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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Jrrenpflege

rung hätte mau an einen Revisor doch die zu stellen, daß er dem zu revidi-
renden an Fachkenntnissen mindestens gleichkäme.

Dem Verfasser ist zunächst darin beizustimmen, daß die öffentlichen An¬
stalten mit demselben Maße zu messen sind wie die privaten, daß sie der Auf¬
sicht gleichfalls dringend bedürfen. Die erste, umfassendere Aufsichtsbehörde würde
also unbedingt vorzuziehen sein. Andrerseits erscheint uns aber die Furcht
vor zu hohen Kosten bei der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit kaum gerecht¬
fertigt. Es ist uns sogar zweifelhaft, ob der erste Vorschlag des Verfassers
so sehr viel höhere Kosten verursachen würde als der zweite. Die Revisionen
der genannten Zentralbehörde würden viel eindringender sein und könnten
deshalb in größern Abständen erfolgen; drei im Jahre, wie Erlenmeher annimmt'
ist wohl schon etwas hoch gegriffen. Vor allem aber, und das ist in der
ganzen Frage das Wichtigste, würden sie im Publikum ein ganz andres Gefühl
der Rechtssicherheit erwecken.

Außer dieser zentralistrten staatlichen Aufsicht schlägt Erlenmeher noch
eine örtliche vor, die von Privatmännern und zwar von Laien ausgeübt werden
soll. Für jede Irrenanstalt soll ein sogenanntes Patronat gebildet werden,
das aus mindestens drei Mitgliedern zu bestehen hätte. Ein Drittel soll von
der Anstalt gewählt werden, zwei Drittel von der Zentralbehörde. Dem
Patronat soll stets ein Jurist angehören, der den Vorsitz sichren soll. Das
Patronat ist als Ehrenamt gedacht, nur Reisekosten sollen vergütet werden.
Die Patrone hätten nach Belieben in der Anstalt aus- und einzugehen, freund¬
schaftlich mit den Kranken zu verkehren, alle ihre Wünsche und Beschwerden,
große und kleine, entgegenzunehmen und sich hierüber mit den Ärzten zu be¬
raten. Solche Sitzungen hätten mindestens aller vier Wochen stattzufinden.
Der Berfasser meint, die Kranken würden bald in den Patronen ihre besten
Freunde sehen und sich in allen Dingen bei ihnen Rats erholen.

Wir halten diesen ganzen Vorschlag für so verfehlt, daß wir kaum be¬
greifen können, wie ein erfahrener Psychiater auf ihn verfallen konnte. An¬
genommen selbst, die Einrichtung ließe sich gut an, die Patrone gewonnen das
Vertrauen der Kranken und wären ihnen in manchem behilflich: in welche
schiefe Stellung würden die Ärzte zu ihren Pfleglingen geraten! Wie können
die Ärzte segensreich auf die Kranken einwirken, wenn sich eine Mittelsperson
zwischen beide eindrängt! Das, was den Kranken und den Arzt verbindet,
ist ja eben das Vertrauen, das sich auf alles, großes und kleines, erstreckt,
das getrost jeden Wunsch, jede Beschwerde vorbringt und zuversichtlich auf
Abstellung hofft. Die Ärzte sind doch keine heilenden Maschinen, die nur auf
eine eng begrenzte Art der Thätigkeit eingerichtet wären. Sie sehen doch in dem
Kranken vor allem den Menschen mit seinen menschlichen Leiden und Freuden.

Aber die Einrichtung des Patronats würde überhaupt nicht ohne Reibung
arbeiten. Je mehr Eifer der Patron an den Tag legt, in einen um so


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rung hätte mau an einen Revisor doch die zu stellen, daß er dem zu revidi-
renden an Fachkenntnissen mindestens gleichkäme.

Dem Verfasser ist zunächst darin beizustimmen, daß die öffentlichen An¬
stalten mit demselben Maße zu messen sind wie die privaten, daß sie der Auf¬
sicht gleichfalls dringend bedürfen. Die erste, umfassendere Aufsichtsbehörde würde
also unbedingt vorzuziehen sein. Andrerseits erscheint uns aber die Furcht
vor zu hohen Kosten bei der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit kaum gerecht¬
fertigt. Es ist uns sogar zweifelhaft, ob der erste Vorschlag des Verfassers
so sehr viel höhere Kosten verursachen würde als der zweite. Die Revisionen
der genannten Zentralbehörde würden viel eindringender sein und könnten
deshalb in größern Abständen erfolgen; drei im Jahre, wie Erlenmeher annimmt'
ist wohl schon etwas hoch gegriffen. Vor allem aber, und das ist in der
ganzen Frage das Wichtigste, würden sie im Publikum ein ganz andres Gefühl
der Rechtssicherheit erwecken.

Außer dieser zentralistrten staatlichen Aufsicht schlägt Erlenmeher noch
eine örtliche vor, die von Privatmännern und zwar von Laien ausgeübt werden
soll. Für jede Irrenanstalt soll ein sogenanntes Patronat gebildet werden,
das aus mindestens drei Mitgliedern zu bestehen hätte. Ein Drittel soll von
der Anstalt gewählt werden, zwei Drittel von der Zentralbehörde. Dem
Patronat soll stets ein Jurist angehören, der den Vorsitz sichren soll. Das
Patronat ist als Ehrenamt gedacht, nur Reisekosten sollen vergütet werden.
Die Patrone hätten nach Belieben in der Anstalt aus- und einzugehen, freund¬
schaftlich mit den Kranken zu verkehren, alle ihre Wünsche und Beschwerden,
große und kleine, entgegenzunehmen und sich hierüber mit den Ärzten zu be¬
raten. Solche Sitzungen hätten mindestens aller vier Wochen stattzufinden.
Der Berfasser meint, die Kranken würden bald in den Patronen ihre besten
Freunde sehen und sich in allen Dingen bei ihnen Rats erholen.

Wir halten diesen ganzen Vorschlag für so verfehlt, daß wir kaum be¬
greifen können, wie ein erfahrener Psychiater auf ihn verfallen konnte. An¬
genommen selbst, die Einrichtung ließe sich gut an, die Patrone gewonnen das
Vertrauen der Kranken und wären ihnen in manchem behilflich: in welche
schiefe Stellung würden die Ärzte zu ihren Pfleglingen geraten! Wie können
die Ärzte segensreich auf die Kranken einwirken, wenn sich eine Mittelsperson
zwischen beide eindrängt! Das, was den Kranken und den Arzt verbindet,
ist ja eben das Vertrauen, das sich auf alles, großes und kleines, erstreckt,
das getrost jeden Wunsch, jede Beschwerde vorbringt und zuversichtlich auf
Abstellung hofft. Die Ärzte sind doch keine heilenden Maschinen, die nur auf
eine eng begrenzte Art der Thätigkeit eingerichtet wären. Sie sehen doch in dem
Kranken vor allem den Menschen mit seinen menschlichen Leiden und Freuden.

Aber die Einrichtung des Patronats würde überhaupt nicht ohne Reibung
arbeiten. Je mehr Eifer der Patron an den Tag legt, in einen um so


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[0347] Zur Jrrenpflege rung hätte mau an einen Revisor doch die zu stellen, daß er dem zu revidi- renden an Fachkenntnissen mindestens gleichkäme. Dem Verfasser ist zunächst darin beizustimmen, daß die öffentlichen An¬ stalten mit demselben Maße zu messen sind wie die privaten, daß sie der Auf¬ sicht gleichfalls dringend bedürfen. Die erste, umfassendere Aufsichtsbehörde würde also unbedingt vorzuziehen sein. Andrerseits erscheint uns aber die Furcht vor zu hohen Kosten bei der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit kaum gerecht¬ fertigt. Es ist uns sogar zweifelhaft, ob der erste Vorschlag des Verfassers so sehr viel höhere Kosten verursachen würde als der zweite. Die Revisionen der genannten Zentralbehörde würden viel eindringender sein und könnten deshalb in größern Abständen erfolgen; drei im Jahre, wie Erlenmeher annimmt' ist wohl schon etwas hoch gegriffen. Vor allem aber, und das ist in der ganzen Frage das Wichtigste, würden sie im Publikum ein ganz andres Gefühl der Rechtssicherheit erwecken. Außer dieser zentralistrten staatlichen Aufsicht schlägt Erlenmeher noch eine örtliche vor, die von Privatmännern und zwar von Laien ausgeübt werden soll. Für jede Irrenanstalt soll ein sogenanntes Patronat gebildet werden, das aus mindestens drei Mitgliedern zu bestehen hätte. Ein Drittel soll von der Anstalt gewählt werden, zwei Drittel von der Zentralbehörde. Dem Patronat soll stets ein Jurist angehören, der den Vorsitz sichren soll. Das Patronat ist als Ehrenamt gedacht, nur Reisekosten sollen vergütet werden. Die Patrone hätten nach Belieben in der Anstalt aus- und einzugehen, freund¬ schaftlich mit den Kranken zu verkehren, alle ihre Wünsche und Beschwerden, große und kleine, entgegenzunehmen und sich hierüber mit den Ärzten zu be¬ raten. Solche Sitzungen hätten mindestens aller vier Wochen stattzufinden. Der Berfasser meint, die Kranken würden bald in den Patronen ihre besten Freunde sehen und sich in allen Dingen bei ihnen Rats erholen. Wir halten diesen ganzen Vorschlag für so verfehlt, daß wir kaum be¬ greifen können, wie ein erfahrener Psychiater auf ihn verfallen konnte. An¬ genommen selbst, die Einrichtung ließe sich gut an, die Patrone gewonnen das Vertrauen der Kranken und wären ihnen in manchem behilflich: in welche schiefe Stellung würden die Ärzte zu ihren Pfleglingen geraten! Wie können die Ärzte segensreich auf die Kranken einwirken, wenn sich eine Mittelsperson zwischen beide eindrängt! Das, was den Kranken und den Arzt verbindet, ist ja eben das Vertrauen, das sich auf alles, großes und kleines, erstreckt, das getrost jeden Wunsch, jede Beschwerde vorbringt und zuversichtlich auf Abstellung hofft. Die Ärzte sind doch keine heilenden Maschinen, die nur auf eine eng begrenzte Art der Thätigkeit eingerichtet wären. Sie sehen doch in dem Kranken vor allem den Menschen mit seinen menschlichen Leiden und Freuden. Aber die Einrichtung des Patronats würde überhaupt nicht ohne Reibung arbeiten. Je mehr Eifer der Patron an den Tag legt, in einen um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/347>, abgerufen am 01.09.2024.