Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Irrenpflege

Provinz ein fest angestellter Arzt mit 5000 Mark und mehr Gehalt bekleidet, sind
in der andern an einer annähernd gleich großen Anstalt 2400 bis 3000 Mark
bei vierteljährlicher Kündigung ausgeworfen. Man denke, ein Mann der
Wissenschaft nach vielleicht zehnjähriger oder anch längerer Dienstzeit auf
dreimonatliche Kündigung angestellt, wie ein Hausknecht! Dabei ist er in
Abwesenheit des Direktors sein Vertreter und somit Vorgesetzter eines ganzen
Heeres von Beamten. Und um das Mißverhältnis noch zu steigern, befinden
sich unter diesen die festangestellten Oberbeamten, Rendant, Hausverwalter, Kon¬
trolleur usw. Diese Subalternbeamten auch auf Kündigung anzustellen, hat
man bisher noch nicht sertig gebracht. Man denke nicht, daß die schlechte
Stellung der Ärzte noch aus der Zeit herrühre, wo die Anstalten noch kleiner,
und die Ärzte nur jüngere Gehilfen des Direktors waren. Es giebt Provinzen,
die ihre früher festangestellten Ärzte neuerdings auf Kündigung gesetzt und
ihren Gehalt herabgesetzt haben, trotz der unterdes eingetretenen Verdoppelung
ihrer Arbeitslast.

Die auffällige Verschiedenheit der Austellungsbedingnngen läßt sich anch
nicht durch Übergang von einer Provinz zur andern ausgleichen. Die Provin-
zialverwaltungen haben unter einander keinen Zusammenhang, sie schließen sich
sogar vielfach gegen einander ab, ziehen Bewerber aus ihrer Mitte ältern aus¬
wärtigen vor, und wenn sie einen Fremden anstellen, übernehmen sie nicht
ohne weiteres auch die durch frühere Dienstzeit erworbnen Peusivnsansprüche.
Manche Ärzte haben überhaupt uoch gar keinen Pensionsansprnch, und für
alle auf Kündigung angestellten ist er nichts als ein Truggebilde, denn sie
können ja vor Eintritt der Pensionsberechtigung jederzeit ohne Gründe ent¬
lassen werden. Entlassungen aus Gründen, die zur Einleitung eines Dis¬
ziplinarverfahrens nicht hingereicht Hütten, sind daher auch wiederholt vor¬
gekommen. Bei alledem darf man nicht vergessen, daß, wer einmal jahrelang
Jrrenarzt gewesen ist, nur sehr schwer von dieser spezialistischen Thätigkeit zu
der allgemeinen eines praktischen Arztes zurückkehren kaun.

Die Zerstücklung des Jrrenwesens nach den Provinzen bewirkt endlich
auch, daß die Schnelligkeit der Beförderung ebenso wie die Hohe der Gehalte
allenthalben wechselt und selbst innerhalb einundderselben Provinz zu ver-
schiednen Zeiten verschieden ist. Zudem gilt durchaus noch nicht allgemein
das Aufrücken nach dem Dienstalter. Überhaupt entscheidet über die An¬
stellung und Beförderung des Irrenarztes in der Regel nicht sein ärztlicher
Vorgesetzter, der wird oft gar nicht gefragt. Man kann sich hiernach vorstellen,
daß das Vorwärtskommen des Irrenarztes im allgemeinen Sache des Glücks,
der Protektion ist. Diese trostlosen Verhältnisse müssen allen tüchtigen Leuten
die Laufbahn des Irrenarztes verleiden und üben selbstverständlich auf unser
ganzes öffentliches Jrrenwesen einen höchst nachteiligen Einfluß auf. Es wäre
sehr zu wünschen, daß die Negierung bei ihren Revisionen auch der Ärzte-


Grcnzbotm III 189K 44
Zur Irrenpflege

Provinz ein fest angestellter Arzt mit 5000 Mark und mehr Gehalt bekleidet, sind
in der andern an einer annähernd gleich großen Anstalt 2400 bis 3000 Mark
bei vierteljährlicher Kündigung ausgeworfen. Man denke, ein Mann der
Wissenschaft nach vielleicht zehnjähriger oder anch längerer Dienstzeit auf
dreimonatliche Kündigung angestellt, wie ein Hausknecht! Dabei ist er in
Abwesenheit des Direktors sein Vertreter und somit Vorgesetzter eines ganzen
Heeres von Beamten. Und um das Mißverhältnis noch zu steigern, befinden
sich unter diesen die festangestellten Oberbeamten, Rendant, Hausverwalter, Kon¬
trolleur usw. Diese Subalternbeamten auch auf Kündigung anzustellen, hat
man bisher noch nicht sertig gebracht. Man denke nicht, daß die schlechte
Stellung der Ärzte noch aus der Zeit herrühre, wo die Anstalten noch kleiner,
und die Ärzte nur jüngere Gehilfen des Direktors waren. Es giebt Provinzen,
die ihre früher festangestellten Ärzte neuerdings auf Kündigung gesetzt und
ihren Gehalt herabgesetzt haben, trotz der unterdes eingetretenen Verdoppelung
ihrer Arbeitslast.

Die auffällige Verschiedenheit der Austellungsbedingnngen läßt sich anch
nicht durch Übergang von einer Provinz zur andern ausgleichen. Die Provin-
zialverwaltungen haben unter einander keinen Zusammenhang, sie schließen sich
sogar vielfach gegen einander ab, ziehen Bewerber aus ihrer Mitte ältern aus¬
wärtigen vor, und wenn sie einen Fremden anstellen, übernehmen sie nicht
ohne weiteres auch die durch frühere Dienstzeit erworbnen Peusivnsansprüche.
Manche Ärzte haben überhaupt uoch gar keinen Pensionsansprnch, und für
alle auf Kündigung angestellten ist er nichts als ein Truggebilde, denn sie
können ja vor Eintritt der Pensionsberechtigung jederzeit ohne Gründe ent¬
lassen werden. Entlassungen aus Gründen, die zur Einleitung eines Dis¬
ziplinarverfahrens nicht hingereicht Hütten, sind daher auch wiederholt vor¬
gekommen. Bei alledem darf man nicht vergessen, daß, wer einmal jahrelang
Jrrenarzt gewesen ist, nur sehr schwer von dieser spezialistischen Thätigkeit zu
der allgemeinen eines praktischen Arztes zurückkehren kaun.

Die Zerstücklung des Jrrenwesens nach den Provinzen bewirkt endlich
auch, daß die Schnelligkeit der Beförderung ebenso wie die Hohe der Gehalte
allenthalben wechselt und selbst innerhalb einundderselben Provinz zu ver-
schiednen Zeiten verschieden ist. Zudem gilt durchaus noch nicht allgemein
das Aufrücken nach dem Dienstalter. Überhaupt entscheidet über die An¬
stellung und Beförderung des Irrenarztes in der Regel nicht sein ärztlicher
Vorgesetzter, der wird oft gar nicht gefragt. Man kann sich hiernach vorstellen,
daß das Vorwärtskommen des Irrenarztes im allgemeinen Sache des Glücks,
der Protektion ist. Diese trostlosen Verhältnisse müssen allen tüchtigen Leuten
die Laufbahn des Irrenarztes verleiden und üben selbstverständlich auf unser
ganzes öffentliches Jrrenwesen einen höchst nachteiligen Einfluß auf. Es wäre
sehr zu wünschen, daß die Negierung bei ihren Revisionen auch der Ärzte-


Grcnzbotm III 189K 44
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223295"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Irrenpflege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1028" prev="#ID_1027"> Provinz ein fest angestellter Arzt mit 5000 Mark und mehr Gehalt bekleidet, sind<lb/>
in der andern an einer annähernd gleich großen Anstalt 2400 bis 3000 Mark<lb/>
bei vierteljährlicher Kündigung ausgeworfen. Man denke, ein Mann der<lb/>
Wissenschaft nach vielleicht zehnjähriger oder anch längerer Dienstzeit auf<lb/>
dreimonatliche Kündigung angestellt, wie ein Hausknecht! Dabei ist er in<lb/>
Abwesenheit des Direktors sein Vertreter und somit Vorgesetzter eines ganzen<lb/>
Heeres von Beamten. Und um das Mißverhältnis noch zu steigern, befinden<lb/>
sich unter diesen die festangestellten Oberbeamten, Rendant, Hausverwalter, Kon¬<lb/>
trolleur usw. Diese Subalternbeamten auch auf Kündigung anzustellen, hat<lb/>
man bisher noch nicht sertig gebracht. Man denke nicht, daß die schlechte<lb/>
Stellung der Ärzte noch aus der Zeit herrühre, wo die Anstalten noch kleiner,<lb/>
und die Ärzte nur jüngere Gehilfen des Direktors waren. Es giebt Provinzen,<lb/>
die ihre früher festangestellten Ärzte neuerdings auf Kündigung gesetzt und<lb/>
ihren Gehalt herabgesetzt haben, trotz der unterdes eingetretenen Verdoppelung<lb/>
ihrer Arbeitslast.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1029"> Die auffällige Verschiedenheit der Austellungsbedingnngen läßt sich anch<lb/>
nicht durch Übergang von einer Provinz zur andern ausgleichen. Die Provin-<lb/>
zialverwaltungen haben unter einander keinen Zusammenhang, sie schließen sich<lb/>
sogar vielfach gegen einander ab, ziehen Bewerber aus ihrer Mitte ältern aus¬<lb/>
wärtigen vor, und wenn sie einen Fremden anstellen, übernehmen sie nicht<lb/>
ohne weiteres auch die durch frühere Dienstzeit erworbnen Peusivnsansprüche.<lb/>
Manche Ärzte haben überhaupt uoch gar keinen Pensionsansprnch, und für<lb/>
alle auf Kündigung angestellten ist er nichts als ein Truggebilde, denn sie<lb/>
können ja vor Eintritt der Pensionsberechtigung jederzeit ohne Gründe ent¬<lb/>
lassen werden. Entlassungen aus Gründen, die zur Einleitung eines Dis¬<lb/>
ziplinarverfahrens nicht hingereicht Hütten, sind daher auch wiederholt vor¬<lb/>
gekommen. Bei alledem darf man nicht vergessen, daß, wer einmal jahrelang<lb/>
Jrrenarzt gewesen ist, nur sehr schwer von dieser spezialistischen Thätigkeit zu<lb/>
der allgemeinen eines praktischen Arztes zurückkehren kaun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1030" next="#ID_1031"> Die Zerstücklung des Jrrenwesens nach den Provinzen bewirkt endlich<lb/>
auch, daß die Schnelligkeit der Beförderung ebenso wie die Hohe der Gehalte<lb/>
allenthalben wechselt und selbst innerhalb einundderselben Provinz zu ver-<lb/>
schiednen Zeiten verschieden ist. Zudem gilt durchaus noch nicht allgemein<lb/>
das Aufrücken nach dem Dienstalter. Überhaupt entscheidet über die An¬<lb/>
stellung und Beförderung des Irrenarztes in der Regel nicht sein ärztlicher<lb/>
Vorgesetzter, der wird oft gar nicht gefragt. Man kann sich hiernach vorstellen,<lb/>
daß das Vorwärtskommen des Irrenarztes im allgemeinen Sache des Glücks,<lb/>
der Protektion ist. Diese trostlosen Verhältnisse müssen allen tüchtigen Leuten<lb/>
die Laufbahn des Irrenarztes verleiden und üben selbstverständlich auf unser<lb/>
ganzes öffentliches Jrrenwesen einen höchst nachteiligen Einfluß auf. Es wäre<lb/>
sehr zu wünschen, daß die Negierung bei ihren Revisionen auch der Ärzte-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbotm III 189K 44</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Zur Irrenpflege Provinz ein fest angestellter Arzt mit 5000 Mark und mehr Gehalt bekleidet, sind in der andern an einer annähernd gleich großen Anstalt 2400 bis 3000 Mark bei vierteljährlicher Kündigung ausgeworfen. Man denke, ein Mann der Wissenschaft nach vielleicht zehnjähriger oder anch längerer Dienstzeit auf dreimonatliche Kündigung angestellt, wie ein Hausknecht! Dabei ist er in Abwesenheit des Direktors sein Vertreter und somit Vorgesetzter eines ganzen Heeres von Beamten. Und um das Mißverhältnis noch zu steigern, befinden sich unter diesen die festangestellten Oberbeamten, Rendant, Hausverwalter, Kon¬ trolleur usw. Diese Subalternbeamten auch auf Kündigung anzustellen, hat man bisher noch nicht sertig gebracht. Man denke nicht, daß die schlechte Stellung der Ärzte noch aus der Zeit herrühre, wo die Anstalten noch kleiner, und die Ärzte nur jüngere Gehilfen des Direktors waren. Es giebt Provinzen, die ihre früher festangestellten Ärzte neuerdings auf Kündigung gesetzt und ihren Gehalt herabgesetzt haben, trotz der unterdes eingetretenen Verdoppelung ihrer Arbeitslast. Die auffällige Verschiedenheit der Austellungsbedingnngen läßt sich anch nicht durch Übergang von einer Provinz zur andern ausgleichen. Die Provin- zialverwaltungen haben unter einander keinen Zusammenhang, sie schließen sich sogar vielfach gegen einander ab, ziehen Bewerber aus ihrer Mitte ältern aus¬ wärtigen vor, und wenn sie einen Fremden anstellen, übernehmen sie nicht ohne weiteres auch die durch frühere Dienstzeit erworbnen Peusivnsansprüche. Manche Ärzte haben überhaupt uoch gar keinen Pensionsansprnch, und für alle auf Kündigung angestellten ist er nichts als ein Truggebilde, denn sie können ja vor Eintritt der Pensionsberechtigung jederzeit ohne Gründe ent¬ lassen werden. Entlassungen aus Gründen, die zur Einleitung eines Dis¬ ziplinarverfahrens nicht hingereicht Hütten, sind daher auch wiederholt vor¬ gekommen. Bei alledem darf man nicht vergessen, daß, wer einmal jahrelang Jrrenarzt gewesen ist, nur sehr schwer von dieser spezialistischen Thätigkeit zu der allgemeinen eines praktischen Arztes zurückkehren kaun. Die Zerstücklung des Jrrenwesens nach den Provinzen bewirkt endlich auch, daß die Schnelligkeit der Beförderung ebenso wie die Hohe der Gehalte allenthalben wechselt und selbst innerhalb einundderselben Provinz zu ver- schiednen Zeiten verschieden ist. Zudem gilt durchaus noch nicht allgemein das Aufrücken nach dem Dienstalter. Überhaupt entscheidet über die An¬ stellung und Beförderung des Irrenarztes in der Regel nicht sein ärztlicher Vorgesetzter, der wird oft gar nicht gefragt. Man kann sich hiernach vorstellen, daß das Vorwärtskommen des Irrenarztes im allgemeinen Sache des Glücks, der Protektion ist. Diese trostlosen Verhältnisse müssen allen tüchtigen Leuten die Laufbahn des Irrenarztes verleiden und üben selbstverständlich auf unser ganzes öffentliches Jrrenwesen einen höchst nachteiligen Einfluß auf. Es wäre sehr zu wünschen, daß die Negierung bei ihren Revisionen auch der Ärzte- Grcnzbotm III 189K 44

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/353>, abgerufen am 01.09.2024.