwein zu<lb/>
verteuern, und uns zunächst dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte zuwenden.<lb/>
Der Mensch arbeitet, um leben zu können, daher zuerst und vor allem für<lb/>
seinen Magen; steigen die ersten Bedürfnisse im Preise, so muß er entweder<lb/>
mehr arbeiten, was auch feine Grenzen hat, oder er muß eiuen höhern Arbeits¬<lb/>
lohn fordern. Ein Erfahrungssatz ist es aber, daß die Verteuerung immer<lb/>
auf eine Verminderung der Arbeit wirkt, und da nur kräftige und gesunde<lb/>
Arbeiter den höhern Lohn zu verdienen imstande sind, so verarmen die schwächern,<lb/>
und da sie sich nicht vollständig ernähren können, arbeiten sie überhaupt nicht<lb/>
mehr und fallen so den reichen Mitbürgern zur Last. Die betrübende Zu¬<lb/>
nahme der Völlerei und des Pauperismus haben unstreitig, wenigstens teil¬<lb/>
weise, ihre Wurzel in der Verteuerung der Nahrungsmittel durch die Mahl-<lb/>
und Schlachtaccise. Wer sich irgend die Mühe giebt, das Leben der Trunken¬<lb/>
bolde und die Ursachen zu verfolgen, die sie so weit gebracht haben, wird<lb/>
häufig finden, daß Mangel an guter Nahrung und der Mißmut, der sich daraus<lb/>
erzeugt, die erste Veranlassung dazu gegeben haben. Me Wirkung bleibt<lb/>
natürlich dieselbe, mögen die Lebensmittelpreise um der Staatsfinanzen willen<lb/>
oder der Bodenrenke der Grundbesitzer zuliebe erhöht werden.^ Durch billige<lb/>
Preise steigt, durch hohe fällt die Konsumtion." Dieser zweite volkswirtschaft¬<lb/>
liche Grund gegen künstliche Preiserhöhungen wird nun weiter ausgeführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1039" next="#ID_1040"> Natürlich stellt sich, wie in England, so auch in Deutschland, sofort mit<lb/>
dem kapitalistischen und &#x201E;rationellen" Betriebe auch die &#x201E;Not der Landwirt¬<lb/>
schaft" ein, denu wo Kaufmannsgeschäfte betrieben werden, da kommen auch<lb/>
Pleiten vor, und alle, die Ptene machen, schreien: die Landwirtschaft ist in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_28" place="foot"> *) 1M1 fragten wir eine KleinbSuerin: Der jetzige hohe Getreidepreis ist Ihnen wohl gerade<lb/>
recht? &#x2014; Nein, fügte sie, uns ists lieber, es ist billig, und wir bilden viel in der Scheuer.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Lili unbequemer Aonservativer steigern. Anders der Staat. Er kennt kein Sondereigentum. Sein Zweck fordert die höchstmögliche Benutzung aller der Grundkräfte, aus denen Güter entspringen, und nur die Kräfte, die ungenutzt und ungekannt vermodern, sind ihm verloren, entzogen, geraubt. Der Bruttoertrag ist es, von dessen Größe der Flor des Nationalwohlstandes abhängt. Was kümmert es die Gesellschaft, ob einzelne einen höhern oder geringern Gewinn von ihren Besitzungen ziehen? Der kleine Wirt, der mehr um sich zu nähren, als auf den Verkauf baut, freut sich wohlfeiler Zeiten, reicher Produktion.") Der große Gutsherr ist Wohl über den geringen Ertrag froh, wenn er durch hohen Preis wertvoll ist." v. Bülow-Cummerow schreibt 1844: „Ohne alle Frage gehört es zu den größten Mißgriffen, die ersten Lebensbedürfnisse mit Abgaben zu belegen. Wir wollen hier den philanthropischen Gesichtspunkt übergehen und es der Ent¬ scheidung der Regierung überlassen, inwieweit es gerechtfertigt erscheint, dem Teile des Volks, der kein andres Vermögen besitzt als seine Hände, das Salz, das Brot und das Fleisch, das Getreide, das Bier und den Branntwein zu verteuern, und uns zunächst dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte zuwenden. Der Mensch arbeitet, um leben zu können, daher zuerst und vor allem für seinen Magen; steigen die ersten Bedürfnisse im Preise, so muß er entweder mehr arbeiten, was auch feine Grenzen hat, oder er muß eiuen höhern Arbeits¬ lohn fordern. Ein Erfahrungssatz ist es aber, daß die Verteuerung immer auf eine Verminderung der Arbeit wirkt, und da nur kräftige und gesunde Arbeiter den höhern Lohn zu verdienen imstande sind, so verarmen die schwächern, und da sie sich nicht vollständig ernähren können, arbeiten sie überhaupt nicht mehr und fallen so den reichen Mitbürgern zur Last. Die betrübende Zu¬ nahme der Völlerei und des Pauperismus haben unstreitig, wenigstens teil¬ weise, ihre Wurzel in der Verteuerung der Nahrungsmittel durch die Mahl- und Schlachtaccise. Wer sich irgend die Mühe giebt, das Leben der Trunken¬ bolde und die Ursachen zu verfolgen, die sie so weit gebracht haben, wird häufig finden, daß Mangel an guter Nahrung und der Mißmut, der sich daraus erzeugt, die erste Veranlassung dazu gegeben haben. Me Wirkung bleibt natürlich dieselbe, mögen die Lebensmittelpreise um der Staatsfinanzen willen oder der Bodenrenke der Grundbesitzer zuliebe erhöht werden.^ Durch billige Preise steigt, durch hohe fällt die Konsumtion." Dieser zweite volkswirtschaft¬ liche Grund gegen künstliche Preiserhöhungen wird nun weiter ausgeführt. Natürlich stellt sich, wie in England, so auch in Deutschland, sofort mit dem kapitalistischen und „rationellen" Betriebe auch die „Not der Landwirt¬ schaft" ein, denu wo Kaufmannsgeschäfte betrieben werden, da kommen auch Pleiten vor, und alle, die Ptene machen, schreien: die Landwirtschaft ist in *) 1M1 fragten wir eine KleinbSuerin: Der jetzige hohe Getreidepreis ist Ihnen wohl gerade recht? — Nein, fügte sie, uns ists lieber, es ist billig, und wir bilden viel in der Scheuer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/357>, abgerufen am 27.11.2024.