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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Jrrenpflege

stärkern Gegensatz wird er zum Arzt geraten. Er wird dem Kranken bald als
der stets zum Gewähren bereite, der Arzt als der stete Verweigerer erscheinen.
Der Kranke wird sich ja uur dann an den Patron wenden, wenn er vom
Arzt abschlägig beschicken worden ist, andernfalls steht ihm der Arzt, den er
täglich mehrmals sieht, doch näher. Der Arzt wird aber oft Veranlassung
haben, irgendwelche Wünsche abzuschlagen, sei es daß der Zustand des Kranken
oder auch die gebotene Sparsamkeit die Erfüllung nicht erlaubt. Es muß
aber auch für deu Arzt unerträglich sein, sich fortwährend in seinen Beruf,
den er nach besten Kräften auszuüben trachtet, hineinreden zu lassen, und zwar
von Leuten, die vielleicht nur sehr geringes Verständnis für seine Aufgabe
haben. Mag er sich auch alle erdenkliche Mühe geben, für das Wohlergehen
seiner Kranken zu sorgen, so wird er doch keinen Dank dafür ernten, denn die
Kranken werden in ihm immer mehr den strengen Herrn, im Patron dagegen
den willfährigen Freund sehen. Durch ein solches Verhältnis würde aber
nicht nur deu Ärzten ihr Beruf völlig verleidet, sondern den Kranken der
größte Schaden zugefügt werden.

Übrigens würde es auch gar nicht so leicht sein, Patrone zu gewinnen.
Anfangs würden sich wohl manche aus Neugierde zu diesem Amte hergeben.
Würden sie aber erst gewahr, wie dornenvoll die Aufgabe ist, wie schwer es
ihnen wird, mit den Kranken überhaupt zurechtzukommen, so würden sich wohl
die meisten wieder zurückziehen, in der Erkenntnis, daß, um Geisteskranken zu
helfen, man sie vor allen Dingen verstehen muß.

Wir können uns nur denken, daß den Verfasser seine Thätigkeit als
Leiter einer Privatanstalt, die wohl ausschließlich Angehörige der gebildeten
Stände beherbergt, zu seinem Vorschlag verleitet hat. Gebildete haben mehr
Wünsche und sind überhaupt in höherm Grade umgangsbedürftig als Unge¬
bildete. Für Gebildete mögen in der Anstalt aus- und eingehende Patrone eine
angenehme Zerstreuung sein und eine willkommne Gelegenheit, ihr Herz aus¬
zuschütten, den Ungebildeten werden sie schwerlich näher treten, aber gerade diese
füllen unsre öffentlichen Anstalten. Machen wir doch diese Erfahrung an den
meisten Anstaltsgeistlichen. Sie haben Gelegenheit genug zum Verkehr mit
den Kranken und ergreifen sie auch anfangs bereitwillig. Bald aber müssen
sie in jedem einzelnen Falle von den Ärzten darum gebeten, ja dazu gedrängt
werden, sie scheuen die nähere Berührung mit den Kranken, denn sie haben
das Bewußtsein, daß ihnen deren Inneres fremd ist.

Richten sich aber die Beschwerden des Kranken gegen die Anstaltsärzte
selbst, wozu sind denn dann seine Verwandten oder der Vormund da, wozu
die Vorgesetzten der Ärzte, wozu die staatliche Aufsicht? Vielleicht hat der
Verfasser seinen Vorschlag nur aus Nachgiebigkeit gegen die in jüngster Zeit
von Laien wiederholt gestellte Forderung der Laienaufsicht gemacht. Dann
wäre er aber uicht weniger im Unrecht, denn jene Forderung ist thöricht und


Zur Jrrenpflege

stärkern Gegensatz wird er zum Arzt geraten. Er wird dem Kranken bald als
der stets zum Gewähren bereite, der Arzt als der stete Verweigerer erscheinen.
Der Kranke wird sich ja uur dann an den Patron wenden, wenn er vom
Arzt abschlägig beschicken worden ist, andernfalls steht ihm der Arzt, den er
täglich mehrmals sieht, doch näher. Der Arzt wird aber oft Veranlassung
haben, irgendwelche Wünsche abzuschlagen, sei es daß der Zustand des Kranken
oder auch die gebotene Sparsamkeit die Erfüllung nicht erlaubt. Es muß
aber auch für deu Arzt unerträglich sein, sich fortwährend in seinen Beruf,
den er nach besten Kräften auszuüben trachtet, hineinreden zu lassen, und zwar
von Leuten, die vielleicht nur sehr geringes Verständnis für seine Aufgabe
haben. Mag er sich auch alle erdenkliche Mühe geben, für das Wohlergehen
seiner Kranken zu sorgen, so wird er doch keinen Dank dafür ernten, denn die
Kranken werden in ihm immer mehr den strengen Herrn, im Patron dagegen
den willfährigen Freund sehen. Durch ein solches Verhältnis würde aber
nicht nur deu Ärzten ihr Beruf völlig verleidet, sondern den Kranken der
größte Schaden zugefügt werden.

Übrigens würde es auch gar nicht so leicht sein, Patrone zu gewinnen.
Anfangs würden sich wohl manche aus Neugierde zu diesem Amte hergeben.
Würden sie aber erst gewahr, wie dornenvoll die Aufgabe ist, wie schwer es
ihnen wird, mit den Kranken überhaupt zurechtzukommen, so würden sich wohl
die meisten wieder zurückziehen, in der Erkenntnis, daß, um Geisteskranken zu
helfen, man sie vor allen Dingen verstehen muß.

Wir können uns nur denken, daß den Verfasser seine Thätigkeit als
Leiter einer Privatanstalt, die wohl ausschließlich Angehörige der gebildeten
Stände beherbergt, zu seinem Vorschlag verleitet hat. Gebildete haben mehr
Wünsche und sind überhaupt in höherm Grade umgangsbedürftig als Unge¬
bildete. Für Gebildete mögen in der Anstalt aus- und eingehende Patrone eine
angenehme Zerstreuung sein und eine willkommne Gelegenheit, ihr Herz aus¬
zuschütten, den Ungebildeten werden sie schwerlich näher treten, aber gerade diese
füllen unsre öffentlichen Anstalten. Machen wir doch diese Erfahrung an den
meisten Anstaltsgeistlichen. Sie haben Gelegenheit genug zum Verkehr mit
den Kranken und ergreifen sie auch anfangs bereitwillig. Bald aber müssen
sie in jedem einzelnen Falle von den Ärzten darum gebeten, ja dazu gedrängt
werden, sie scheuen die nähere Berührung mit den Kranken, denn sie haben
das Bewußtsein, daß ihnen deren Inneres fremd ist.

Richten sich aber die Beschwerden des Kranken gegen die Anstaltsärzte
selbst, wozu sind denn dann seine Verwandten oder der Vormund da, wozu
die Vorgesetzten der Ärzte, wozu die staatliche Aufsicht? Vielleicht hat der
Verfasser seinen Vorschlag nur aus Nachgiebigkeit gegen die in jüngster Zeit
von Laien wiederholt gestellte Forderung der Laienaufsicht gemacht. Dann
wäre er aber uicht weniger im Unrecht, denn jene Forderung ist thöricht und


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[0348] Zur Jrrenpflege stärkern Gegensatz wird er zum Arzt geraten. Er wird dem Kranken bald als der stets zum Gewähren bereite, der Arzt als der stete Verweigerer erscheinen. Der Kranke wird sich ja uur dann an den Patron wenden, wenn er vom Arzt abschlägig beschicken worden ist, andernfalls steht ihm der Arzt, den er täglich mehrmals sieht, doch näher. Der Arzt wird aber oft Veranlassung haben, irgendwelche Wünsche abzuschlagen, sei es daß der Zustand des Kranken oder auch die gebotene Sparsamkeit die Erfüllung nicht erlaubt. Es muß aber auch für deu Arzt unerträglich sein, sich fortwährend in seinen Beruf, den er nach besten Kräften auszuüben trachtet, hineinreden zu lassen, und zwar von Leuten, die vielleicht nur sehr geringes Verständnis für seine Aufgabe haben. Mag er sich auch alle erdenkliche Mühe geben, für das Wohlergehen seiner Kranken zu sorgen, so wird er doch keinen Dank dafür ernten, denn die Kranken werden in ihm immer mehr den strengen Herrn, im Patron dagegen den willfährigen Freund sehen. Durch ein solches Verhältnis würde aber nicht nur deu Ärzten ihr Beruf völlig verleidet, sondern den Kranken der größte Schaden zugefügt werden. Übrigens würde es auch gar nicht so leicht sein, Patrone zu gewinnen. Anfangs würden sich wohl manche aus Neugierde zu diesem Amte hergeben. Würden sie aber erst gewahr, wie dornenvoll die Aufgabe ist, wie schwer es ihnen wird, mit den Kranken überhaupt zurechtzukommen, so würden sich wohl die meisten wieder zurückziehen, in der Erkenntnis, daß, um Geisteskranken zu helfen, man sie vor allen Dingen verstehen muß. Wir können uns nur denken, daß den Verfasser seine Thätigkeit als Leiter einer Privatanstalt, die wohl ausschließlich Angehörige der gebildeten Stände beherbergt, zu seinem Vorschlag verleitet hat. Gebildete haben mehr Wünsche und sind überhaupt in höherm Grade umgangsbedürftig als Unge¬ bildete. Für Gebildete mögen in der Anstalt aus- und eingehende Patrone eine angenehme Zerstreuung sein und eine willkommne Gelegenheit, ihr Herz aus¬ zuschütten, den Ungebildeten werden sie schwerlich näher treten, aber gerade diese füllen unsre öffentlichen Anstalten. Machen wir doch diese Erfahrung an den meisten Anstaltsgeistlichen. Sie haben Gelegenheit genug zum Verkehr mit den Kranken und ergreifen sie auch anfangs bereitwillig. Bald aber müssen sie in jedem einzelnen Falle von den Ärzten darum gebeten, ja dazu gedrängt werden, sie scheuen die nähere Berührung mit den Kranken, denn sie haben das Bewußtsein, daß ihnen deren Inneres fremd ist. Richten sich aber die Beschwerden des Kranken gegen die Anstaltsärzte selbst, wozu sind denn dann seine Verwandten oder der Vormund da, wozu die Vorgesetzten der Ärzte, wozu die staatliche Aufsicht? Vielleicht hat der Verfasser seinen Vorschlag nur aus Nachgiebigkeit gegen die in jüngster Zeit von Laien wiederholt gestellte Forderung der Laienaufsicht gemacht. Dann wäre er aber uicht weniger im Unrecht, denn jene Forderung ist thöricht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/348>, abgerufen am 01.09.2024.